Bordtagebuch: Zum Müllstrudel im Nord-Pazifik
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Seit Jahrtausenden werfen Menschen ihren Dreck ins Meer. Doch solange dieser Dreck mengenmäßig überschaubar und aus biologisch abbaubaren Substanzen bestand, war diese Tatsache zwar nicht schön, aber Bakterien, Wellenschlag und UV-Licht sorgten für dessen Abbau. Dies änderte sich mit der Einführung langlebiger Plastikprodukte - mit fatalen Folgen für die Umwelt. Thilo Maack, Meeresexperte bei Greenpeace, war mit der Esperanza bei einem Hot-Spot im Nord-Pazifik.
24. Oktober 2006 Liebe Meeresschützer, ich bin Thilo Maack, Meerescampaigner bei Greenpeace Deutschland und in den nächsten Wochen an Bord der Esperanza, um den US-amerikanischen Teil der SOS-Weltmeertour zu begleiten.
Die Reise wird uns in den Nord-Pazifik führen, wo ein gigantischer Müllteppich im Meer treibt, der mittlerweile die Größe Zentraleuropas erreicht haben soll. Eine einzigartige Ringströmung hat in dieser Region den Müll im Meer über die Jahre aufkonzentriert, so dass man getrost von einem Müll-Strudel sprechen kann. Besonders die nur sehr langsam abbaubaren Plastikanteile haben verheerende Konsequenzen für die Tierwelt und stellen ein ernsthaftes Problem für die gesamte Meeresregion dar.
Als gelernter Meeresbiologe werde ich an Bord unter anderem für das Nehmen und Sortieren von Planktonproben verantwortlich sein. Die Nachricht, dass ich bei diesem Tourteil der Esperanza-Reise dabei sein kann, kam relativ spät und ich hatte große Schwierigkeiten, das notwendige Visum dafür zu bekommen. Die US-Regierung macht es einem nicht grade leicht und ich musste bis zum allerletzten möglichen Tag warten, bis ich endlich grünes Licht für diese Reise bekam. Vor zwei Tagen bin ich in Honolulu/Hawaii angekommen und kämpfe seitdem mit dem Zeitunterschied von zwölf Stunden.
Gestern haben wir einen Strand im Norden der Hawai-Insel Oha'u vom Müll befreit. Wahrscheinlich ist befreit nicht das richtige Wort. Man bekommt den Eindruck, der Strand wäre hinterher sauber gewesen. Doch das ist unmöglich. Meterhoch stapelt sich der Müll: Styroporboxen, Teile von abgerissenen Fischernetzen, ein kompletter Kühlschrank und immer wieder tote Seevögel finden sich an diesen Stränden des dem Wind zugewandten Inselteiles soweit das Auge reicht.
Nur wenige Kilometer davon entfernt liegen die Strände, die Hawai in der Surferszene weltberühmt gemacht haben. Dort brechen sich bis zu vier Meter hohe, lang ausrollenden Wellen, die hunderten von Surfern alljährlich den ultimativen Adrenalin-Kick beschehren. Sicher, die Strände sind wunderschön und das Wasser und die Sonne einmalig, allerdings braucht es ein gerütteltes Maß an Ignoranz, um die Kehrseite dieses leichten Lebens auszublenden.
Mit für dieses Mal nachdenklichen Grüßen und bis morgen, Thilo
25. Oktober 2006 Hallo zusammen, noch liegt die Esperanza im Hafen von Honolulu und es ist ein wenig schwer, mich mit den 22 Crewmitgliedern bekannt zu machen. Sie sind jede freie Minute an Land und genießen es, sich die Beine zu vertreten, viel und lang zu essen und in das frisch gezapfte Bier habe ich auch noch keinen reinspucken sehen.
Ich habe schlechte Geschichten über unseren amerikanischen Koch gehört. Ich kann es noch nicht beurteilen, aber viele Crewmitglieder nehmen zurzeit jede Mahlzeit in einem der zahllosen Restaurants entlang der Pier ein. Scheint mir kein gutes Zeichen zu sein, wir werden sehen.
