Fukushima: Neue Hotspots durch Unwetter
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Neue Messungen in Japan zeigen: Nach Unwettern gibt es neue radioaktive Hotspots. Das hat auch Auswirkungen auf die Olympiade, die im Sommer 2020 in Fukushima stattfinden soll.
Es war Zufall, dass die jährlichen Radioaktivitätsmessungen von Greenpeace in der Präfektur Fukushima im Herbst 2019 ausgerechnet nach dem Taifun Hagibis stattfanden, doch der Zufall war aufschlussreich. Tagelang hatte der Sturm mit heftigen Regenfällen über Japan gewütet, große Gebiete überschwemmt. Doch nicht nur Überflutung und Schlamm machte den Menschen zu schaffen. In der Gegend um das 2011 explodierte Atomkraftwerk Fukushima führte der Sturm auch zu einer ganz anderen Gefahr: Radioaktive Partikel aus den Wäldern und Bergen waren in eigentlich von Strahlung gesäuberte Gebiete, sogenannte dekontaminierte Zonen, geschwemmt worden.
„Das Muster der Hotspots hat sich 2019 signifikant verändert“, ist die wissenschaftliche Umschreibung dieses Fakts, wie er im diesjährigen Messreport steht. Atomexperte Heinz Smital erklärt: „Nach den Messungen 2019 hatten wir an Stellen radioaktive Hotspots, an denen es vorher keine gab. In manchen Gegenden hatte sich die Radioaktivität auch insgesamt erhöht. In anderen wiederum hatte sie im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen.“ Drei Wochen lang waren ein knappes Dutzend internationale Strahlenschützer von Greenpeace in dem von der Atomkatastrophe radioaktiv verstrahlten Gebiet unterwegs, um Proben zu nehmen und Messungen durchzuführen.
Radioaktivität aus den Bergen
Auf dieses Phänomen waren die Greenpeace-Experten schon früher gestoßen: Aus den immer noch hochverstrahlten Wäldern und Bergen rund um Fukushima werden immer wieder radioaktive Partikel in die gesäuberten und zur Wiederbesiedelung freigegeben Häuser, Dörfer und Städte geweht oder mit dem Regen geschwemmt. Messungen an einzelnen Häusern wie dem von Toru Anzai in Iitate oder Mizue Kanno in Shimo-Tsushima nahe der Stadt Namie hatten schon in den vergangenen Jahren den Zusammenhang nahegelegt. Doch die diesjährigen Messergebnisse gehen über Stichproben hinaus und zeigen einen ersten wissenschaftlich belastbaren signifikanten Zusammenhang zwischen Wetterereignissen und radioaktiver Neukontamination.
Bedeutend sind die Messergebnisse auch für die Olympischen Sommerfestspiele, die dieses Jahr in Japan stattfinden sollen. Einer der Austragungsorte ist das Azuma-Stadion, das mitten in Fukushima Stadt liegt. Obwohl die Greenpeace-Experten immer nur stichprobenartige Messungen machen können und nicht die ganze Fläche kontinuierlich überwachen, fanden sie innerhalb von vier Stunden 45 radioaktive Hotspots rund um den Bahnhof von Fukushima.
Olympischer Fackellauf durch verseuchtes Gebiet
Anderer Ort, gleiches Problem: Das J-Village in Iwaki. Hier soll der olympische Fackellauf beginnen, die Sportler sollen dann durch verseuchtes Gebiet und Distrikte wie IItate, Namie und Okuma laufen. Auch hier stießen die Greenpeace-Experten bei ihren Stichproben auf etliche Hotspots. Die höchste Strahlendosis fanden die Atomexperten im J-Village selbst: Am 26. Oktober 2019 strahlte ein Fleck mit 71 Microsievert pro Stunde, also 1750-mal mehr als vor dem Supergau für diese Region üblich.
Obwohl Greenpeace sämtliche Hotspots an die japanische Regierung weitergeleitet hat, obwohl daraufhin manche Stellen dekontaminiert wurden, fanden die Greenpeace-Experten auch bei einer weiteren Messreihe im Dezember 2019 immer noch zu viel Radioaktivität in dem Gebiet. „Das zeigt, wie schlampig vor Ort dekontaminiert wurde. Wenn die japanische Regierung es nicht einmal schafft, die relativ kleinen Gebiete rund um die Austragung der Olympischen Spiele von Radioaktivität freizuhalten, dann sagt das viel über all die anderen Orte in der einstigen Sperrzone“, sagt Smital.
Spiele des Wiederaufbaus
Denn die Olympiade ist DAS Prestigeobjekt der japanischen Regierung. Es soll der ganzen Welt zeigen, dass Japan die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe im Griff hat, dass der Unfall Geschichte ist, dass man in der Todeszone von einst, leben, lachen und Sport machen kann. „Fukkou gorin“ – „die Spiele des Wiederaufbaus“ nennt Japan die olympischen Sommerspiele, eine Konjunkturspritze für die Region, eine Werbetrommel dafür, in die einstigen Evakuierungszonen zurückzukehren.
Doch genau das darf nach Ansicht von Greenpeace nicht passieren: das Zurückkehren. „Für Sportler und Besucher der Olympischen Spiele ist die Belastung durch die Radioaktivität das eine. Diese Menschen halten sich ein paar Tage, maximal ein paar Wochen in der Region Fukushima auf“, so Smital. „Doch für die Menschen, die Japan in ihre einstigen Häuser zurücklocken will, ist die Situation eine ganz andere: Die sind der radioaktiven Gefahr permanent ausgesetzt.“
Rückkehr in verstrahlte Gebiete ist unzumutbar
„Die Situation in der Präfektur Fukushima ist wahnsinnig komplex und kompliziert“, erklärt Smital. Die japanische Regierung möchte gerne glauben machen, die Region sei dekontaminiert, ein Leben dort sei ungefährlich. „Diese Behauptung ist ebenso falsch, wie wenn wir sagen würden, das Leben in der Gegend wäre immer und überall gefährlich“, so der Atomphysiker. Denn es gibt dort einerseits die von Strahlung weitestgehend gereinigten Plätze, Dörfer und Städte – und andererseits all die immer noch stark kontaminierten Dörfer und Häuser in anderen Gegenden sowie die verstrahlten Wälder in den Bergen ringsherum.
Das Heimtückische an Radioaktivität ist, dass ein kleines Körnchen Cäsium hochgradig gefährlich sein kann. Und keiner weiß, ob es da ist und wo es liegt. Ob es jetzt gerade vom Wald mit einem Windstoß durchs Fenster geweht wird. Oder ob der letzte Regen eines aus den Bergen in die Pfütze unter der Kinderrutsche geschwemmt hat. Deshalb fordert Greenpeace weiterhin, die Rückkehr in die einstigen Sperrzonen auszusetzten und niemanden zur Rückkehr zu zwingen.