Rettungsaktion: ein Wal in der Wohlenberger Wiek
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Auf der Mole in der Wohlenberger Wiek, einer Ostseebucht in Mecklenburg-Vorpommern, tummeln sich seit vergangener Woche die Schaulustigen. Sie sind gekommen, um einen unerwarteten Gast in Augenschein zu nehmen: Ein junger Schnabelwal hat sich in Ufernähe verirrt.
Der Besuch ist zwar aufregend, aber kein Anlass zur Freude. Denn diese sehr seltene Art ist vor allem im Nordatlantik und in der Nordsee zuhause, in der Ostsee findet man sie üblicherweise nicht – es sei denn, ein Tier ist außergewöhnlich weit vom Weg abgekommen. Das Problem dabei: Meer nicht gleich Meer für seine Bewohner; die Wohlenberger Wiek ist mit ihrer Wassertiefe von nur etwa acht Metern für den Meeressäuger keine artgerechte Umgebung. Die Tiere tauchen auf Futtersuche im Atlantik oft Hunderte von Metern tief. Die Gefahr, dass der Schnabelwal im niedrigen Wasser verhungert, ist recht hoch – in der kleinen Bucht könnte ihm rasch die Nahrung knapp werden.
Darum ist Eile geboten, den Wal zurück ins offene Meer zu lotsen. Das Meeresmuseum in Stralsund und Greenpeace arbeiten zusammen, um das Jungtier zu retten: Greenpeace hat die Boote, das Museum die notwendige Ausrüstung. Gemeinsam versuchen sie, den Wal über einen von zwei möglichen Ausgängen den Austritt in tiefere Gewässer zu ermöglichen: Lediglich zwei Stellen am Rand der Bucht sind tief genug, dass er gefahrlos ausschwimmen kann. Über eine davon ist er hineingekommen – und bislang hat er sie nicht wiedergefunden.
Jörg Feddern, Biologe und Greenpeace-Experte für Meere, war am Wochenende vor Ort, um bei der Rettung zu helfen: „Am Donnerstagabend habe ich mit Harald Benke, dem Direktor des Meeresmuseums telefoniert, der mir sagte: Der muss da raus, der überlebt das nicht.“ Greenpeace stellte ein großes Schlauchboot bereit, eines steht noch in Hamburg auf Abruf.
Es gibt Ideen, wie der Wal aus der Bucht zu bewegen wäre. Man weiß zwar nicht viel über Schnabelwale, allerdings, dass ihre Leibspeise Kalmare sind. Das Ködern mit den Leckerbissen blieb aber bislang ohne Erfolg. Auch Versuche, den Wal mit den Aufnahmen eines Unterwassermikrophons in Richtung vermeintlicher Artgenossen zu schicken, schlugen vorerst fehl.
Dem Schnabelwal auf die Sprünge helfen
Eine mitfahrende Tierärztin attestierte dem Jungtier zumindest einen befriedigenden Gesundheitszustand. Es ist etwa dreieinhalb bis vier Meter lang, ausgewachsene Tiere sind noch etwa zwei Meter größer. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem verirrten Wal um ein Weibchen. Für den Beobachter scheint die Besucherin zunächst guter Dinge zu sein. „Bei einem Menschen würde man sagen: Der ist total neugierig“, sagt Feddern über das Tier, das den Booten sehr nahe kam.
Doch mit allzu menschlichen Deutungen sollte man sich zurückhalten, gibt der Biologe zu bedenken. Zwar kann man den Wal beim Springen beobachten, doch ein Indiz, dass es ihm deshalb gut geht, ist das nicht. „Immerhin: So lange er springt, verfügt er anscheinend noch über ausreichende Energiereserven – das ist gut."
Die Geschichte erinnert an die Odyssee des Buckelwals „Bucki“, der 2008 in der Lübecker Bucht auftauchte. Greenpeace dokumentierte damals den Irrweg des Wals in der Ostsee, immer wieder verschwand das Tier tagelang. Die Reise des Buckelwals hatte ein Happy End: Im Kattegat, zwischen Dänemark und Schweden, wurde schließlich ein Buckelwal gesichtet, dessen Flukenzeichnung (die charakteristischen Merkmale der Schwanzflosse) offenbar mit dem vermissten Tier übereinstimmte.
Der verirrte Wal hatte den Weg zurück nach Hause gefunden, auf demselben Weg, den er gekommen war. Das spricht dafür, dass wenigstens Buckelwale eine Art räumliches Erinnerungsvermögen besitzen. Ob der Schnabelwal in der Wohlenberger Wiek eine so gute Orientierung hat, ist ungewiss. Das Meeresmuseum Stralsund hat gemeinsam mit Greenpeace versucht, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen – bisher ohne Erfolg.
UPDATE 29.10.2015: Nun besteht Gewissheit: Bei dem vor einigen Tagen an der schwedischen Küste angespülten toten Schnabelwal handelt es sich um das Tier aus der Wohlenberger Wiek. Anhand seiner markanten Narben konnte der Meeressäuger eindeutig identifiziert werden. Die Untersuchung des Kadavers ergab, dass der Wal in der Ostsee verhungert ist – wie befürchtet fand das Schnabelwalweibchen, das auf der Jagd nach Tintenfischen sonst mehrere hundert Meter tief taucht, im flachen Wasser der Ostsee nicht genügend Nahrung.