Gestern Abend haben wir die hawaiianischen Greenpeace-Förderer und die ansässigen Umweltschutzorganisationen zu einem Fest auf dem Helikopter-Deck eingeladen. Ich war überrascht wie gut informiert und interessiert die Leute über unsere Arbeit waren.
Mit einem älteren Herrn habe ich mich von der Greenpeace-Entstehungsgeschichte bis zur SOS-Weltmeertour langsam voran gearbeitet. Natürlich gab es jede Menge Redebeiträge und das Mikrophon wurde von einem zum anderen weitergereicht.
Dann ging eine in klassische Blumenmusterstoffe gehüllte, atemberaubend schöne, Hawaianerin zum Mikrophon und begann ihren Beitrag mit einem hawaiianischen Lied. Ich hab schon immer Leute bewundert, die den Mut haben in Mikrophone zu singen. Aber das, was sie vorgetragen hat, sowas habe ich selten gehört.
Auf einmal war es mucksmäuschenstill an Deck. Jeder lauschte und ich habe keinen gesehen, der nicht vom Klang der glasklaren Stimme und der exotischen Sprache beeindruckt gewesen wäre. Jeder fühlte sich für einen Moment berührt von der uralten polynesischen Kultur, die auf den hawaiianischen Inseln immer mehr von der amerikaischen Schnelllebigkeit verdrängt wird.
Später wurde mir erklärt, dass das Lied ein Gruß an den warmen Regen war, der in dieser Jahreszeit typischer Teil des Inselwetters ist. Der Abend plätscherte dahin, die Stimmung war großartig und einen besseren Anfang hätte dieser Reiseteil nicht haben können.
Morgen geht es endlich los. Ich will noch keine Details verraten, aber wir planen eine kleine Aktivität an einem der nördlichen Strände. Schaut doch mal wieder rein. Ich werde berichten.
Soweit, Thilo
27. Oktober 2006 Bevor wir uns mit der Esperanza von Honululu auf den Weg in den Nordpazifik gemacht haben, sind wir noch einmal an einen der Nordstrände Hawaiis gefahren. Obwohl wir ihn erst vor vier Tagen gesäubert haben, war der Strand erneut unter Müll begraben.
Ich frage mich, ob es eine negative Form von dem Wort Strandgut gibt. Vielleicht Strandschlecht? Das wäre viel passender, da fast nichts von dem, was das Meer an diesen Strand gespült hat gut war.
Mit insgesamt 20 Leuten haben wir ein Strandstück von gut 500 Metern Länge in vier Stunden nicht mal annähernd reinigen können. In dem immer größer werdenden Müllhaufen steckten: Fischernetze, Fischerbojen, Fischfallen, Golfbälle, Feuerzeuge, Plastikflaschen, Schraubverschlüsse, Zahnbürsten, Bauarbeiterhelme, Kanister, Plastikdosen, Bierkisten, Blumentöpfe, Schilder, Plastikgabeln, Plastiklöffel, Elektrosicherungen, Eimer, Styroporboxen, Kabeltrommeln, Regenschirmgriffe, Plastikteller, Plastikschnüre, Plastikdeckel, Einmalrasierer, CD-Hüllen, Spülbürsten ... - und seid euch sicher, ich kann die Liste noch beliebig verlängern.
Besonders erschreckend für mich sind die vielen Fischernetze, die wir am Strand gefunden haben. In vielen Fällen handelt es sich dabei nicht etwa um abgerissene Netze, die wochen-, monate- oder sogar jahrelang im Meer treiben, bevor sie an die Strände gespült werden. Vielmehr werden alte Netze und Netzreste zusammengebunden, mit einem Sender versehen und dann bewusst ausgesetzt. Die im freien Ozean schwimmenden Fische suchen generell gerne Schutz unter großen, im Wasser treibenden Gegenständen.
