Neun Klimakläger:innen ziehen vors Bundesverfassungsgericht
- Ein Artikel von Ortrun Sadik
- Hintergrund
Neun ganz unterschiedliche junge Menschen finden: Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung gefährdet ihre Grundrechte. Deshalb reichen sie Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.
Jakob Backsen ist 16 Jahre alt, Lueke Recktenwald 19, Luisa Neubauer 24, Franziska Blohm 28 und Lucas Lütke Schwienhorst ist 33. Sie alle finden: Das viel zu schwache Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vom November 2019 gefährdet ihre Zukunft und ihre Grundrechte. Ihr Recht auf freie Berufswahl zum Beispiel, weil Erderhitzung und Meeresspiegelanstieg die Existenz der Bauernhöfe ihrer Familien zerstören können. Ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben, denn Wetterextreme wie Stürme und Fluten werden zunehmen. Deshalb ziehen sie jetzt vor das Bundesverfassungsgericht. Unterstützt werden sie dabei von Greenpeace und Germanwatch.
Wer sind diese entschlossenen jungen Menschen? Die neuen Klimakläger:innen im Portrait:
Hannes, Sophie, Jakob und Paul Backsen
Die vier Geschwister Hannes (18 Jahre), Sophie (22 Jahre), Jakob (16 Jahre) und Paul (21 Jahre) Backsen stammen von der Nordseeinsel Pellworm und möchten auch in Zukunft dort leben. Ihr Hof Edenswarf ist ein Familienbetrieb aus dem 17. Jahrhundert und soll eines Tages von ihnen übernommen werden. Auf dem Hof betreibt die Familie Ackerbau und Rinderzucht. Außerdem halten die Backsens Schafe auf dem Deich und vermieten Ferienwohnungen auf der Insel. Im September 2017 stand ein Drittel von Pellworm komplett unter Wasser. Pellworm liegt zum großen Teil einen Meter unter Normalnull. Das heißt, bei zunehmenden Sturmfluten könnte die Insel nach einem Deichbruch volllaufen wie eine Badewanne. Steigt der Meeresspiegel, könnten die vorhandenen Deiche bald nicht mehr ausreichen, um die Insel zu schützen. Pellworm würde unbewohnbar, auch für die vier Kinder der Familie Backsen.
Lueke Recktenwald
Lueke Recktenwald (19 Jahre) ist Schüler und lebt auf Langeoog. Seine Familie ist seit vier Generationen auf der Nordseeinsel zu Hause und betreibt ein Hotel und ein Restaurant. Lueke spürt schon jetzt die Auswirkungen des Klimawandels: Der Anstieg des Meeresspiegels, Sturmfluten und die daraus resultierende Erosion der Dünen gefährden das Eigentum und die Heimat der Familie. Auch die Trinkwasserversorgung der Insel ist bedroht. Durch den steigenden Meeresspiegel könnte Salzwasser in die einzige Trinkwasserquelle, die sogenannte Süßwasserlinse, eindringen und diese auf Jahrzehnte unbrauchbar machen – mit gravierenden Folgen für das Leben auf der Insel. Es ist unklar, wie lange Lueke noch auf Langeoog leben kann und ob es ihm möglich sein wird, den Familienbetrieb in Zukunft zu übernehmen.
Lueke ist bereits Mitkläger der europäischen Klimaklage „People’s Climate Case“, welche eine Verschärfung der Klimaziele der EU einfordert und derzeit beim europäischen Gerichtshof in der Berufungsinstanz anhängig ist.
Luisa Neubauer
Luisa Neubauer (24 Jahre) ist Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin. Die Geographiestudentin gehört der Generation an, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts mit dramatischen Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert sein wird. In Folge der Erderhitzung werden sich Extremwetterereignisse wie Starkregen, Überflutungen oder Hitzewellen häufen und das Leben der Menschen gefährden. Die Mitbegründerin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung hat Ausbildung und Privatleben zur Zeit faktisch ausgesetzt, um sich zusammen mit Hunderttausenden ihrer Generation politisch und medial für mehr Klimaschutz einzusetzen – die erforderliche Wende in der Politik lässt allerdings weiter auf sich warten. Durch ihre Beteiligung an der Klimaklage fordert sie nun auch vor Gericht wirksamen Schutz für ihre und kommende Generationen. An der Klage beteiligt sie sich als Privatperson.
"Das Klimaschutzgesetz gefährdet unsere Gegenwart und Zukunft", so Neubauer. "Ich bin bereit, eine ausreichende Klimapolitik nicht nur auf der Straße, sondern eben auch vor Gericht einzufordern."
Johannes und Franziska Blohm
Die Geschwister Johannes (30 Jahre) und Franziska (28 Jahre) Blohm sollen einmal den traditionsreichen Obsthof ihres Vaters im Alten Land bei Hamburg übernehmen. Doch ob der Jahrhunderte alte Hof die kommenden Generationen überdauert, steht immer mehr in Frage. Im Alten Land nahe Hamburg werden auf dem Biohof neben anderen Obstsorten hauptsächlich Äpfel angebaut. Die Häufung von Extremwetter sowie bislang in diesen Breiten unbekannten Schädlingen und Obstkrankheiten machen dem Bio-Betrieb zu schaffen. So musste die Familie ihren gesamten Kirschbaumbestand roden, weil dieser von der ursprünglich im Norden nicht heimischen Kirschfruchtfliege befallen war. Auch 2019 verzeichnete der Betrieb starke Ernteausfälle – durch Sonnenbrandflecken auf den Äpfeln und Befall durch den Apfelwickler.
Lucas Lütke Schwienhorst
Lucas Lütke Schwienhorst (33 Jahre) bewirtschaftet das Gut Ogrosen in der Gemeinde Vetschau im Süden Brandenburgs. Der Betrieb hält 120 Milchkühe sowie deren weibliche Nachzucht und bewirtschaftet 440 Hektar Ackerland mit zwölf unterschiedlichen Kulturen. Im Hofladen gibt es Käse, Milchprodukte, Fleisch, Wurst und andere Erzeugnisse des Gut Ogrosens zu kaufen. Extremwetterereignisse wie die letzten Hitzesommer treffen den Betrieb hart: In den letzten zwei Dürrejahren gab es Einbußen beim Heu- und Getreideertrag von bis zu 50 Prozent. Auch die Tiere litten unter der Hitze des ungewöhnlich heißen Sommers sehr – und gaben weniger Milch. Die fortschreitende Klimakrise gefährdet das Einkommen und das Eigentum von Lucas und seiner Familie – heute schon und für zukünftige Generationen noch mehr.