Waldbrände nahe Tschornobyl
- Hintergrund
Immer wieder kommt es zu Bränden in den Wäldern um Tschornobyl*. Eine große Gefahr, denn die kontaminierten Böden können dabei große Strahlung freisetzen.
Auch im Jahr 2022 brennt es in der Sperrzone um das 1986 havarierte Atomkraftwerk. Ende März meldeten die ukrainischen Behörden, dass vor Ort erneut Feuer ausgebrochen sind, seitdem flammen immer wieder kleinere und größere Brandherde auf. Waldbrände sind in der Region keine Seltenheit, aber seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Feuerwehren kaum in der Lage darauf zu reagieren: Die Kriegshandlungen erschweren die Löscharbeiten oder machen sie zum Teil unmöglich. Für die Menschen dort ist das ein gewaltiges Problem, denn die Gegend ist keineswegs so verlassen, wie man annehmen könnte: “In Tschornobyl arbeiten nach wie vor fast 2000 Leute, um diesen Reaktor zu kontrollieren und rückzubauen”, sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomkraft. “Die sind dann dieser Rauchfahne ausgeliefert.”
Waldbrände nahe Tschornobyl im Jahr 2010
Anfang April 2010 begann es in den Wäldern um Tschornobyl zu brennen, dort wo sich 1986 die große Atomkatastrophe ereignet hat. Was die Feuer in der Ukraine so gefährlich macht, sind die kontaminierten Böden. „Bei Bränden kann eine erhebliche Menge Radioaktivität freigesetzt werden“, so Heinz Smital.
Mit dem Rauch zog radioaktives Cäsium-137 sogar bis ins über 100 Kilometer entfernte Kiew. Laut Behörden lag die Belastung in der ukrainischen Hauptstadt unterhalb der Grenzwerte. An den Brandherden sah das ganz anders aus: Die Löscharbeiten konnten nicht so gezielt voranschreiten, wie das bei normalen Waldbränden der Fall wäre – die Feuerwehrleute können nicht für lange Zeit unter der hohen Strahlenbelastung arbeiten.
Feuerwehrleute sind dort noch weiteren radioaktiven Stoffen ausgesetzt: sogenannten Alpha- und Beta-Strahlern wie Plutonium-239, Americium-241 oder Strontium-90. Im Gegensatz zu Gamma-Strahlern wie Cäsium-137 lassen sich diese Alpha- und Beta-Strahler schwer an Ort und Stelle messen und verursachen durch Einatmen gesundheitliche Schäden. Die Betroffenen werden sozusagen von innen verstrahlt.
Nach etwa zwei Wochen schienen die Brände unter Kontrolle zu sein, auch Dank des einsetzenden Regens. „Wenn man sich die Wettervorhersage anschaut – die ist kalt, neblig und regnerisch – können wir davon ausgehen, dass die größte Gefahr vorbei ist“, sagte Rashid Alimov von Greenpeace Russland. „Schwelbrände der Torfböden werden sich noch eine Zeitlang fortsetzen, aber grundsätzlich handelt es sich wohl um keinen Notfall mehr.“ Alimov gab allerdings zu bedenken, dass die Wälder ringsherum trocken sind – Brände können also jederzeit erneut ausbrechen.
Die offiziellen Angaben zum Ausmaß der Feuer enthielten Ungereimtheiten – dementsprechend unklar ist, ob eine größere Katastrophe vielleicht nur knapp verhindert wurde. Die ukrainischen Behörden gaben die Fläche der Brände am 4. April mit etwa 20 Hektar an, wenige Tage später korrigierten sie die Zahl auf 35 Hektar hoch. Greenpeace zweifelte diese Angaben an – basierend auf Satellitenbildern und den Beobachtungen der Feuerwehrleute am Boden.
Bereits zwei Tage nach Ausbruch der Brände schätzten russische Greenpeace-Kolleg:innen nach Auswertung der Satellitendaten, dass tatsächlich ein Gebiet von 12.000 Hektar in Flammen stand. Zu Beginn der Woche gingen sie von insgesamt knapp 49.000 Hektar aus. Viele Greenpeace-Aktivist:innen in Russland kennen sich sehr gut mit Waldbränden aus und sind als Feuerwehrleute ausgebildet. Als sogenannte Firefighter bekämpfen sie Brandherde, die natürliche und menschengemachte Ursachen haben – und werden dafür geschätzt, aber auch von Kriminellen angefeindet.
Im November desselben Jahres kam es erneut zu Bränden in durch die Atomkatastrophe von Tschornobyl verstrahlten Gebieten. In der Gegend um die Stadt Brjansk nahe der Grenze zu Belarus und der Ukraine sollen schon vor Tagen zahlreiche Brände gezählt worden sein. Bestätigt wurden ebenfalls Brände in der Nähe der Atomanlage Majak.