Dies gilt auch für diese zusammengebundenen Netze. Die Fische können nicht ahnen, dass diese Art von Schutz ihren sicheren Tod bedeutet. Mit Hilfe der Sender werden die Netze von den Fischern aufgespürt und die Schutz suchenden Fische gefangen. Aber die Sender reißen oft ab und die Netze verloren verloren. So landen sie zum Beispiel an den Stränden Hawaiis. Eine Riesensauerei!
Nach unser Strandreinigung ging es mit Schlauchbooten zurück auf die Esperanza. Ja, und dann ging es los! Jetzt sitze ich in unserem Kampagnenbüro, nahe der Schiffsbrücke und das zunächst sanfte, sehr angenehme Schaukeln wird zunehmend stärker. Ich muss euch hier und jetzt schnell verlassen, denn wenn ich noch fünf Minuten länger auf diesen Bildschirm schaue, wird mir sicher schlecht! Deshalb beende ich mein Tagebuch für heute. Also, bis bald!
Thilo
29. Oktober 2006 Wir haben schlechtes Wetter. Eigentlich verwunderlich, da dieser Teil des Pazifiks eigentlich als der Stille Ozean bekannt ist. Die Bilder von Booten mit schlaffen Segeln in bleierner, endloser Wasserwüste stammen aus dieser Region. Ich war verwundert zu sehen, wie viele Leute gestern und heute seekrank waren.
Darüber habe ich mich mit unserer spanischen Schiffsärztin Conchi unterhalten. Ich wollte z. B. wissen, wie das Wetter denn in den vergangen Wochen so war. Sie erzählte mir, dass es in den zwei Monaten, die sie an Bord ist, noch nie so schlecht gewesen ist. Das darf darf doch wohl nicht wahr sein, oder! Dabei ist der Wind heute eher eine heftige Brise als ein Sturm.
Anschließend habe ich mir mal die Reiseroute der vergangenen Wochen angeschaut: Immer schön in Äquator-Nähe, da kann man ja gar nicht seekrank werden. Dennoch Conchi ist einiges gewohnt, sie hat viele Jahre in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Alicante gearbeitet. Und an Bord hat sie auch schon schwere Wunden genäht und verbunden. Dennoch, gestern und heute war sie auch ein bisschen grün um die Nase.
Da heute Sonntag ist, hat unser Koch seinen freien Tag und ein anderes Crewmitglied hat den Job übernommen, für die 32 Leute an Bord zu kochen. Heute war Charles dran. Er ist eigentlich als Wissenschaftler an Bord gekommen. Ich werde ihn Euch noch später noch persönlich vorstellen. Aber wichtig ist: Das Essen war fantastisch!
Alle haben mehr gegessen als nötig (an Sonntagen ist das erlaubt). Charles hat um sein Leben gekocht. Er hat alles gegeben und mehr als als Stunden in der Kombüse verbracht. Zwischenzeitlich waren mehr als 6 Leute involviert, haben geschnippelt, geschält, gerieben und zermörsert. Das Ergebnis war, wie gesagt, einfach wunderbar. Zum Mittagessen gab es Pfannekuchen zum Abendessen Reis und Tofupfanne. Nur irgendwie verwunderlich, dass der eigentliche Koch die Leute hier nicht so glücklich macht.
Den Nachmittag habe ich damit zugebracht, meine Tauchsachen zu ordnen. Ich werde mit unserem Unterwasserkameramann zusammen arbeiten, für genug Licht sorgen und nahe der Oberfläche schwebende Planktonorganismen sammeln. Offenbar ist es mittlerweile so, dass verschiedene Meerestiere kleine Plastikpartikel in ihre Körper einbaurn. Im Wasser sieht man zwischen dem ansonsten durchsichtigen Körpergewebe der Tiere rote, blaue, grüne, gelbe Pünktchen - Plastik, was die Tiere aufgenommen haben.
