Verschrottung von Hochseeschiffen - Ein globales Umwelt- und Gesundheitsproblem
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Das trifft aber nicht auf die wichtigsten Verschrottungsländer zu: Indien mit 60 Prozent Anteil, gefolgt von China, Bangladesch, Pakistan und der Türkei. Auf den Schiffsfriedhöfen der Schwellen- und Entwicklungsländer müssen die Arbeiter: innen unter ständiger Bedrohung ihres Lebens und ihrer Gesundheit die Schiffe zerlegen. Greenpeace hat seit 1998 die skandalösen Arbeitsbedingungen in Indien mehrmals dokumentiert.
Knapp 50.000 Hochseeschiffe der Welthandelsflotte (Containerschiffe, Frachter, Fähren, Kühlschiffe, Tanker usw.) befahren die Ozeane. Sie werden im Alter von durchschnittlich 29 Jahren verschrottet, die Zahl der ausgedienten Schiffe steigt jährlich. Das Leergewicht der Schrottschiffe beträgt je nach Größe und Funktion fünf bis 40.000 Tonnen (im Schnitt 13.000 Tonnen). Sie bestehen zu 95 Prozent aus Stahl. Dieser ist beschichtet mit zehn bis 100 Tonnen Anstrichstoffen, die Blei, Kadmium, Organozinn (TBT), Arsen, Zink und Chrom enthalten.
Schiffbaustoffe enthalten weiteren Sondermüll: PCB-haltige Dichtungsmassen und pro Schiff dutzende Tonnen verschiedener Asbestsorten in reiner oder verarbeiteter Form - in Ausnahmefällen sogar bis zu 200 Tonnen. Dazu kommen mehrere 1000 Liter Ölreste (Schiffstreibstoffe, Hydraulik- und Schmieröle), bei Tankern zusätzlich bis zu über 1000 Kubikmeter Ölreste.
Keiner will verantwortlich sein
Die Geschäftspraxis ist denkbar einfach: Die Eigentümer: innen verkaufen ihr Schiff nach Stahlgewicht an das Abbruchunternehmen und entledigen sich damit jeder weiteren Verantwortung. Sie umgehen sämtliche Entsorgungskosten und erlösen zusätzlich pro Tonne Stahl noch einmal eine hübsche Summe. 1998 wurden in Asien 90 bis 120 US-Dollar gezahlt, 2003 waren es 220 bis 250, 2005 teils schon über 400 Dollar. Vor allem Chinas Hunger nach Stahl ist schier unersättlich.
In den letzten 25 Jahren ist die Abwrackbranche unter anderem infolge der Globalisierung von mechanisierter Werftarbeit zur Primitiv-Technik verkommen. In den siebziger Jahren wurden Hochseeschiffe noch in Werften der Länder Großbritannien, Taiwan, Spanien, Mexiko und Brasilien mit geregelten technischen Abläufen und Hilfsvorrichtungen verschrottet.
Seit Anfang der achtziger Jahre wurden diese Aktivitäten in rohstoffarme asiatische Billiglohn-Länder verlagert. Alte Schiffe werden direkt am Strand unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Handarbeit zerlegt. Gewonnen wird vor allem Schiffsstahl, der durch Kaltwalzen zu Baustahl umgewandelt wird. In Industrieländern ist Walzstahl aus Qualitätsgründen nicht im Baubereich zugelassen.
Zurzeit werden Schiffe aus den siebziger Jahren, die höchste Konzentrationen an Schadstoffen enthalten, auf den Stränden ohne jeden Arbeits- und Umweltschutz zerlegt. Sämtliche Schiffseigentümer: innen aus reichen OECD-Ländern beteiligen sich an diesem Geschäft und exportieren ausgediente Hochseeschiffe nach Asien. Damit verstoßen sie gegen das Verbot der Basel Konvention, kontaminierten Metallschrott zu exportieren. Dieses Verbot gilt für EU-Länder seit Anfang 1998. Die Verschrottungspraxis widerspricht häufig auch dem nationalen Recht der Importstaaten, ist also in mehrfacher Hinsicht illegal.
Schiffseigner: innen, Behörden, Abbruchunternehmen und Regierungen der Importstaaten ignorieren den eigentlichen Zweck jeder Kreislaufwirtschaft: Wertstoffe maximal wiederzuverwerten und gleichzeitig Schadstoffe gesundheits- und umweltgerecht zu entsorgen.
Die Opfer
{image_r}Die etwa 100.000 jungen Wanderarbeiter: innen nehmen auf den Verschrottungsplätzen Asiens für ein bis zwei Dollar Tagelohn unzumutbare körperliche Anstrengungen und ständige Unfallgefahren auf sich. Sie sind zum Beispiel in Indien nicht namentlich registriert und daher schwer zu identifizieren. Sie arbeiten im Schichtsystem, auf engstem Raum und 1998, als Greenpeace den Ort zum ersten Mal inspizierte, noch ohne jede Arbeitsschutzvorkehrung.
