12 Zwischenlager an AKW-Standorten
- Hintergrund
"Wieso Atomkraftwerke - bei uns kommt der Strom aus der Steckdose!" Dieser alte Spruch bringt auf den Punkt, dass beim angeblich so sauberen Produkt Strom das Problem des Jahrtausende strahlenden Atommülls meist verdrängt wird.
Zwischen 1998 und 2000 stellten fast alle deutschen AKW-Betreiber beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Anträge für sogenannte Standortzwischenlager. Die einzigen Ausnahmen waren die AKW Obrigheim und Stade (beide mittlerweile abgeschaltet). Die neuen Anträge wurden für die trockene Lagerung der Brennelemente in Behältern zum Beispiel vom Typ Castor V/19 für Druckwasserreaktoren bzw. V/52 für Siedewasserreaktoren gestellt. Die Zahl der Stellplätze reicht von 80 (AKW Krümmel) bis zu 192 (AKW Gundremmingen). Jeder Behälter soll 40 Jahre lang gelagert werden dürfen. Die zwölf Standortzwischenlager sind seit 2006/2007 in Betrieb.
Weltweit gibt es gegenwärtig keine endgültige Entsorgungslösung für hochaktive Abfälle. Wann und ob eine solche Lösung je gefunden wird, ist fraglich. Dadurch können alle Standortlager zu De-facto-Endlagern werden.
Das Lagerkonzept
Die Lagerung der bestrahlten Brennelemente soll nach dem Trockenlagerkonzept erfolgen, das auch in den Lagern in Gorleben, Ahaus und Greifswald umgesetzt ist. Zentrales Element der Trockenlagerkonzeption sind die Lagerbehälter. Sie sollen gewährleisten, dass der hochradioaktive Inhalt aus mehreren Tonnen abgebrannter Brennelemente von der Umwelt abgeschirmt wird. Daneben müssen die Behälter in der Lage sein, die Wärme aus ihrem Inneren nach außen abzuführen. Durch Zerfallsprozesse wird aus den abgebrannten Brennelemente im Innern der Behälter immer noch Energie frei, die so genannte Nachzerfallswärme. Kann diese Energie nicht aus den Behältern entweichen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann der Behälter undicht wird.
Obwohl sich der Begriff Castor als Synonym für Atommüllbehälter eingebürgert hat, sind auch andere Behältertypen für den Einsatz in der Zwischenlagerung vorgesehen (zum Beispiel TN 900). Castor-Behälter bestehen aus Gusseisen mit Kugelgraphit. Die Behälterwände sind etwa 40 Zentimeter dick. Sie haben in Längsrichtung innen verlaufende Bohrungen, in denen Stäbe aus Spezialkunststoff stecken. Diese Stäbe dienen der besseren Abschirmung der Neutronenstrahlung. Kühlrippen an der Außenwand des Behälters verbessern die Wärmeabfuhr. Jeder Castor wird mit zwei Deckeln verschlossen, die beide jeweils eine Metall- und eine Elastomer-Dichtung haben. Auf Dauer müssen jedoch allein die beiden Metalldichtungen den dichten Verschluss der Castoren gewährleisten.
In jedem Lagerbehälter befindet sich - je nach Typ - eine unterschiedliche Anzahl hochradioaktiver Brennelemente (beim Castor V/19 zum Beispiel sind es 19 Druckwasserreaktor-Brennelemente, beim TN 900 sind es 17 Siedewasserreaktor-Brennelemente). Brennelemente bestehen aus meist mehr als hundert dünnen, mehrere Meter langen Brennstäben, die an beiden Enden und in der Mitte mit mehreren Halterungen zusammengefasst werden.