Um entsprechende Bilder machen zu können, brauchen wir Licht. Licht braucht Strom bzw. Batterien. Und bekanntlich sind Batterien und Wasser keine guten Freunde. Die Batterien sind in einem wasserdichten Gehäuse untergebracht. Sie müssen eine Weile halten und sind in zwei vollkommen unhandliche insgesamt 15 Kilo schwere Plastikröhren untergebracht. Die werden dann an der Tauchflasche befestigt. Mal sehen, wie sich das im Wasser anfühlt.
Morgen machen wir den ersten Tauchgang. Alle sind gespannt, wie es sich anfühlt, beim Tauchen mehr als 2000 Meter Wasser unter sich zu haben. Morgen abend werde ich euch berichten.
Viele Grüße, Thilo
1. November 2006 Ein Teil unserer Arbeit findet Unterwasser statt. Wir wollen zeigen, dass viele Planktonorganismen mittlerweile kleine Plastikteile in ihr Körpergewebe einbauen.
In erster Linie betrifft dies Tiere, die sich von dem ernähren, was sie aus dem Wasser filtern. Dazu gehören Staatsquallen oder sogenannte Salpen. Die hier vorkommenden Arten sind mehrere Zentimeter lang und dick. Da ihre Körper aus eher glibberiger, gelatineartigem Gewebe bestehen, sind sie sehr empfindlich und können zum Beispiel nicht in einem Planktonnetz gefangen werden ohne zu riskieren, sie zu zerstören. Daher müssen sie auf anderem Wege gesammelt werden.
Wir tun dies, in dem wir sie vorsichtig in Plastikrohren einfangen. Tja, und dazu müssen wir uns unter Wasser begeben, also tauchen. Klingt erstmal gar nicht schlecht. Jeder denkt sofort an Korallenriffe, bunte Fische, Sommer, Sonne, Meer. Doch hier, viele hundert Seemeilen vom Land entfernt, mittem im Nord-Pazifik, ist das etwas anderes.
Mit Wassertiefen von 5000 Metern und Sichtweiten von bis zu 100 Metern verliert man leicht die Orientierung. Wir halten uns daher an die Methode, die Wissenschaftler entwickelt haben, um unter diesen Bedingungen sicher zu tauchen. Dabei halten wir ständig Kontakt mit einem Sicherungstaucher, der in einer bestimmten Wassertiefe wartet und uns und unsere Umgebung im Auge behält.
Da die Planktontiere, die wir fangen wollen, nachts in Wasseroberflächen-Nähe kommen, gehen wir um diese Zeit tauchen. Das Wasser ist also tief und sehr klar. Aber wir haben relativ wenig davon, denn außerhalb der Lichtkegel unserer Lampen ist tintenschwarze Nacht. Ein komisches Gefühl.
Trotzdem fühle ich mich im Wasser sicher. Sabine unsere Schlauchbootfahrerin ist ständig in unserer Nähe und lässt uns nicht aus den Augen. Sie hat ständig Funkkontakt zur Esperanza, um im Notfall schnell Hilfe herbeiholen zu können.
Morgen früh wollen wir das erstemal versuchen, einige dieser Tiere sicher an Bord in unser Labor zu bringen, um sie untersuchen zu können. Wenn wir damit fertig sind, werden wir sie wieder in die Freiheit entlassen.
Natürlich sammeln wir auch weiter Plastikabfall, der eigentlich ständig irgendwo in unserer Nähe treibt. Heute sind beispielsweise ganz witzige Bilder von einer im Meer treibenden Zahnbürste oder Fischen, die Schutz in einer alten Getränkekiste Schutz suchen, aufgenommen worden. Je näher wir dem Müllstrudel kommen, um so mehr Müll treibt im Meer.
Das war's für heute, bis bald, Thilo
2. November 2006 Je näher wir dem Müllstrudel kommen, um so mehr Plastikteile sehen wir an der Esperanza vorbei treiben. Wir lassen für mehrer Stunden täglich Schlauchboote zu Wasser, um diesen Müll von der Meeresoberfläche abzusammeln. Ähnlich wie am Strand von Hawaii treibt buchstäblich alles an uns vorbei, was aus dem langlebigen Plastik hergestellt wird.
