Städtische Mobilität und Corona: Auto-Kollaps oder Fahrrad-Boom?
- mitwirkende Expert:innen Marion Tiemann
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In Brüssel und Bogotá, von Mailand bis Madrid gibt es neue Rad- und Fußwege für den Infektions- und Klimaschutz. Nur in Deutschland passiert zu wenig.
Wir stehen im Stau – auf Fuß- und Fahrradwegen: Menschen zwängen sich mit angehaltenem Atem aneinander vorbei, weichen aus, rochieren vor und zurück, alles mit einem entschuldigenden Lächeln und Schulterzucken – der Corona-gebotene Abstand will gewahrt werden. Doch wie wird die Straße allen Interessen gerecht, wenn auch die Gastronomen angehalten sind, ihre Gäste am besten draußen und weit auseinander zu platzierten? Die Corona-Krise zeigt deutlicher denn je, dass Straßen weniger Orte der Begegnung, als umkämpftes Terrain geworden sind: Komfortable Fahrbahnen für Pkw und Parkplätze, aber Enge auf den Bürgersteigen, Fahrradwege enden im Nirgendwo, dazu noch Baustellen an allen Ecken und auf die Autospuren ausweichen ist nicht erlaubt. Oder doch?
Corona als Chance, den Platz auf der Straße neu zu verteilen
Weltweit nutzen schon über 150 Metropolen die Corona-Krise, um den Platz auf der Straße neu zu verteilen und gleichzeitig die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Zuletzt ordnete Brüssel die Verhältnisse neu und erklärte die komplette Innenstadt zur Tempo-20-Zone. Fußgänger und Fußgängerinnen sowie Radfahrende haben Vorrang vor Autos. Mailand und Madrid widmeten zahlreiche Straßen in Fahrrad- und Fußgängerzonen um, damit sich Menschen in sicherem Abstand bewegen können. In Deutschland hat bisher nur das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Fakten geschaffen: Auf 15 Kilometern wurden Straßenspuren mit Warnstreifen, Piktogrammen oder Baustellenbarken zu so genannten Pop-up Radwegen verwandelt. Bisher ist noch keine weitere deutsche Stadt dem Berliner Beispiel gefolgt – obwohl die Straßenverkehrsordnung (StVO) dies ermöglicht. „Die rechtlichen Möglichkeiten für sichere Radwege sind da, der Bedarf auch. Was fehlt ist der politische Wille“, sagt Marion Tiemann, Verkehrsexpertin von Greenpeace.
Bundesweite Demonstration für sichere Pop-up Fahrradwege
In 30 deutschen Städten wollen daher Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace und anderen Verbänden am Samstag für neue Radwege demonstrieren. Mit Pylonen und Piktogrammen werden sie Pop-up Radwege auf Autostraßen öffnen. Sichere Radwege sollen dafür sorgen, dass Menschen Abstände einhalten können und nicht dazu gezwungen werden, ein Auto zu nutzen. Aus Angst vor Ansteckung meiden viele Menschen Busse und Bahnen - dadurch könnten allein in den deutschen Metropolen die mit dem Auto zurückgelegten Personenkilometer um bis zu 20 Milliarden pro Jahr steigen. Die Folge wären zusätzliche bis zu drei Millionen Tonnen an CO2-Emissionen. Dies zeigt eine heute veröffentlichte Kalkulation von Greenpeace. „Damit Corona nicht auch die Verkehrswende infiziert, müssen Städte jetzt mehr Platz für Radfahrende und Fußgänger schaffen“, sagt Marion Tiemann. „Mit besseren Rad- und Fußwegen können Städte einen Verkehrsinfarkt verhindern. Das ist eine riesige Chance, um beim Umstieg auf sichere, saubere und klimafreundliche Verkehrsmittel voranzukommen.“
Mit seit Jahrzehnten stagnierenden CO2-Emissionen gerät der Verkehr mehr und mehr zum Sorgenkind der deutschen Klimapolitik. Um den CO2-Ausstoß auf den Straßen zu senken, empfahlen vergangene Woche auch die Regierungsberater des Sachverständigenrats für Umweltfragen, Radfahrende und Fußgänger*innen zu stärken und Autoverkehr in Städten unattraktiver zu machen.
Städtische Mobilität nach Corona: Auto-Kollaps oder Fahrrad-Boom?
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