Wenn es aus dem Reaktor kommt, enthält ein normales Uran-Brennelement neben dem Ausgangsstoff Uran radiotoxisches Plutonium (etwa ein Prozent) und eine große Anzahl hochradioaktiver Spaltprodukte wie Jod 131, Cäsium 137 und Strontium 90 (diese drei Elemente deshalb als Beispiel, weil sie den Großteil der radioaktiven Verseuchung Europas nach der Tschernobyl-Katastrophe verursacht haben). Von den Spaltprodukten und dem Plutonium geht die größte radiologische Gefahr aus. Ein Teil der Spaltprodukte (zum Beispiel Jod 131 und Krypton 85) sind gasförmig. Wird der Castor durch einen Unfall beschädigt und undicht, können die radioaktiven Gase sofort in die Umwelt entweichen.
Die Castoren werden in den Zwischenlagerhallen am Standort dicht an dicht senkrecht aufgestellt. Um die in den Brennelementen durch radioaktiven Zerfall entstehende Wärme abzuführen, haben die Seitenwände und das Dach der Zwischenlagerhalle Lüftungsschlitze. Kalte Luft strömt von der Seite zu, nimmt die Wärme der Behälter auf, steigt nach oben und entweicht durchs Dach (sogenannte Naturzug-Kühlung). Sollte einer der Behälter undicht werden, gelangt allerdings auch die Radioaktivität durch die Lüftungsschlitze sofort in die Umwelt.
Sicherheitstechnische Probleme
Ein gelagerter Castor-Behälter enthält eine Radioaktivitätsmenge von bis zu 1018 Trillionen Becquerel. Die Radioaktivitätsmengen, die in teilweise mehr als 150 Behältern gelagert werden sollen, sind entsprechend groß. Sie betragen ein Zigfaches der bei der Tschernobyl-Katastrophe freigewordenen Radioaktivität.
Die Behälter - unsicher und ungetestet: Mit beiden Behältern wurden in Deutschland noch keine Sicherheitstests - weder für mechanische noch für thermische Belastungen - durchgeführt. Zum Beweis der Sicherheit wurden lediglich rechnerische Nachweise herangezogen. Rechensimulationen müssen aber durch praktische Tests bestätigt werden, um wirklich belastbar zu sein. Hierfür ist es nicht ausreichend, sich auf mehr als 20 Jahre zurückliegende Tests mit anderen Behältertypen zu beziehen.
Problematisch ist auch die Trocknung der Behälter. Um die tödliche Strahlung abzuschirmen, werden die Brennelemente unter Wasser in die Castoren geladen. Der ganze Behälter läuft dabei voll Wasser, das anschließend abgesaugt werden muss. Durch die Ende der Neunzigerjahre übliche Beladetechnik traten Probleme mit Wasser im Deckelbereich auf. Wegen dieser Restfeuchte im Deckelbereich können die Metalldichtungen rosten. Bei den auch verwendeten Kunststoffdichtungen ist die Haltbarkeit wegen der starken Neutronenstrahlung ohnehin begrenzt.
Auch im Behälterinnenraum ist Restfeuchte problematisch, weil die Brennelemente korrodieren können. Rost kann zu Undichtigkeiten und somit zu verstärkter Freisetzung von Radioaktivität führen. Wegen immer wieder auftretender Probleme wurde das Trocknungsverfahren bereits mehrfach geändert. Erst wurde mit Silberdichtungen experimentiert, dann hieß es plötzlich, ein bisschen Feuchtigkeit sei letztendlich kein Problem und könne toleriert werden - ein fragwürdiges Ergebnis.[1]
Obwohl in den Castoren riesige Radioaktivitätsmengen lagern, wird bei dem verfolgten Zwischenlagerkonzept gegen zentrale Prinzipien der Kerntechnik verstoßen:
Das Mehrbarrieren-Prinzip
Bei Atomkraftwerken ist es Vorschrift, die Radioaktivität im Reaktorinneren durch mehrere, voneinander unabhängige Barrieren von der Umwelt abzuschirmen (zum Beispiel durch den geschlossenen Primärkreislauf, das Containment, die Betonhülle). Bei der Atommülllagerung in Zwischenlagerhallen ist der Lagerbehälter die einzige das radioaktive Inventar vollständig umschließende Barriere.