Heute morgen zum Beispiel ein weißer Bauarbeiterhelm. Charles ist sofort mit seiner Schnorchelausrüstung ins Wasser gesprungen, um zu erkunden, ob sich schon verschiedene Meerestiere in der Nähe des Helmes versammelt haben.
Das passiert mit nahezu allen Gegenständen, die an der Oberfläche treiben und kleinen Fischschwärmen, Krebsen und Anemonen Schutz bieten. In diesem Fall trieb der Helm wie eine Suppenschüssel an der Wasseroberfläche. Er kann noch nicht besonders lange vor sich hin getrieben sein, denn noch nicht einmal seine Unterseite war von Algen oder Moostierchen überzogen.
Als wir allerdings von oben in den Helm schauten, fanden wir einen einzelnen Fisch. Er war dem Helm offensichtlich eine zeitlang gefolgt, hatte sich - vielleicht als ein größere Fisch in die Nähe kam - unter dem Helm versteckt und wie es der dumme Zufall dann wollte, kam eine Welle oder eine Bö und drehte den Helm auf den Kopf. Dabei landete der Fisch im Helm.
So oder so ähnlich könnte es gewesen sein. Was dem wohl im Kopf rumging, als sich ein riesiges Gesicht über den mit ein wenig Seewasser gefüllten Helm beugte? Was auch immer, ich habe ihn mir etwas näher angesehen - es war ein kleiner Pilotfisch - und ihn in die Freiheit entlassen.
Der Helm liegt jetzt auf dem Achterdeck bei all dem anderen Müll, den wir im Laufe der Tage aus dem Meer gefischt haben. Alles wird im Hafen von San Diego entsorgt und hoffentlich in irgendeiner Form recycelt.
Bis bald, Thilo
3. November 2006 Seit einigen Stunden gibt es keinen Internetzugang. Irgendwas stimmt nicht mit der sogenannten V-Satellitenanlage. Also alles zurück zu den Zeiten, als an Bord nur alle paar Stunden Elektropost runtergeladen werden konnte und nicht ständig das Telefon klingelte. Fühlt sich gar nicht so schlecht an. Man merkt dann vielmehr in was für einem Mikrokosmos man sich hier befindet.
Wir haben jeden Tag für mehrere Stunden Schlauchboote im Wasser, um große Plastikteile, vor allen Dingen aber abgerissene Netze zu bergen. An vielen dieser Netze haben sich mittlerweile kleine Tiergemeinschaften versammelt: Anemonen, Krebse, kleine Fische. An einem abgerissenen Netz habe ich sieben verschiedene Fischarten gezählt.
Ron, ein amerikanischer Kollege, fragt mich ob wir die Netze nicht besser im Wasser lassen. Ich sage nein und versuche zu erklären, dass im Laufe der Jahre das Plastikmaterial in immer kleinerer Fraktionen zerschlagen wird, um schließlich in Mikropartikel zu zerfallen.
Diese treiben dann im Wasser, werden von Planktonorganismen aufgenommen, Fische fressen das Plankton, größere Fische fressen die Fische und so weiter und so weiter. Da sich an die Plastikteile viele Umweltgifte anlagern, findet auf dem Weg durch die Nahrungskette eine regelrechte Anreicherung dieser Gifte statt. Die Tiere am Ende der Nahrungskette kriegen die höchste Dosis.
Das Essen an Bord ist nach wie vor - ähm, nicht so gut. Das war jetzt sehr diplomatisch, aber ich kann es leider nicht anders sagen. Die Musik, die bei den Essensvorbereitungen aus der Kombüse schallt ist dagegen wunderbar: The Who, Quadrophenia war heute dran. Wer die Scheibe noch nicht kennt, sollte sich mal bei Google umtun oder direkt die CD kaufen. Leider ist die Musik noch das beste, was aus der Küche kommt...
