Greenpeace-Schiff birgt Geisternetze im Sylter Außenriff
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Mehr als eine Tonne verlorener Netze hat die Besatzung der Arctic Sunrise aus der Nordsee geborgen. Dabei gibt es Gesetze gegen Fischereimüll, die Deutschland nicht umsetzt.
Noch nie hätten sie die Nordsee so lange derart gut gelaunt gesehen, so die Taucher an Bord der Arctic Sunrise. Eine internationale Experten-Crew war in den vergangenen Tagen bei besten Wetterverhältnissen mit dem Greenpeace-Schiff im Schutzgebiet Sylter Außenriff unterwegs, um sogenannte Geisternetze aufzuspüren und zu bergen.
Ein Blick unter die freundliche Oberfläche verdarb dann rasch die Stimmung: Die Hinterlassenschaften der industriellen Fischerei verursachen große Schäden im Lebensraum Meer. Der Begriff Geisternetze klingt nicht umsonst so gruselig: Fischernetze, die verloren gehen, treiben über den Meeresboden oder verhaken sich in Schiffswracks und gehen dort weiter auf Fang – ihre Beute erstickt oder verhungert in den Plastikmaschen. Kleinere Fische wirken wie Köder auf größere Fische und Meeresräuber wie Kegelrobben oder Schweinswale, die ebenfalls qualvoll in den Netzen verenden.
Gemeinsam mit Tauchern der niederländischen Organisation Ghost Fishing hat Greenpeace in zehn Tagen mehr als eine Tonne herrenloser Netze aus dem Wasser gezogen. Besonders schwierig zu finden sind sie nicht: In der Nordsee werden um die tausend Schiffswracks vermutet, Ghost Fishing geht davon aus, dass an jedem einzelnen abgerissene Netze zu finden sind. Häufig mussten die Taucher nicht einmal unter Wasser, um Plastikmüll zu bergen. Reste von Dolly Ropes, das sind die Polyethylen-Fransen von Grundschleppnetzen, trieben um die Arctic Sunrise, außerdem stieß die Besatzung immer wieder auf abgerissene Äste, in denen sich Kunststoffabfall verfangen hat.
Minister Schmidt muss gegen Fischereimüll vorgehen
Eigentlich sieht eine europäische Regelung vor, dass über Bord gegangene Netze gemeldet werden müssen; überhaupt ist es verboten, Fischereigerät auf See zu entsorgen. Das besagt die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU, die für Deutschland rechtsverbindlich ist. Umgesetzt wird sie allerdings bislang nicht. „Fischereiminister Christian Schmidt darf nicht länger wegschauen“, sagt Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack, der auf der Arctic Sunrise mitfuhr. „Geisternetze sind eine Bedrohung für das Meer. Es ist seine Aufgabe, unsere Meere davor zu schützen.“
Neben der unmittelbaren Bedrohung für die Unterwasserfauna sind Geisternetze noch lange Zeit später eine Umweltgefahr. Sie brauchen Hunderte von Jahren bis sie sich zersetzen und werden dann zu einem ganz anderen Problem: Mikroplastik. Zu winzigen Partikeln zerrieben treibt der Fischereimüll durchs Meer – daran können sich Giftstoffe anlagern, die mitunter den Weg an Land und auf unsere Teller finden: Mikroplastik wurde bei Untersuchungen etwa in Muscheln, Garnelen oder den Mägen von Speisefischen entdeckt. „Gerade die Fischerei, deren Wirtschaft gesunde Meere braucht, sollte wissen, wie wichtig der Schutz der Meere ist und danach handeln“, so Maack.
Über 1000 Kilometer Geisternetze
Wer denkt, dass der Abfall, der in den Meeren landet, bei der Größe der Ozeane nicht weiter ins Gewicht fällt, liegt falsch. Laut einer Studie der Welternährungsbehörde FAO enden jährlich rund 1.250 Kilometer Fischereinetze alleine in den europäischen Meeren: Damit ließe sich nahezu die Entfernung zwischen Hamburg und Rom aufspannen. Weltweit verursacht die Fischerei mehr als eine Million Tonnen Plastikmüll im Meer – so viel bringen 5000 ausgewachsene Blauwale auf die Waage, die größten und schwersten Tiere der Erde. Und das ist sogar nur rund ein Zehntel des gesamten Plastikmülls, der in den Ozeanen landet und teils in riesigen Müllstrudeln seine Runden dreht.