Jetzt spenden
Dr. Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal Institut
Wuppertal Institut

Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Online-Redaktion: Was bedeutet der Austritt der ca. 200.000 Kubikmeter Gas am Tag für die Umwelt und das Klima?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: 200.000 Kubikmeter pro Tag sind eine Schätzung, die TOTAL abgegeben hat. Wie der Konzern darauf gekommen ist, wurde bislang nicht näher erläutert. Das ausströmende Gas ist weitüberwiegend Methan, welches klimawirksam ist. Sofern es oberhalb der Wasseroberfläche entweicht, wie der Betreiber berichtet, entsteht daraus allein ein Klimaeffekt.

In Bezug auf die Klimaschädlichkeit entspricht die Emission auf der "Elgin" 1,5 Millionen Tonnen CO2, die in einem Jahr in die Atmosphäre entweichen würden, wenn es nicht gelingt, das Leck früher zu schließen.

Zum Vergleich: Im Jahre 1990 kam es zu einem massiven Methan-Austritt, nachdem der Konzern Exxon auf der Suche nach neuen Ölvorkommen versehentlich eine Methan-Blase anbohrte. In der Folge entwichen 2,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr in die Atmosphäre. Das Leck ist bis heute nicht gestopft. Im Falle der "Elgin" sind die Mengen etwas geringer.

Online-Redaktion: Wie kann man sich als Laie diese Mengen vorstellen?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Der Ausstoß klimaschädlicher Gase durch die "Elgin"-Plattform entspricht etwa dem Emissionsverhalten einer mittleren Erdöl-Raffinerie.

Online-Redaktion: Wer haftet für die Schäden? Kann überhaupt jemand haftbar gemacht werden?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Da muss man unterscheiden, ob es sich um Umweltschäden handelt oder der Schaden durch die Emission eines Treibhausgases in einem Industriestaat, welcher dem Kyoto-Protokoll unterliegt, entsteht.

Für Umweltschäden im üblichen Sinne haften die Eigentümer des Bohrrechts, die sich da zusammengetan haben. Das heißt, TOTAL ist eigentlich nur der Betreiber, der im Auftrag der Eigentümer handelt. Es sind aber auch vertragliche Vereinbahrungen zwischen Eigentümer und Betreiber möglich, nach denen der Betreiber für die entstandenen Umweltschäden allein haften muss.

Online-Redaktion: Und wer übernimmt finanziell die Verantwortung für den Schaden durch den Ausstoß von Treibhausgasen?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Für die Treibhausgas-Emissionen haftet nicht der Betreiber der Plattform, sondern der Territorialstaat, auf dessen Hoheitsgebiet die Bohrungen und die Emissionen stattfinden. Das ist in diesem Falle Großbritannien. Das liegt daran, dass Treibhausgas-Emissionen inzwischen Geld wert sind und dass Emissionen aus der (Offshore-)Öl- und Gasförderung nicht dem Emissionshandel der EU zugeordnet worden sind. Man dachte, da ginge es um geringe Emissionsvolumina - nur an den Worst Case, das schlimmstmögliche Szenario, hatte man nicht gedacht. Bei Emissionen wegen Unfällen haftet der Staat, und bei 20 Euro pro Tonne geht es für Großbritannien (für ein halbes Jahr gerechnet) um 15 Millionen Euro. Also um einen deutlich geringeren Betrag als für das seit 1990 sprudelnde Exxon-Leck in der Nachbarschaft fällig wäre. Doch auch für die Emissionen aus diesem Leck ist Großbritannien bislang nicht in die (finanzielle) Verantwortung eingetreten.

Online-Redaktion: Was ist das Worst Case-Szenario? Welche Probleme können sich schlimmstenfalls aus dem Gasleck ergeben?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Schlimm wäre es, wenn die Bewertung von TOTAL zur Methanmenge eine deutliche Unterschätzung darstellen würde. Darüber hinaus wäre der Worst Case, wenn es nicht gelingt innerhalb des nächsten halben Jahres durch die Entlastungsbohrung oder noch früher durch das Verstopfen der Quelle das Problem in den Griff zu bekommen und Gas auf Dauer ausströmt.