Soweit erstmal. Morgen werden wir bei einem größeren Geisternetz tauchen. Seine Position wurde uns von der amerikanischen Luffahrtbehörde mitgeteilt. Das Tagebuch dazu solltet ihr nicht verpassen!
Ein lieber Gruß, Thilo
4. November 2006 Eigentlich hatte ich Euch eine Geschichte zum Tauchen an Geisternetzen versprochen. Doch es kam ganz anders. Geisternetze sind Netze, die ihren Besitzern entweder verloren gingen oder absichtlich im Meer entsorgt wurden. Viele treiben Jahre, sogar Jahrzehnte in den Weltmeeren herum und fangen weiter Fische. Doch niemand nutzt den Fang.
Schließlich sinken die Netze unter dem Gewicht der gefangenen
Meerestiere auf den Meeresboden. Dort verottet der Fang und das Netz
steigt wieder an die Oberfläche. Der Fang geht weiter. Ein solches Netz wurde von der amerikanischen Luftfahrbehörde letztes Jahr mit einer Satelliten-verfolgbaren Boje versehen, um die Driftmuster solcher Netze im Nordpazifik zu bestimmen. Gestern haben wir nun diese Boje auf unserem Weg nach San Diego aufgespürt.
Wir sind mit einem Schlauchboot hin gefahren, Dave war als erster im Wasser. Ich konnte es gar nicht abwarten, Flossen, Maske, Tauchflasche, Atemregler rein - es ging mir fast nicht schnell genug. Kurzer Blick hinter mich und schon war ich im Wasser, um mir das Netz aus der Nähe anzusehen und dann - nichts!
Das verdammte Ding muss abgerissen sein! Lediglich ein paar alte Tampen (Seile) hingen an der Boje. Meine Enttäuschung war (nein, eigentlich ist!) riesengroß, da ich gehofft hatte, wir können das Netz bergen und dadurch unschädlich machen. Außerdem hätte ich sehr gerne gesehen, welche Fischarten sich im Laufe des Jahres dort zu Hause fühlen. Danach hab ich eine Weile Frust geschoben doch der Teamgeist hier ist groß und heute geht es schon wieder besser.
In unserer Messe (Ess- und Aufenthaltsraum) haben wir eine Weltkarte. Kleine Modellschiffe unserer Flotte (Arctic Sunrise, Rainbow Warrior, Esperanza) markieren den momentanen Aufenthaltsort. Ich verbringe ganze Abende mit Dave unserem Kameramann und Nolan unserem Chef-Ingenieur vor dieser Karte.
Wir lassen dann Urlaube, Besuche und natürlich Greenpeace-Aktionen Reveu passieren. Fast jeder Satz fängt an mit: Ich war mal in .... dann kommt der Name einer Stadt, eines Landes oder einer Insel, die ich manchmal gar nicht kenne und die auf der Karte nur ein Stecknadelkopf-kleines Pünktchen ist. Und dann, wie kann es anders sein, eine wunderbare Geschichte.
Natürlich gibt es auch die Wendung: Ich möchte irgendwann nochmal
nach.... dann wieder Stadt, Land oder Insel. Diese Art von Träumerei liegt warscheinlich an dem undendlichen Freiheitsgefühl, dass man auf Schiffen, weit draußen auf dem Meer entwickelt. Ich mag das sehr.
Frank unser Kapitän wird heute abend kochen. Dann schallt schlechter holländischer 70er Jahre Rock aus der Küche. Meistens gibt es Fish und Chips und für die Vegetarier Tofu mit Chips. Ich gehe davon aus, dass es auch heute der Fall sein wird - bis jetzt hat mich Frank noch nie enttäuscht.
Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende! Ich melde mich wieder wenn die Schalker den Bayern hoffentlich die Hosen ausgezogen haben!
Es grüßt Thilo
7. November 2006 Ich habe mich heute gefragt: "Wie oft braucht ein Schiff eigentlich einen neuen Anstrich?" Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: "Immer!" Man kann sich gar nicht vorstellen, wieviele Leute wieviel Farbe auf einem Schiff verarbeiten.
