Ökosiegel für Lübecker Stadtwald – Interview mit Dr. Lutz Fähser
- Im Gespräch
Dr. Lutz Fähser, Leiter des Stadtforstamtes Lübeck, spricht mit Greenpeace über die ökologische Nutzung des Lübecker Stadtforstes.
Greenpeace-Online: Welche persönlichen Motive haben Sie dazu bewegt, sich mit dem Thema ökologische Waldnutzung auseinander zu setzen?
Dr. Lutz Fähser: Ich habe mich nach dem Forststudium und dem Abschluss als Diplom-Forstwirt durch eine Doktorarbeit in Betriebswirtschaft spezialisiert. Bei der Beschäftigung mit diesem Thema wurde mir klar, dass in der Betriebswirtschaft Modelle und Verfahren gelehrt werden, die der Realität nicht entsprechen. Die Natur ist so komplex, so unerforscht und unerforschbar, dass wir andere als die analytischen und mechanistischen Wege suchen müssen.
Dazu kam die allgemeine, für die Umwelt besorgniserregende Entwicklung und Belastung. Ich wollte die notwendige Umweltentlastung in meinem eigenen Fachgebiet praktizieren. Außerdem arbeite ich seit 20 Jahren in der Entwicklungshilfe. Für Projekte in den Tropen und Subtropen bestehen sehr hohe Anforderungen, wenn es um die Vergabe von Geldern geht: keine Exoten, keine Monokultur, keine Pestizide etc.. Aber in Deutschland erfüllen wir diese Maßstäbe nicht! Zumindest in meinem Arbeitsbereich wollte ich diese internationalen und richtigen Anforderungen erfüllen.
Greenpeace-Online:Wie war die Entwicklung in Lübeck?
Dr. Lutz Fähser: Vor Jahren haben wir auf Anforderung des Senates von Lübeck mit dem ökologischen Umbau angefangen. Wir konnten als Planer Knut Sturm aus dem Saarland gewinnen, um zusammen mit ihm und unseren Förstern ein Konzept zu schmieden, das unseren Vorstellungen entspricht. 1995 wurde dieses Konzept von der Bürgerschaft einstimmig, also von allen Parteien, auch von der Opposition, für den Wald von Lübeck festgesetzt.
Den gesellschaftlichen Konsens halte ich für sehr wichtig. Wir haben das ganze Konzept nicht einfach festgesetzt, sondern Arbeitsgemeinschaften gebildet, alle einbezogen: Umweltverbände, Kritiker, das Umweltamt der Stadt Lübeck, also die in und am Wald lebenden Menschen. Zehn Jahre - das ist eigentlich kein Zeitraum für den Wald, in dem ein einzelner Baum 100 bis 500 Jahre alt wird. Es ist nicht zu erwarten, dass man kurzfristig ganz viel sieht. Darauf kommt es auch nicht an. Wichtig ist, dass man konzeptionell einen richtigen Weg findet. Je dichter Wälder an ihrem natürlichen Potential sind, an ihrer naturgemäßen genetischen Ausstattung und ihren natürlichen Lebensbedingungen, desto stabiler sind sie gegen Provokationen von außen.
Unser Konzept ist darauf ausgerichtet, den Wäldern zu gestatten, in eine naturnahe Situation zurückzupendeln. Nach zehn Jahren sieht man zunächst Unordnung im Wald. Wir greifen weniger ein, es entsteht viel mehr Ruhe im Wald, obwohl er als Naherholungsraum genutzt wird. Und wir entfernen fast keinen Baum, der abstirbt. Wir lassen ihn stehen oder umstürzen. Das Totholz besiedelt sich mit einer Unmenge von Pflanzen und Tieren, die vorher im Wald Mangelware waren - Tierarten, die auf Totholz und auf die Ruhe reagieren. Wir jagen intensiv, auch das gehört zum Konzept. Und wir stellen eine verstärkte Verjüngung durch natürliche Einsaat fest.
Greenpeace-Online: Welche Unterschiede sehen Sie als besonders gravierend an zwischen der konventionellen Forstwirtschaft, die ja gerne auf das von ihr erfundene Prinzip der Nachhaltigkeit pocht, und dem jetzt vorliegenden Konzept der ökologischen Waldnutzung?
Dr. Lutz Fähser: Die Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft wird in der Praxis nach wie vor als Nachhaltigkeit der Holzerträge praktiziert. Das ist die allereinfachste Komponente. Auch wir ernten nicht mehr als nachwächst. Wir ernten sogar bewusst weniger und reichern für zukünftige Generationen
die Wälder mit Holzmasse und Vielfältigkeit an. Unsere Wälder sind dichter, tragen mehr Holz für zukünftige Generationen. Wir erfüllen also Massennachhaltigkeit. Was wir aber besser erfüllen als die konventionelle Forstwirtschaft, ist die ökologische Nachhaltigkeit.
Naturnähe hat bei uns einen weitaus höheren Rang als in der konventionellen Waldwirtschaft. Wir glauben, dass die Wälder, die möglichst dicht an den in ihnen programmierten Abläufen leben dürfen, gleichzeitig die gesündesten und produktivsten sind. Nur diese haben bei permanenten Umweltveränderung die Möglichkeit, darauf richtig zu reagieren. Und die Umwelt verändert sich derzeit ja sehr schnell.
Greenpeace-Online: Wird Ihre Arbeit wissenschaftlich dokumentiert?
Dr. Lutz Fähser: Als Anfangsinvestition im Sinne einer Beweissicherung hat Knut Sturm die Forsteinrichtung gemacht, Inventur und Planung. Er hat sie sehr genau gemacht, dazu Biotopkartierungen und flächendeckende Bodenkartierung, eine Voraussetzung, um die Natürlichkeit der Lebensräume bewerten zu können. Jetzt gibt es laufend Kontrolluntersuchungen. Vom Anfang des Projekts an wurde alles in einer Datenbank gespeichert. Universitäten und Landesanstalten arbeiten zum Teil bereits mit dem Datenpool, den wir gesammelt haben.
Greenpeace-Online: Wie wird sich die Forstwirtschaft in der Zukunft entwickeln? Können Forstleute ein so erfolgreiches Modell wie das in Lübeck ignorieren?
Dr. Lutz Fähser: Wir wollen es hier in Lübeck für Lübeck richtig machen und freuen uns, wenn andere sich dafür interessieren. Wir behaupten jedoch nicht, dass unser Modell das beste überhaupt sei. Aber in Rio und auf den Nachfolgekonferenzen sind Beschlüsse zur Entlastung der Umwelt gefasst worden. Auch wir in Deutschland kommen nicht darum herum, diese in unseren einzelnen Lebensbereichen zu konkretisieren.
Im Waldbereich werden wir zu ganz ähnlichen Konsequenzen kommen, wie wir sie in Lübeck jetzt schon vorführen. Erfreuliche Reaktionen zeichnen sich schon ab. Die Zeitschrift Ökotest zum Beispiel, als kritisch bekannt, hat in einer ihrer Ausgaben sehr positiv auf unsere Arbeit reagiert. Und wir haben bereits einen Umweltpreis bekommen: einen Papermoon 96, den Umweltpreis der europäischen Papierindustrie.