Plastikmüllexporte in die Türkei
- Ein Artikel von Michael Weiland
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Eine leere Packung Gummidrops von Em-Eukal, eine Plastiktasche der Drogeriekette Rossmann, Einwegverpackungen von Edeka, Lidl und Aldi – was ein Greenpeace-Rechercheteam bei der Untersuchung illegaler Mülldeponien gefunden hat, klingt zunächst nicht sonderlich bemerkenswert. Der Fundort ist es aber schon: rund um die Stadt Adana im Südosten der Türkei. Wie gelangt eindeutig deutscher Müll in eine türkische Provinz, die rund 3000 Kilometer von Berlin entfernt liegt?
Das liegt daran, dass Plastikmüllexporte ein gutes Geschäft sind. Insbesondere für Deutschland: EU-weit war die Bundesrepublik 2019 der größte Exporteur von Kunststoffabfällen. Das ergibt deswegen wirtschaftlich Sinn, weil Plastikmüll als Rohstoff gilt – eigentlich soll nur recyclingfähiges Material verschifft werden, um im Zielland dann wiederverwertet zu werden. Doch die Wahrheit sieht anders aus und lässt sich in Adana dokumentieren: Auf wilden Deponien landet unsortierter Verpackungsabfall, der zum Teil schlicht verbrannt wird – mit erheblichen Gesundheitsfolgen für Land und Leute.
Keine Besserung in Sicht – im Gegenteil
Besonders erschreckend für das Greenpeace-Team vor Ort: das Problem verschlimmert sich zusehends. Bereits im vergangenen Jahr konnte Greenpeace illegale Müllhalden in der Türkei dokumentieren, und obwohl politische Maßnahmen ergriffen wurden, wachsen die Müllhalden weiter. Im Januar 2021 trat in der Türkei ein umfassendes Importverbot für Kunststoffabfälle in Kraft, das den Import von Gemischen sowie “mechanisch sortierten” Kunststoffen untersagt. Doch es zeigt offenbar wenig Wirkung, wie an einem aktuellen Beispiel ersichtlich ist.
Laut Medienberichten lagern noch mindestens 140 Container mit Abfällen aus dem Gelben Sack in vier verschiedenen Häfen in der Türkei, 108 davon hat das Berliner Entsorgungsunternehmen Alba verschickt. Ursprünglich handelte es sich sogar um noch mehr Müll: Acht Container sind zurück in Hamburg, 37 wurden offenbar auf dem Weg in die Türkei in Antwerpen aufgestoppt und teilweise zurückgeschickt. “Deutscher Müll muss in Deutschland behandelt werden, er hat in der Türkei nichts zu suchen”, sagt Manfred Santen, Greenpeace-Experte für Chemie. Die meisten Container enthalten offenbar vorsortiertes PET, vermutlich Umverpackungen. “Ein Großteil dieses Mülls ist nicht recycelbar, der Export verstößt gegen geltendes deutsches und europäisches Recht”, so Santen.
Neben Ländern wie Malaysia oder Indonesien leidet die Türkei derzeit am stärksten unter der internationalen Plastikflut. Nachdem China, einer der größten Abnehmer von Plastikabfall aus aller Welt, vor einigen Jahren einen Einfuhrstopp verhängte, wurde der Müll nicht plötzlich weniger: Seitdem wachsen vor allem in Südostasien, aber eben auch in Adana, die Deponien. Viele davon illegal, ohne ein Verwertungskonzept für den Müll aus Deutschland oder Großbritannien – Abfall, den die Menschen der Region Adana nicht produziert haben, der sie aber schlimmstenfalls krank macht.
Recyclingweltmeister Deutschland? Von wegen!
Deutschland klopft sich derweil für seine 99,4 Prozent Verwertungsquote beim Plastikmüll selbst auf die Schulter. Wie passt das zusammen? Das liegt an der sehr weit gefassten Definition von Verwertung. Rund die Hälfte wird verbrannt (“energetische Nutzung”), während 46,6 Prozent werk- und rohstofflich verwertet werden. Tatsächlich wird aber nur ein Bruchteil als Rezyklat tatsächlich wiederverwendet. Unmengen werden als vermeintlicher Recycling-Rohstoff außer Landes geschafft. 2020 exportierte Deutschland rund eine Million Tonnen Plastikmüll in andere Länder: ein Volumen, für das man 46.000 Container benötigt.
Unser Müll und unser Konsumverhalten hat Auswirkungen auf die gesamte Welt. Wir müssen etwas daran ändern, schnell und grundlegend. Die Türkei darf nicht zur Müllhalde Europas werden.
Zeit zu handeln!
Greenpeace fordert:
- Die Bundesregierung muss umgehend dafür sorgen, dass die Regelungen der Basler Konvention eingehalten werden. Sie muss den Export von unrecycelbaren Abfällen verhindern, die in den Ländern des Globalen Südens die Gesundheit der dort lebenden Menschen gefährden und die Umwelt verschmutzen.
- Die betrügerischen und illegalen Praktiken der Plastikmüllindustrie müssen von der Justiz eingehend untersucht werden. Wer wissentlich Plastikmüll an unlizenzierte Deponien liefert, muss mit wirksamen Strafen rechnen.
- Wir brauchen ein globales Abkommen zur Bekämpfung der Plastikflut – ein internationales Bewusstsein, dass es so nicht weitergeht.
- Wir müssen es schaffen, die gewaltige Menge an Plastik zu reduzieren. Dazu müssen Einwegkunststoffe Schritt für Schritt vom Markt verschwinden.
- Das geht nicht ohne die Hersteller. Sie müssen Mehrwegkonzepte entwickeln und die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte sicherstellen.
- Die Bundesregierung muss die Länder des Globalen Südens bei der fachgerechten Entsorgung und Sanierung von wilden Deponien unterstützen.