Ich habe Miguel, einen von den vielen Matrosen an Bord, gefragt, was man alles beachten muss, wenn man ein Schiff streicht. Miguel erzählte mir, dass man sich zunächst mal grundsätzlich damit abfinden muss, niemals fertig zu werden. Arbeitet man sich von hinten (dem Heck des Schiffes) bis nach vorne (dem Bug) vor und ist dann dort fertig, kann man direkt hinten wieder anfangen.
Salzwasser und Stahl sind nunmal keine Freunde. Die Matrosen oder Deckhands wie wir hier sagen, sind den lieben langen Tag mit dem Streichen des Schiffes beschäftigt. Das scheint eine Wissenschaft für sich zu sein. Und die geht so: Zunächst hält man mal Ausschau nach Rostbeulen bzw. bereits geplatzten Rostbeulen, die sich deutlich von der ansonsten glatten Oberfläche des Schiffes abheben. Im Falle einer geplatzten Rostbeule ist die Suche einfach, da Rost nunmal eine recht eigene Farbe hat.
Einmal identifiziert geht es dem Rost mit einem Bohrmaschinen ähnlichen Gerät an den Kragen. Es wird mit Druckluft betrieben und statt des üblichen Drehteiles einer Bohrmaschine ragen ungefähr zehn stricknadelgroße Drähte aus dem Ding heraus. Unter dem Einfluss der Druckluft hämmern diese Drähte auf den Rost ein, was ein ziemliches Spektakel erzeugt, den das Deck als Resonanzkörper noch extrem verstärkt. Deswegen tragen alle Matrosen (und alle die in der Nähe sind) einen Gehörschutz.
Das getan kommt entweder eine Flex oder eine maschinell betriebene Stahlbürste zum Einsatz - etwas weniger laut dafür aber umso staubiger. Der dritte Arbeitsschritt besteht im Auftragen eines ersten Vorstriches mit dem Pinsel. Der ist meistens rot, damit er sich von der Umgebungsfarbe abhebt und die alte Roststelle leicht erkannt werden kann. Dann ein zweiter Anstrich, diesmal in grau.
Schließlich kommt die geschwünschte, finale Farbe drauf und die vormalige Roststelle wird wieder Teil des Schiffes. Das sind fünf manchmal sogar sechs Arbeitsschritte, die mehrere Tage in Anspruch nehmen können. Kein Wunder, dass alle Crewmitglieder zur Esperanza eine ganz persönliche Beziehung haben. Unnötig zu erwähnen, dass wir natürlich pingelig mit der Auswahl unserer Farben sind, da sie unseren Ökostandards entsprechen müssen.
Mit jedem Tag nähern wir uns unserem nächsten Stop der Reise: San Diego in Südkalifornien. Wind und Wellen nehmen zu. Mittlerweile hat sich jeder an das Schaukeln und Rollen gewöhnt und die Gesichter bleiben rosig. Es bleiben noch fünf Tage auf See. Schade, dass es bald vorbei ist.
Es grüßt Euch, Thilo
9. November 2006 3:50 Uhr: Mein Wecker klingelt. Kopf und Körper finden das viel zu früh zum Aufstehen. Das hilft leider nicht, ich muss trotzdem hoch.
Ich habe Mary Anne versprochen, ihre Wache von vier bis acht Uhr zu übernehmen. Das Wachsystem auf der Esperanza läuft wie auf allen Schiffen: Es gibt insgesamt sechs Wachen, jeweils im Vierstundenrhytmus. Also von null bis vier Uhr, dann von vier bis acht Uhr, acht bis zwölf Uhr usw.. Jede Wache wird von zwei Leuten übernommen, einem Maat, der die ganze Zeit auf der Brücke - dem Steuerhaus des Schiffes - bleibt und einem Wachgänger. In diesem Fall ich.