Das Redundanz-Prinzip
Aus guten Gründen muss in der Kerntechnik darauf geachtet werden, dass wichtige Systeme sicherheitshalber doppelt, das heißt redundant, ausgelegt werden. Beim Schutz gegen Radioaktivitätsaustritt aus den Zwischenlagerhallen wird hier eine unverantwortliche Ausnahme gemacht. Ein einziges Messgerät am Deckelsystem des Behälters überprüft, ob die beiden Behälterdeckel dicht sind und die Radioaktivität noch sicher eingeschlossen wird. Versagt das Messgerät, fällt die ganze Überwachung aus.
Das Diversitätsprinzip
Bei der doppelten Auslegung von Systemen muss in der Kerntechnik darauf geachtet werden, dass die Systeme auf verschiedenen technischen Prinzipien beruhen, also diversitär sind. Atombehälter, zum Beispiel aus der Castor-Familie, haben zwar zwei Deckel, doch können diese nicht als zwei voneinander unabhängige Barrieren gesehen werden, da beide auf demselben Prinzip - der Metalldichtung - beruhen. Auch das ist ein unakzeptabler Sicherheitsrabatt.
Sicherung gegen Flugzeugabsturz
Gegen Flugzeugabstürze, Explosionen oder andere sogenannte Einwirkungen von außen (EVA-Störfälle) müssen die Lagergebäude nicht ausgelegt werden. Es wird im Wesentlichen auf die Behälter vertraut. Ein schwerer Unfall, bei dem sich die Widerstandsfähigkeit dieser Behälter erweisen müsste, hat glücklicherweise noch nicht stattgefunden. Greenpeace hat in den letzten Jahren mehrere Male fundiert deutlich gemacht, dass die Sicherheitsnachweise für die Castor-Behälter nicht ausreichend belastbar sind. Ein Versagen der Behälter kann damit bei hohen mechanischen und/oder thermischen Belastungen nicht ausgeschlossen werden.[2]
In den Zwischenlagern ist zudem ein Unterschied zwischen Nord- und Süddeutschland festzustellen. Die süddeutschen Lager in Biblis, Philippsburg, Gundremmingen, Grafenrheinfeld und Isar/Ohu sind - wie die bereits existierenden Lager - in Leichtbauweise errichtet, mit Wandstärken und Decken von deutlich unter einem Meter.
Die Wände und Decken der norddeutschen Lager in Emsland, Unterweser, Stade, Brunsbüttel, Brokdorf, Krümmel und Grohnde sind dagegen stärker armiert und mehr als einen Meter dick. Sie sollen auch bei EVA-Unfällen ein Durchdringen größerer Teile verhindern. Auch dies ist aber bestenfalls eine Teilauslegung, zum Beispiel gegen einen Flugzeugabsturz. Nach einem Flugzeugabsturz kann Flugbenzin in die Halle eindringen und ein Brand entstehen. Die dabei entstehende Hitze kann ebenfalls dazu führen, dass die Behälter undicht werden.
Ein weiteres Unfallszenario ist, dass die Halle durch einen schweren Unfall zum Einsturz kommt und die Behälter verschüttet werden. Durch den Schutt kann die Kühlung der Behälter ebenfalls so stark beeinträchtigt werden, dass sich die Behälter überhitzen und die Dichtungen versagen.
Wechselwirkungen zwischen dem Atomkraftwerk und seinem Zwischenlager
Durch das Zwischenlager erhöht sich die auf dem Gelände vorhandene Radioaktivitätsmenge drastisch. Je nach Standort liegen die Erhöhungen zwischen einer Verdoppelung und einer Verzehnfachung der Brennstoffmenge auf dem Gelände. Mehr Radioaktivität bedeutet auch größere Gefährdung, falls die Radioaktivität bei einem schweren Unfall in die Umwelt gelangt.
Bei schweren Unfällen können auch Wechselwirkungen zwischen AKW und Zwischenlager auftreten. Wenn beispielsweise größere Radioaktivitätsmengen bei einem Unfall im Atomkraftwerk in die Umwelt freigesetzt werden, gelangt diese Radioaktivität auch durch die Lüftungsschlitze in das Zwischenlager und verseucht dort Halle und Behälter. Das Zwischenlager wäre dann nur noch unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen zu betreten beziehungsweise zu überwachen.