Online-Redaktion: Wie bei dem Exxon-Loch?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Genau, dort ist ein Abschotten technisch nicht machbar. Bei der "Elgin" sind die Voraussetzungen für eine Lösung günstiger, weil es eben keine oberflächen- oder meeresbodennahe Quelle ist (die Quelle liegt in 4000 Metern Tiefe), sondern eine sehr tiefe. Ich denke, es müsste möglich sein, durch eine Entlastungsbohrung das Problem in den Griff zu bekommen.

Online-Redaktion: Können Sie einen Vergleich ziehen zwischen der "Elgin" und dem Exxon-Loch, aus dem ja seit inzwischen 21 Jahren Methangas strömt? Gibt es da Parallelen?

Dr. Hans-Jochen Luhmann: Es gibt die politische Parallele. Wir haben jetzt in der Nordsee den zweiten Fall eines unkontrollierten Gasausstoßes und die politischen Reaktionen auf Gasausstöße, anders als auf Ölausstöße, sind bisher immer gleich Null. Das darf nicht sein. Man hat endlich die Lehre zu ziehen, dass auch Gasausstöße, auch wenn sie für die Meeresfauna keine so großen negativen Folgen haben wie der Austritt von Öl, als Klimaproblem einer Regelung bedürfen. Das steht aus.

Datum
Rally against Corporations Trying to Sue Critics into Silence in Oakland

Mehr zum Thema

zwei Schlauchboote mit Aktivist:innen auf der Ostsee, im Hintergrund das Schiff
  • 25.10.2024

Gefahr durch Schattenflotte: Warnemünde, Fehmarn und Damp wären im Falle einer Ölpest bedroht. Greenpeace-Aktivist:innen protestieren auf der Ostsee gegen russische Ölexporte mit veralteten Tankern.

mehr erfahren
Brennender Tanker "Annika" von oben
  • 11.10.2024

Am Freitagmorgen geriet der Öltanker "Annika" vor der Ostseeküste in Brand, es drohte eine Umweltkatastrophe. Dieser Brand verdeutlicht einmal mehr, wie sehr Tanker die sensiblen Ökosysteme bedrohen.

mehr erfahren
Nach der Havarie des Öltankers Prestige vor der galicischen Küste Spaniens

Öltanker transportieren mehr als die Hälfte des geförderten Rohöls über die Weltmeere. Obwohl die Schiffe seit 2010 Doppelhüllen haben müssen, passieren immer wieder Unfälle.

mehr erfahren
Rally against Corporations Trying to Sue Critics into Silence in Oakland
  • 04.09.2024

Die Geschichte der SLAPP-Klage von Energy Transfer gegen Greenpeace in den USA - und welche Rolle sie weltweit spielt

mehr erfahren
In einem letzten Gefecht kletterten die Demonstranten auf den 125 m langen Fackelausleger der Plattform und schwenkten ein Transparent mit der Aufschrift „Bohren stoppen“. Fangen Sie an zu bezahlen.“ Unterdessen segelten fünf weitere Aktivisten unter der Leitung von Yeb Saño, Executive Director von Greenpeace Südostasien, an Bord des 8 Meter langen Tanker Tracker-Bootes von Greenpeace Nordic aus, um das 51.000 Tonnen schwere White Marlin-Schiff abzufangen, das von Shell unter Vertrag genommen wurde, als es
  • 09.11.2023

Vergangenen Februar protestierten Greenpeace-Aktivist:innen friedlich auf einer Shell-Ölplattfrom gegen Umweltzerstörung. Shell legt nun Einschüchterungsklage vor.

mehr erfahren
Canadian Activists Want 'Arctic 30' Home for the Holidays

2013 werden 28 Greenpeace-Aktivist:innen und zwei freie Journalisten für ihren friedlichen Protest gegen Ölbohrungen vor der Küste Russlands wochenlang inhaftiert. "Zu unrecht", urteilt die EU 2023.

mehr erfahren