Mein Job besteht darin, jede Stunde einen Schiffsrundgang zu machen und zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Ob alles an seinem Platz, alles gut gesichert ist, nirgendswo Feuer ausgebrochen, alle Feuertüren für den Fall der Fälle fest geschlossen sind. Eigentlich ist die Wache am frühen Morgen für mich die Schönste. Alles ist ruhig, das Schiff schläft.
Mit Taschenlampe bewaffnet mache ich mich auf den Weg. Zunächst führt mich mein Rundgang in alle Kabinen mit elektrischen Geräten. Dazu gehören die mit Foto- und Videoequipment, das Kampagnenbüro mit insgesamt sechs Computern und vor allen Dingen der Funkraum. Hier blinkt und säuselt es aus jeder Menge Geräten, die unsere 24-stündige Online-Verbindung sicherstellen. Könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Aufwand ist hier draußen, hunderte Seemeilen vom Festland entfernt? Schnell wieder raus, bloß nichts anfassen.
Danach kommen die Lagerräume dran, der mit Maschinenteilen, der mit Fressalien. Dann die Eis- und Kühlschränke, die uns frisches Obst und Gemüse auf unserer Reise garantieren. Dann die Kombüse und zuletzt mein Lieblingsplatz auf dem Schiff, der Maschinenraum.
Bent unser deutscher Chefingenieur würde jetzt sagen, Thilo, das sind doch mehrere! aber für mich besteht der Bauch des Schiffes hauptsächlich aus Rohren, Ventilen, Zylindern und sich drehenden Kurbelwellen. Wenn auch durch Feuertüren voneinander getrennt, für mich ist das ein einziger, riesiger Raum.
Der Maschinenraum sollte nur mit Gehörschutz betreten werden. Als ich ihn einmal abnehme, um ein Gefühl für die Geräusche zu kriegen erschrecke ich mich richtig: ein Höllenlärm! Auch dort steht alles an seinem Platz, nichts wackelt, klappert oder brennt.
Am anderen Ende führt eine etwas weniger steile Treppe wieder nach oben. Dann werden noch die beiden Decks kontrolliert. Auch hier ist alles in Ordnung, der Hubschrauber steht sicher in seinem Hangar (Garage) und die Schlauchboote befinden sich fest angelascht in ihrer Halterung.
Auf dem Weg zurück auf die Brücke schnappe ich mir noch zwei Tassen Kaffee. Thies, der Maat auf der Brücke mag ihn mit viel Milch und zuckersüß. Soll er haben. Oben angekommen, lasse ich mich in einen der Kommandostühle fallen und wir trinken gemeinsam Kaffee. Ohne viele Worte. Wir genießen die Stille und das Meer. Unendlich breitet es sich in alle Richtungen aus. So weit das Auge reicht. Unbeschreiblich schön. Das Meer.
Es grüßt Euch, Thilo
Samstag, 11. November 9:00 Uhr: Wir laufen die sogenannte Lotsenstation von San Diego an. Dort wird ein Lotse an Bord genommen, der auf der Brücke Anweisungen gibt, wie und vor allem wo die Esperanza den Hafen anlaufen soll.
Der Lotse steht auf der Brücke und hat irgendwie einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. So als wollte er sagen:"Wie, das sind ja völlig normale Leute....." Wir können es uns nicht verkneifen, hinter seinem Rücken zu feixen und unsere Späße zu machen.
Eine dreiwöchige Schiffsreise geht zu Ende. Tauchen, Planktonproben, Schnorcheln, Schlauchbootfahren, Nachtwachen, unzählige Telefonate und E-Mails viele Diskussionen im Kampagnenteam und nicht zu vergessen, jede Menge Spaß gehen zu Ende.
Gestern Abend habe ich ein letztes Mal mit meinen neuen und alten Freunden in der Messe gesessen und die vergangenen Wochen Revue passieren lassen.
Schade, dass es vorbei ist. Ich werde vieles vermissen, die Sonnenaufgänge, das Schaukeln des Schiffes, das Meer. Das Essen an Bord gehört allerdings nicht in die Kategorie der Dinge, die ich schmerzlich vermissen werde.
Es grüßt, Thilo