Greenpeace und das Thema Wachstumskritik
- Hintergrund
Die vergangenen Jahrzehnte haben viel zum Guten verändert: Das Umweltbewusstsein ist gestiegen, der Naturschutz hat bedeutende Fortschritte gemacht. Dennoch sind das Klima, die Meere und die Artenvielfalt bedrohter denn je. Nach mehr als 40 erfolgreichen Jahren steht Greenpeace wie die gesamte Umweltbewegung vor dem Dilemma, dass sich trotz vieler Teilerfolge das Gesamtproblem eher verschärft hat.
Hauptursache ist der unaufhaltsam wachsende Ressourcenverbrauch und seine Auswirkungen auf die Umwelt – Folge einer auf Wachstum und Massenkonsum ausgerichteten globalen Kultur. Dabei wäre es ökologisch notwendig, den Ressourcenverbrauch zu drosseln und Wirtschaftswachstum um jeden Preis in Frage zu stellen. Das Konzept der Gemeinwohlökonomie bietet dazu einige Denkansätze.
Das Ziel von Greenpeace ist, unsere ökologischen Lebensgrundlagen zu erhalten. Deshalb ist es nötig, dass wir uns auch mit den tieferliegenden Ursachen ihrer Zerstörung beschäftigen. Wir tun dies derzeit auf unterschiedlichen Ebenen.
International…
Bei Greenpeace gibt es derzeit unter intensiver deutscher Beteiligung einen internationalen Diskurs, wie wir in unserer Arbeitsweise und bei unseren Kampagnen mit dem Thema Wachstum umgehen wollen. Wie werden wir in Zukunft Kampagnen gestalten? Welche tiefer liegenden Denkweisen und -strukturen müssen wir aufdecken und verändern? An welchen Stellen können wir am besten wirksam werden?
… und in Deutschland
Der Greenpeace e.V. hat in einem ersten konkreten Schritt das eigene Handeln überprüft und eine „Gemeinwohlbilanz“ erstellt: Diese stellt im Sinne der Gemeinwohlökonomie dar, wie stark ein Unternehmen oder ein Verein auf das Gesamtwohl der Gesellschaft wirkt. Unsere gesamte Arbeit steht dabei auf dem Prüfstand: von der Materialbeschaffung über den Umgang mit Mitarbeitern bis zur Wirksamkeit unserer Kampagnen. 2020 ließ Greenpeace seine Gemeinwohlbilanz ein zweites Mal überprüfen.
In der Gemeinwohlökonomie geht es nicht um die Gewinnmaximierung einzelner Personen oder Gesellschaften, sondern darum, positiv auf das Wohl aller einzuwirken. Sie braucht deshalb neue Gradmesser für wirtschaftliches und gesellschaftliches Handeln.
Am 12. Dezember 2017 hat Greenpeace auf einer Pressekonferenz seine Gemeinwohlbilanz veröffentlicht. Wir haben in dieser Bilanz, die von externen Auditoren erstellt wurde, ziemlich gut abgeschnitten, mit 653 von 1000 möglichen Punkten: Das ist eines der besten Ergebnisse der bislang in Deutschland bilanzierten Organisationen und Unternehmen. Die Punktzahl ergibt sich aus einer Methodik, die anhand von 17 Indikatoren Werte zum Thema Solidarität, Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz und Mitsprache abfragt. Die maximale Punktzahl beschreibt einen visionären Idealzustand. Greenpeace ist auf dem richtigen Weg – kann aber noch besser werden.
WAS IST GUT, WAS GEHT BESSER?
Die den Indikatoren zugeordneten Prozentzahlen beziehen sich darauf, wieviel Greenpeace über den Standard hinaus tut. Das heißt, selbst bei null Prozent sind bereits alle gesetzlichen Auflagen erfüllt. 50 Prozent bedeuten, dass wir die Hälfte dessen umgesetzt haben, was idealerweise noch geleistet werden kann. In der Gemeinwohlbilanz sind dementsprechend auch negative Punktzahlen möglich: Solche Negativkriterien tauchen allerdings in der Bilanz des Greenpeace e.V. an keiner Stelle auf. Im Detail können Sie sie hier nachlesen.
Besonders gut punktet Greenpeace unter anderem bei den Aspekten „Sinn und gesellschaftliche Wirkung“ (100%), „Beitrag zum Gemeinwesen“ (90%) und der gemeinwohlorientierten Gewinnausschüttung (100%) – die Auditoren sehen die Verwendung der Spendengelder als absolut vorbildlich an und bestätigen die finanzielle Unabhängigkeit.
Bei manchen Kriterien bleibt Greenpeace unter 50 Prozent der Punkte, etwa bei der Solidarität mit Mitunternehmen. Hier sind die Ansprüche der Gemeinwohlökonomie ausgesprochen hoch: Die darin hoch bewertete Zusammenarbeit durch die Weitergabe von Arbeitskräften und Arbeitsgerät erfolgt bei Greenpeace innerhalb des internationalen Verbundes von Länderbüros – nicht jedoch mit anderen Nichtregierungsorganisationen, da dies unsere Satzung nicht zulässt. Projektbezogen gibt es dennoch einen engen inhaltlichen Austausch zwischen Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel bei Protestaktionen zu TTIP oder G20. Zudem bemüht sich Greenpeace Deutschland, mehr internationale Mitarbeiter zu gewinnen – auch hier gibt es Verbesserungspotenzial.
Arbeiten in der Postwachstums-Werkstatt
Wir möchten aber nicht nur eine Bilanz aufstellen, sondern auch miteinander ins Gespräch kommen, um auszuloten, welche Veränderungen wir für nötig und machbar halten, und wo wir selbst Einfluss nehmen können. Hierzu haben wir im März 2016 einen ersten Zyklus unserer „Postwachstumswerkstatt“ gestartet. Mit 50 Förderern, Ehren- und Hauptamtlichen haben wir Antworten auf folgende Fragen gesucht: Wo kommt in unserem Alltag Wachstum vor? Gibt es Bereiche, in denen Wachstum keine Rolle spielt? Wo sehen wir Veränderungsbedarf? Wo könnten wir etwas verändern? Wo hakt es dabei?
Es gibt großes Interesse an dem Thema, die Suche nach neuen Wegen hat begonnen. Greenpeace ist unterwegs – aber noch lange nicht am Ziel!
(Text: Unnolf Harder, Teamleitung Netzwerk; Stand Dezember 2017)