Brände in der Region sind an sich nichts Ungewöhnliches – im Jahr 2010 war das Ausmaß allerdings beispiellos. Trockenheit und eine fehlende Schneedecke im Winter bereiteten dem Feuer wohl den Boden – ein globaler Trend, der auch die Ukraine betrifft.
Waldbrände bei Tschornobyl 2015
Am 26. April 2015 brach in der Nähe der AKW-Ruine Tschornobyl der schwerste Waldbrand seit 1992 aus – genau am Jahrestag der Atomkatastrophe von 1986. In der 30-Kilometer-Sperrzone um den zerstörten Reaktor waren Medienberichten zufolge rund 300 Helfer:innen im Einsatz, um das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Die ukrainische Regierung gab bald Entwarnung, doch die Torfböden in der Region drohten weiterhin durch Schwelbrände gefährlich zu bleiben. Brennender Torf ist sehr schwer zu löschen.
Nicht nur der zerstörte Reaktor wurde durch das Feuer zusätzlich gefährdet. Boden und Vegetation um das AKW sind seit dem Super-GAU schwer kontaminiert. „Viele der Feuerherde liegen südwestlich vom Reaktor, nur 15 bis 20 Kilometer entfernt“ erklärte Heinz Smital. „In dieser Gegend ist der Boden besonders hoch kontaminiert. Der Rauch kann daher stark radioaktiv belastet sein. Deshalb ist die Situation sehr ernst.“
Der strahlende Moloch in seiner Sperrzone ist auch ohne Feuer eine tickende Zeitbombe. Kommt noch Brandgefahr hinzu, ist eine weitere Katastrophe nicht ausgeschlossen. Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass im schlimmsten Fall so viel Radioaktivität wie bei einem Atomunfall der Stufe 6 freigesetzt werden könnte - auf der internationalen INES-Skala die zweithöchste Kategorie. Der Super-GAU in Tschornobyl entsprach Stufe 7.
Für die Menschen in der Region können Brände dramatische Folgen haben. Mit dem Rauch könnten erneut radioaktiv verseuchte Rußpartikel in ihre Atemluft gelangen, sich im Boden, auf Feldern und Pflanzen ablagern und so auch in die Nahrung gelangen. Je nach Wetterlage auch grenzüberschreitend. Radioaktivität aus früheren Waldbränden bei Tschornobyl wurde noch in der Türkei nachgewiesen.
Waldbrände im April 2020
Die Brände auf radioaktiv belasteten Flächen um das havarierte Atomkraftwerk Tschornobyl sind am im April 2020 wieder aufgeflammt. Von Greenpeace ausgewertete Satellitenbilder der Nasa zeigten, dass es nördlich der ukrainischen Stadt Iwankiw an drei neuen Stellen in der Sperrzone um die Ruine des Reaktors brannte.
Betroffen waren insgesamt etwa 1800 Hektar stark kontaminierte Böden. Nördlich von Korosten, einer Stadt mit 63.000 Einwohner:innen, brannte es zudem an der ukrainisch-weißrussischen Grenze auf insgesamt 18.000 radioaktiv belasteten Hektar. Durch den Wind wurde der radioaktive Rauch der Feuer derzeit nach Südosten weit über Kiew hinaus getragen. Die Rauchfahne war bis zu 300 Kilometer lang und bis zu 120 Kilometer breit. Erst nach über einem Monat konnten die Brände vollends gelöscht werden, davor sind immer wieder neue Brände entfacht.
Tschornobyl – noch immer eine Gefahr
Es ist keine neue Erkenntnis, aber man kann es nicht oft genug sagen: Die Altlasten der Atomkraft sind ein Problem, das man nicht lösen kann. „Die derzeitigen Vorfälle um Tschornobyl zeigen, dass ein Atomunfall niemals abgeschlossen ist. Die Bevölkerung kann danach nicht mehr zur Tagesordnung übergehen“, so Smital. Der Reaktor in der Ukraine war eine Gefahr, als er gebaut wurde – er ist es heute als Ruine, und er wird es auch noch für lange Zeit bleiben.
* Warum Tschornobyl und nicht Tschernobyl? In deutschsprachigen Texten sind ukrainische Städte- und Flussnamen bisher in der Regel in der russischen Schreibweise zu lesen, z.B. die „Hauptstadt Kiew“ oder der „Fluss Dnepr“. Damit folgen deutsche Medien in der Regel einer Vorgabe der Arbeitsgruppe „Transkriptionen“ deutschsprachiger Nachrichtenagenturen – die allerdings zuletzt im Jahr 2003 aktualisiert wurde.
Schon seit vielen Jahren setzen sich Menschen und Organisationen aus der Ukraine für die ukrainische Transkription von Städtenamen ein – seit 2018 gibt es eine entsprechende Kampagne des ukrainischen Außenministeriums, um auch über diesen Ansatz deutlich zu machen, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat mit einer eigenständigen Kultur und Sprache ist. Greenpeace folgt dieser Argumentation. Wir werden daher ab sofort wo möglich die ukrainische Transkription von Städte- und anderen geographischen Namen übernehmen.