Bei schweren Einwirkungen von außen (z.B. Flugzeugzusammenstoß über dem Standort) können Sicherheitsmaßnahmen erfahrungsgemäß nicht für mehrere Anlagen gleichzeitig ergriffen werden. Für die Hilfskräfte ist es schwierig zu entscheiden, wie und wo zuerst geholfen werden muss. Hier kann es zu Fehlentscheidungen kommen.
Alles nur Prognose
Ein grundsätzliches, aber zentrales Problem bei der Atommülllagerung ist, dass alle Aussagen zum Beispiel zum Verhalten der Dichtungen, der Druckmesser, der Brennelemente, etc. über die Lagerzeit von 40 Jahre auf ingenieurtechnischen Prognosen beruhen. Reale Erfahrungen über diesen langen Zeitraum gibt es nicht. Der Castor mit der längsten Lagerzeit wurde erst 1994 beladen (Castor IIa im AKW Philippsburg).
Strahlenschutz: Die Behälter und die Lagerhallendecken/-wände können die radioaktive Strahlung nur in bestimmtem Umfang abschirmen. Außerhalb der Zwischenlagerhalle treten daher relativ hohe Ortsdosisleistungen auf. Am Anlagenzaun können nicht vernachlässigbare Strahlenbelastungen für Personen entstehen. Wie hoch diese sind, hängt je nach Standort davon ab, wie nah die Lagerhallen am Zaun stehen.
Auch wenn keine Grenzwerte überschritten werden, bedeutet das nicht, dass die Strahlung unschädlich ist. Es gibt keine Strahlendosis, die so klein wäre, dass sie keinen Schaden anrichten kann. Strahlenschutzgrenzwerte sagen deswegen eher etwas darüber aus, wieviel Strahlung man glaubt, bestimmten Personengruppen zumuten zu können. Das Problem der Strahlenbelastung wird verschärft durch die Tatsache, dass die Wirksamkeit von Neutronenstrahlung im menschlichen Körper bei den gegenwärtigen Berechnungsmethoden möglicherweise deutlich unterschätzt wird.[3]
Kungeln auf Kosten der Sicherheit
Am 14. Juni 2000 haben die damalige Bundesregierung und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) verkündet, dass sie sich über die künftige Nutzung der Atomenergie geeinigt haben. Während Rot-Grün versuchte, die vereinbarten AKW-Laufzeiten von 35 Jahren als Ausstieg zu verkaufen, sprach die Atomindustrie ganz offen von einer Vereinbarung über den langfristigen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke[4].
In der Atomvereinbarung wurde für hochradioaktive Brennelemente die Zwischenlagerung in Behältern am Atomkraftwerk als sogenannte Entsorgung festgelegt. Das bedeutet: An allen AKW-Standorten musste eine Zwischenlagerhalle errichtet werden.
Für die Errichtung der Standort-Zwischenlager mussten jeweils nach Bau- und Atomrecht Anträge gestellt und Genehmigungen erteilt werden. Für die Baugenehmigung war das örtliche Bauamt zuständig, für die atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigung das BfS.
Die Standortlager dienen dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und sind im Interesse der Atomindustrie. Sie eröffnen den Stromkonzernen die Möglichkeit, auf die teure Wiederaufarbeitung zu verzichten und von Protesten begleitete Atomtransporte in Zukunft zu vermeiden.
Schon ein Blick auf die Größe der Zwischenlager zeigt, dass die AKW-Betreiber alles andere im Sinn hatten als einen Ausstieg. Es ist offensichtlich, dass hier Atommüll-Lagerkapazitäten für zig Jahre Reaktorlaufzeit geschaffen wurden.
Greenpeace fordert:
Das Atommüllproblem darf nicht länger per Zwischenlagerung vertagt, sondern muss begrenzt werden. Das heißt Abschaltung der Atomkraftwerke, spätestens wenn die vorhandenen Abklingbecken voll sind.