Allein auf dem größten Schiffsfriedhof der Welt in Alang (im indischen Bundesstaat Gujarat) wurde damals von bis zu 360 Todesfällen im Jahr berichtet. Todesursachen sind Explosionen, Brände, Erstickungen und Erschlagen durch herabfallende Teile. Die Toten werden, weit entfernt von ihren Familien, direkt am Arbeitsplatz verbrannt und bleiben für immer anonym. Inzwischen haben nach heftigen Greenpeace-Iniativen die Arbeiter: innen in Alang meist Helme, Stiefel und manchmal Handschuhe
Die schleichenden Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz und in den unmittelbar benachbarten Schlafstätten, z.B. durch Einatmen giftiger Dämpfe oder Asbeststaub, sind den Betroffenen nicht bekannt. Häufig auftretende Krankheiten gelten als Schicksal.
In der Arbeitsmedizin ist es seit langem bekannt, dass der ungeschützte Umgang mit den identifizierten Schadstoffen folgende Krankheiten verursachen kann:
Asbeststaub führt zu Schrumpfungsprozessen im Bindegewebe der Lunge (Asbestose) sowie zur Entstehung von Lungen-, Rippen- und Bauchfellkrebs (Mesotheliom) als Spätfolgen.
Blei kann durch Einnahme, Inhalation und Aufnahme über die Haut in den Körper gelangen und reichert sich im Organismus an. Blei ist ein starkes Gift für Blut, Nerven und Nieren (und fördert die Entstehung von Krebs im Magen und Zwölffingerdarm).
Arsen ist ein Gefäß- und Nervengift. Es verursacht Polyneuritis mit Lähmungen sowie Haut- und Leberkrebs.
Chrom-Verbindungen können Ekzeme, Chromat-Staublungenerkrankungen und Chromat-Lungenkrebs verursachen.
Organozinn (TBT, TBTO, TBTCL) ist ein Nervengift, das sich in Blut, Leber, Nieren und Gehirn anreichert. TBTO ist außerdem akut giftig und beeinflusst das Hormonsystem.
PAKs (polyaromatische Kohlenwasserstoffe) können zu verschiedenen Krebserkrankungen, Schäden am Erbgut und am Immunsystem sowie zu Lungentumoren führen.
Dioxine erzeugen Krebs. Sie können unter anderem die Entwicklung von Kindern vor und nach der Geburt beeinflussen, die Produktion an Spermien reduzieren und die Abwehrkräfte verringern.
Die meisten dieser Erkrankungen gelten in Deutschland und anderen EU-Ländern als entschädigungspflichtige Berufskrankheiten.
Greenpeace-Laboranalysen von Meerwasser-, Sediment- und Bodenproben aus Alang in Indien ergaben eine zunehmende Umweltverschmutzung. Restöl gelangt dort zwangsläufig ins Meer. Asbesthaltige Baustoffe und Gegenstände werden zur Verwendung über weite Teile des Landes verteilt.
Der lange Weg zur Lösung
Verantwortlich für die katastrophalen Zustände ist die internationale Schiffsbranche, die weitgehend globalisiert ist. Angestoßen durch die Arbeit von Greenpeace und dann dem Sekretariat der Basel Konvention, haben folgende Organisationen seit 1999 Richtlinien für die Verschrottung entwickelt:
- die IMO (International Maritime Organisation, London),
- die ILO (International Labour Organisation, Genf) und
- die ICS (International Chamber of Shipping).
IMO und ILO sind Organisationen der Vereinten Nationen, ICS ist die internationale Dachorganisation der Seeschifffahrt. Keine dieser Regelungen ist bisher verbindlich.
Auch die Scrapping Guidelines der US-Umweltbehörde EPA sind nicht verbindlich.
Greenpeace fordert:
- Die Verursacher: innen - Schiffseigentümer: innen und Reedereiverbände - müssen mit den Abbruchunternehmen und den Regierungen der Importstaaten einvernehmlich Sofortmaßnahmen ergreifen.
- Schluss mit illegalen Giftexporten! Schadstoffe aus reichen OECD-Staaten dürfen nicht in Abbruchländern in die Umwelt gelangen und die Gesundheit der Menschen gefährden. Die IMO soll Bestimmungen der Basel Konvention in das Internationale Seerecht übernehmen.
- Es müssen verbindliche globale Mindeststandards für Technik, Arbeitssicherheit, Umweltschutz und Arbeiter: innenrechte durchgesetzt werden.
- Schiffe müssen bei Umrüstung, Reparatur, Umbau, Neuanstrich usw. schrittweise von Schadstoffen befreit werden, damit sie in möglichst unbelastetem Zustand verschrottet werden können.
- Schiffe der nächsten Generation sollen ohne Schadstoffe und leicht demontierbar gebaut werden.
V.i.S.d.P. Andreas Bernstorff