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Silke Schwartau

Interview mit Verbraucherschützerin Silke Schwartau zu Pestizidfunden

Greenpeace zeigt mit einer Laboranalyse, dass importiertes Obst aus Brasilien mit gefährlichen Pestiziden belastet ist. Silke Schwartau bewertet die Ergebnisse aus Sicht einer Verbraucherschützerin.

Silke Schwartau setzt sich seit über 40 Jahren für den Verbraucherschutz ein. Als langjährige Mitarbeiterin der Verbraucherzentrale hat sie sich bereits in den letzten Jahren mit den Verbraucher:innenschutz-Aspketen des Handelsabkommens EU-Mercosur (etwa bei Fleischimporten) oder für den EU Green Deal befasst. Anlässlich der Veröffentlichung einer neuen Greenpeace Untersuchung, bei der Früchte aus Brasilien auf Pestizidrückstände getestet wurden, lud Greenpeace sie zum Interview ein.

Greenpeace: Es gelangen Produkte, die mit Pestiziden gespritzt sind, die in der EU nicht zugelassen oder als hochgefährlich eingestuft sind, bei uns auf die Teller. Wie kann das sein?

Silke Schwartau: Es ist sehr schlimm, das sowas überhaupt passieren kann! Eigentlich müssten Maßnahmen zum vorsorgenden Verbraucherschutz in der EU dies verhindern. Leider gibt es folgenschwere Schlupflöcher für zu viel Pestizide in Lebensmitteln. Dazu gehören mangelnde Kapazitäten bei der Lebensmittelüberwachung. Bei der kommunalen Überwachung wird gespart, Stellen sind laut einer Untersuchung von Foodwatch nur bei zehn Prozent der Behörden ausreichend besetzt, jede dritte vorgesehene Kontrolle fällt aus. Hinzu kommt, dass die kommunale Lebensmittelüberwachung insbesondere bei komplexen weltweiten Lieferketten nicht mehr zeitgemäß, nicht digital genug und vor allem kaum transparent ist.

Aber wir haben in Deutschland und Europa eine Regelung, die Höchstmengen für Pestizide in Lebensmitteln festlegt. Greift diese nicht?

Wenn Kontrollen unzureichend sind, wird auch nicht gefunden, was gefunden werden könnte. Aber es gibt noch einen zweiten Aspekt: In Europa verbotene Pestizide kommen auch durch die sogenannten Einfuhr- oder Importtoleranzen wieder ins Spiel. Dies geschieht, um die Einfuhr zu ermöglichen und internationalen Handel zu erleichtern. Bei Freihandelsabkommen spielen diese Schlupflöcher eine besondere Rolle. Ist ein Pestizid beispielsweise in Südamerika zugelassen, dann können Anträge auf Gewährung von Importtoleranzen – abweichend vom strengeren EU-Recht – gestellt werden. Egal welche Umweltschäden in den Erzeugerländern entstehen, egal wie lange ein Stoff in der EU bereits verboten ist, egal welche gesetzliche Rückstandshöchstgehalte für diesen Stoff vorliegen. Seit 2008 gab es dazu 159 Anträge auf Festlegung oder Änderung einer Höchstmenge, 78 wurden stattgegeben. Das Problem liegt auf der Hand: Jedes Freihandelsabkommen kann zu mehr Pestiziden in unseren Lebensmitteln führen.

Wir haben in den Laboranalysen der brasilianischen Früchte neun in der EU nicht zugelassene Wirkstoffe gefunden. gefunden. Das sind ein Viertel der insgesamt festgestellten Pestizide. Wie bewerten Sie diese Funde?

Das ist kaum zu fassen. Äußerst erschreckende Ergebnisse! Das Vertrauen in europäische Rückstands-Höchstwerte, Verbote in der Landwirtschaft oder staatliche Importkontrollen gerät ins Wanken. Derart belastete Früchte sollten doch schon an den EU-Außengrenzen oder spätestens bei Inlandskontrollen beanstandet werden. Oder Handel und Lebensmittelindustrie könnten bei Eigenkontrollen gefährlichen Pestizidrückständen auf die Spur kommen.

