Industrielle Schweineställe brandgefährlich
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Die abgebrannte Tierfabrik steht für die falsche Entwicklung der Schweinehaltung. Nun zeigt ein Greenpeace-Gutachten, dass eine Katastrophe wie in Alt Tellin jederzeit wieder passieren kann.
Trotz Regen und Gewitter demonstrierten Tierschützer:innen und Anwohnende Ende März 2023 in Alt Tellin gegen den Wiederaufbau der Schweinemastanlage. Zu präsent ist allen noch das schreckliche Ereignis von vor zwei Jahren. Wo früher Zehntausende Schweine lebten, ist heute nicht mehr viel zu sehen. Am 30. März 2021 hatte ein Großfeuer die Stallanlage von Deutschlands größtem Ferkelzüchter, der „Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland (LFD) Holding“, komplett vernichtet. Von den etwa 57.000 Tieren konnten gerade mal 1.300 gerettet werden. Die Brandursache ist weiterhin ungeklärt.
Es war der bisher größte Brand in einem industriellen Schweinestall, aber bei weitem nicht der einzige. Immer wieder bricht in solchen Anlagen Feuer aus – oft mit verheerenden Folgen. Zehntausende Tiere sind von einem qualvollen Tod bedroht, weil bei der Genehmigung und Überwachung der Ställe die rechtlichen Vorgaben zum Brandschutz und die Mindestanforderungen für die Rettung der Tiere nicht erfüllt werden.
Gutachten zeigt: Alt Tellin kann sich jederzeit wiederholen
Der Berliner Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Ulrich Werner, hat im Auftrag von Greenpeace ein Rechtsgutachten erstellt, in dem er die regelmäßigen Verstöße gegen geltendes Recht und den im Grundgesetz verankerten Tierschutz belegt. Sein bitteres Fazit: Die Katastrophe von Alt Tellin kann sich so jederzeit wiederholen. „Der im Grundgesetz verankerte Tierschutz wird offenbar systematisch den wirtschaftlichen Interessen der Fleischindustrie untergeordnet“, sagt Matthias Lambrecht, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. „Es ist unfassbar, dass diese politische Verantwortungslosigkeit zwei Jahre nach dem Fanal von Alt Tellin immer noch andauert. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist jetzt in der Pflicht, geltendes Recht durchzusetzen und Anlagen zu schließen, in denen Tausende Tiere unter Missachtung des in der Verfassung vorgegebenen Schutzgebots gehalten werden.“
Für das Gutachten wurde die Genehmigungs- und Überwachungspraxis von zehn industriellen Megaställen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen ausgewertet. Das Ergebnis zeigt, dass die Vorgaben der Landesbauordnungen nicht nur fehlerhaft ausgelegt, sondern systematisch ignoriert werden. So wurde regelmäßig die Vorgabe missachtet, in Abständen von maximal 40 Metern Brandwände zu errichten. Außerdem wurden – abweichend von den klaren Vorgaben der Landesbauordnungen – keine Anforderungen an die brandschutztechnische Bemessung der tragenden Bauteile gestellt. Damit wäre die Rettung der überwiegenden Zahl der Tiere in den untersuchten Ställen im Brandfall unmöglich. „Es gibt kein Recht auf den Weiterbetrieb dieser brandgefährlichen Anlagen“, sagt Lambrecht.
Mahnmal für eine verfehlte Agrarindustriepolitik
Noch immer gibt es zahlreiche große Schweinezuchtanlagen in Deutschland. Doch solche Agrarfabriken sind nicht mehr zeitgemäß und untragbar. „Alt Tellin steht für die perverse Entwicklung der Tierhaltung", sagte Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace nach dem Brand vor zwei Jahren. "Ohne Rücksicht auf Tiere, Natur und Menschen wurden Industrieanlagen genehmigt und gebaut, um möglichst billiges Fleisch zu erzeugen und damit Geld zu machen.” Dass die gängige konventionelle Schweinehaltung sogar tierschutzwidrig ist und somit gegen die Verfassung verstößt, hat Greenpeace im Jahr 2017 in einem Gutachten nachgewiesen. Nun beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht mit der Schweinehaltung – nachdem der Berliner Senat auf Grundlage des Greenpeace-Gutachtens eine Normenkontrollklage eingereicht hatte.
Auch wegen der Klimakrise sind solche Tierfabriken nicht mehr tragbar. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist klar, dass die Tierzahlen drastisch sinken müssen, um die Klimaziele der Landwirtschaft zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung der Bundesregierung vorgegeben, das Klimaschutzgesetz deutlich nachzubessern. Dazu gehört, die Treibhausgasemissionen in allen Sektoren, auch in der Landwirtschaft, schneller und deutlicher zu senken. Nur durch weniger Fleischkonsum und einem deutlichen Abbau der Tierhaltung werden die Klimaziele in der Landwirtschaft zu erreichen sein. Greenpeace fordert daher seit langem eine bessere Haltung mit weniger Tieren. Bäuerliche Betriebe sollten gezielt gefördert werden, um den Umbau der Ställe zu stemmen. Es sollten nur noch Neubauten genehmigt werden, bei denen die Schweine deutlich besser gehalten werden, wie zum Beispiel in Außenklimaställen und Freilandhaltung, wo sie viel mehr Platz, Luft und Wühlmaterial haben. Tierfabriken wie die abgebrannte Anlage, in die Zehntausende Tiere gepfercht werden, haben keine Zukunft mehr, wenn die Politik der Entscheidung der Verfassungsrichter:innen folgt.
„Alt Tellin ist ein Mahnmal für eine völlig verfehlte Agrarindustriepolitik in der Nutztierhaltung“, sagte Hofstetter. „Hier jetzt erneut einen Großbetrieb zu errichten und zugleich andere, vergleichbare Anlagen wie bisher weiterzufahren, zeigt, dass Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus und der Besitzer von Alt Tellin keine wirkliche Veränderung wollen.“
Dioxinfund auf umliegenden Äckern und Feldern
Die Menschen in der Region haben jedenfalls erst einmal genug von der Massentierhaltung. Ihnen wurde viel versprochen: Arbeitsplätze, Geld für die Infrastruktur. Passiert ist nichts. Stattdessen müssen sie jetzt mit den Folgen der Katastrophe leben. Die Rauchsäule war während des Brandes kilometerweit zu sehen. Die Asche landete auf den Äckern und Feldern der Region. Nach dem Brand hat Greenpeace rund um die Anlage Flugasche eingesammelt und analysieren lassen. Unabhängige Labore haben darin erhöhte Dioxinwerte festgestellt.
(Teile des Artikels wurden am 30.04.2021 erstveröffentlicht.)