Pressestelle Greenpeace Niederlande veröffentlicht geheime TTIP-Dokumente
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Update vom 2.5.16, 11 Uhr:
Jetzt online: die TTIP-Dokumente. Hier finden Sie die Papiere.
Und hier sehen Sie einen Mitschnitt der Pressekonferenz auf der re:publica.
„Handelsabkommen mit derart weitreichendem Einfluss müssen öffentlich diskutiert und transparent verhandelt werden“, erklärt Jürgen Knirsch, Experte für Handel bei Greenpeace. „Alles andere ist undemokratisch und eine Gefahr für die Errungenschaften der Zivilgesellschaft.“ Damit liefert Knirsch die Erklärung für die morgen, Montag, von der Pressestelle von Greenpeace Niederlande geplante Veröffentlichung der bislang geheimen TTIP-Verhandlungspapiere. Denn obwohl alleine in Europa mehr als eine halbe Milliarde Menschen die Auswirkungen spüren werden, sind die Verhandlungen zwischen den USA und der EU bisher für die Bevölkerung eine einzige Black Box.
In Deutschland liegt der Verhandlungstext in zwei überwachten Lesesälen im Wirtschaftsministerium und in der US-Botschaft. Die Öffentlichkeit hat keinen Zutritt. Lediglich die Mitglieder des Bundestags, des Bundesrats und ausgewählte Mitarbeiter von Bundesministerien dürfen die Papiere einsehen – für zwei Stunden, unter Aufsicht. Und selbst das auch erst seit Anfang dieses Jahres als Reaktion auf die massiven Proteste der TTIP-Gegner. Was drin steht, darf den Raum nicht verlassen: Weder als Kopie noch als gesprochenes Wort – es besteht Schweigepflicht.
„Mehr Transparenz“ lautet daher die Forderung derjenigen, die wissen wollen, was die USA und Europa diskutieren. Immerhin soll mit TTIP das weltgrößte Handelsabkommen geschaffen werden. Nun kommt ein Stück Transparenz in die Verhandlungen – wenn auch nicht auf Initiative der Verhandlungsführer. Greenpeace Niederlande veröffentlicht die bislang weitgehend geheimen Verhandlungstexte. Die 13 Kapitel stellen mit knapp 250 Seiten etwa die Hälfte des gesamten Abkommens dar und zeigen den Stand vor der vergangene Woche abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde.
Greenpeace-Analyse: Befürchtungen werden Realität
Die Analyse der Dokumente wird Greenpeace morgen um 11 Uhr auf einer Pressekonferenz im Rahmen der weltgrößten Kommunikationskonferenz re:publica in Berlin präsentieren. Zeitgleich wird Greenpeace Niederlande die TTIP-Dokumente vollständig im Internet veröffentlichen.
„Diese Dokumente sind kein Betriebsgeheimnis, sie würden das Leben von über einer halbe Milliarde Menschen alleine in Europa verändern. Sie gehören öffentlich gemacht“, sagt Jürgen Knirsch. Und tatsächlich bestätigen die Texte die Befürchtungen: Das Handelsabkommen greift massiv in europäische Regelungen zum Schutz der Umwelt und Verbraucher ein – mehr als zuvor vermutet.
Es versucht das in Europa geltende Vorsorgeprinzip abzuschaffen, das Produkte nur erlaubt, wenn sie für Mensch und Umwelt unschädlich sind. Stattdessen droht die Einführung des in den USA angewandten Risikoprinzips. Dieses funktioniert genau umgekehrt: Erst einmal darf alles zugelassen werden – es sei denn, die Schädlichkeit eines Produkts ist eindeutig bewiesen. So wundert es nicht, dass in den USA mehr als 170 Gen-Pflanzen für den Anbau zugelassen sind, in Europa nur eine.
TTIP bringt Gentechnik und Chemie nach Europa
Das europäische Vorsorgeprinzip wird im TTIP-Text an keiner Stelle mehr erwähnt. Dazu passt, dass die amerikanische Agrarindustrie das Vorsorgeprinzip zunehmend als Handelshemmnis geißelt. Setzen sich die USA durch, könnten mit TTIP in Europa bislang verbotene Gen-Pflanzen oder andere umstrittene Produkte wie etwa mit Wachstumsbeschleunigern erzeugtes Fleisch auf den hiesigen Markt drängen. Was bisher nur Befürchtung war, verifizieren die Dokumente nun also.
Zudem bestätigt eine erste Analyse der Dokumente eine Reihe weiterer kritischer Punkte. Fortschrittliche EU-Umweltgesetze zu Lebensmittelsicherheit oder Chemikalien drohen geschwächt oder ganz abgeschafft zu werden. Industrievertretern wird bei wichtigen Entscheidungen eine zentrale Mitsprache eingeräumt, während die Belange der Zivilgesellschaft nicht berücksichtigt werden. Die geplante gegenseitige Anpassung der Gesetzgebung zwischen den USA und der EU würde sich nach jetzigem Stand am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren. Europäische Gesetze etwa zur Lebensmittelkennzeichnung oder zu Kosmetika würden bedroht.
„Was bislang aus diesen Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit drang, klang wie ein Albtraum. Jetzt wissen wir, daraus könnte sehr bald Realität werden“, so Knirsch. „TTIP rüttelt an den Fundamenten des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes. Das Abkommen bedroht Rechte und Gesetze, die über Jahrzehnte mühsam erkämpft wurden. Dieser Vertrag darf nicht in Kraft treten.“
>>> Gegen TTIP können Sie hier protestieren: Schicken Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mail.
Erste Presse-Reaktionen:
sueddeutsche.de schreibt:
„…droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Gleichzeitig attackiert die US-Regierung das grundlegende Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz, der 500 Millionen Europäer derzeit vor Gentechnik und Hormonfleisch in Nahrungsmitteln bewahrt.“
tagesschau.de notiert:
„[Klaus Müller, Vorstandschef des Verbraucherzentrale Bundesverbands] meint, dass die US-Agrarlobby großen Druck ausübe, um in Zukunft ihre gesamte Produktpalette über den Atlantik verkaufen zu dürfen, "also auch inklusive gentechnisch veränderter Produkte". Um das durchsetzen zu können, gehen die Amerikaner in den Verhandlungen hart gegen das europäische Vorsorgeprinzip vor. Letzteres ermöglicht es in Europa schon beim Verdacht auf eine drohende Gesundheitsgefahr durch ein bestimmtes Produkt strenge Vorgabe zu verhängen. Das ist in den USA so nicht möglich.
bild.de schreibt:
„[Ohne das EU-Vorsorgeprinzip] dürften in Europa auch hoch umstrittene und bislang in vielen Ländern nicht zugelassene genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel oder mit Wachstumsbeschleunigern erzeugtes Fleisch so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Ein Prozess, der Jahre dauern kann! (…) Die Dokumente offenbaren außerdem wohl, dass sich die USA dem dringenden europäischen Wunsch verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen.“