Wenn europäische Groß- und Supermärkte diese Früchte trotz aller vorhandenen Maßnahmen verkaufen, ist das ein Angriff auf den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Viele der genannten Stoffe sind in der EU zu Recht verboten. In der EU-Pestizidverordnung gelten die sogenannten "Cut-Off"-Kriterien. Diese Kriterien schließen Chemikalien mit erbgutverändernden, hormonschädigenden, fortpflanzungsgefährdenden oder krebserregenden Eigenschaften von der Zulassung als Pestizide aus. Andere der in der Untersuchung gefundenen Pestizide schädigen Bienen. Alle diese Stoffe haben auf unseren Tellern nichts zu suchen.

In einer einzigen Papaya konnten bis zu neun Pestizidrückstände nachgewiesen werden. Wie wirken solche Mehrfachbelastungen auf den Menschen? Und ist es gefährlich eine Frucht mit einer Höchstmengenüberschreitung zu essen?

Die Konsument:innen müssen darauf vertrauen können, dass Lebensmittel sicher sind. Mehrfachrückstände, also ein ganzer „Cocktail“ an Rückständen, das ist sehr bedenklich. Zumal die Wissenschaft über das mögliche Zusammenwirken oder die entstehende Abbauprodukte noch immer nicht genug weiß. Nicht alle Risiken können ausgeschlossen werden, im schlimmsten Fall addieren sich die negativen Wirkungen einzelner Stoffe.

Eine Person, die sich einseitig mit sehr belasteten Lebensmitteln ernährt, kann die sogenannte akute Referenzdosis (ARfD) überschreiten. Diese Dosis ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als diejenige Substanzmenge pro kg Körpergewicht definiert worden, die noch zulässig ist. Sie legt fest, welche Menge über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko mitgegessen werden kann. Kinder sind besonders empfindlich und daher mehr gefährdet als Erwachsene.

Doch nicht jede Höchstmengenüberschreitung bedeutet, dass sich die gemessene Menge auch innerhalb der Frucht befindet. Rückstandsuntersuchungen werden fast immer an ungewaschenen, nicht geputzten oder nicht geschälten Lebensmitteln durchgeführt. Solche im Alltag üblichen Maßnahmen bewirken in vielen Fällen eine Reduktion der Rückstände. Hier kann ich etwas Entwarnung und den wichtigen ergänzenden Tipp geben, dass man sich auch beim Verzehr von potenziell belasteten Früchte nach dem Berühren oder Schälen der Frucht unbedingt gründlich die Hände waschen sollte.

Wie kann ich mich als Verbraucher:in davor schützen, mit hochgefährlichen Pestiziden gespritztes Obst zu konsumieren?

Bei frischem Obst mit Herkunftsangabe kann man sich schützen, indem man keine Produkte aus Ländern kauft, die problematische Pestizide einsetzen und beispielsweise bei dieser Untersuchung von Greenpeace negativ aufgefallen sind. Beim Kauf von Lebensmitteln aus der Region und vor allem bei Bio-Lebensmitteln ist man auf der sichereren Seite. Allerdings werden einige Regional-Label von Handelsketten initiiert und dienen eher als Marketinginstrument. Besser geregelt ist das sogenannte „Regionalfenster“. Es informiert über die regionale Herkunft der eingesetzten landwirtschaftlichen Zutaten sowie über den Ort der Verarbeitung.

Wie unterscheidet sich der Umgang mit den Pestiziden in Brasilien von den deutschen Standards?

Die Unterschiede sind groß! Was in Brasilien größtenteils zum Alltag gehört: Der großflächige Einsatz durch Sprühflugzeuge, mangelnde Schutzmaßnahmen für die in der Nähe befindlichen Flächen, so genannte Verdriftung oder fehlende Schutzkleidung. Zudem wird zu wenig Rücksicht auf Menschen genommen, die auf den Feldern und in den Plantagen arbeiten oder in deren Nähe wohnen. Darüber werden in Brasilien gefährlichere Pestizide eingesetzt, so dürfen 44 Prozent der dort  zugelassenen Wirkstoffe in der EU nicht zum Einsatz kommen.

Daher muss aus Sicht des Umwelt- und Verbraucherschutzes ein Freihandelsabkommen so gestaltet werden, dass es keine sogenannten Doppelstandards für die EU-Landwirtschaft und Importe aus Drittländern gibt. Das EU-Mercosur-Abkommen steht exemplarisch für die fehlgeleitete Handelspolitik im Agrarbereich, weil es unweigerlich zu einer Auslagerung der Produktion in Länder führt, wo die EU keine Kontrolle über die Festlegung von Produktionsstandards haben.

Es sollte generell abgelehnt und neu verhandelt werden.

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