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Porträt von Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland
© Lucas Wahl / Greenpeace

“Annalena Baerbock muss zeigen, wie ernst sie es meint”

Der Geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, begleitete vom 6. bis zum 12. Juli gemeinsam mit Vertreter:innen weiterer Nichtregierungsorganisationen (NGO) Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) auf einer Reise nach Japan, Indonesien und Palau. Teil der Delegation sind auch Vertreter:innen von Brot für die Welt, Germanwatch, der Klima-Allianz und der Deutschen Umwelthilfe. Das Interview wurde vor der Reise geführt und zeigt Martin Kaisers Erwartungen an die Reise auf -  im Anschluss ein Resümee, wie Martin Kaiser die Reise empfunden hat.

Greenpeace: Lieber Martin, die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Dich zusammen mit weiteren Repräsentant:innen von vier deutschen Nichtregierungsorganisationen eingeladen, sie auf eine Reise nach Indonesien, Japan und zum pazifischen Inselstaat Palau zu begleiten. Was ist für dich das Ziel dieser Reise?

Martin Kaiser: Aus Greenpeace-Sicht ist das Ziel, die Auswirkungen unserer Lebensweise in den Ländern vor Ort zu erfahren und die Auftritte der Außenministerin kritisch zu begleiten.

Wir NGO-Vertreter:innen werden mit der Außenministerin zu Themen wie der derzeit geplanten neuen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung sprechen, die den Klimaschutz mit einbeziehen soll. Wir werden mit ihr diskutieren, wie in der angespannten geopolitischen Lage der internationale Klimaschutz der Vereinten Nationen und der G20 Fortschritte bringen kann und wie verhindert werden kann, dass Deutschland trotz der G7-Beschlüsse weltweit mithilft, neue Gasfelder zu erschließen. Hier müssen wir als Klima-NGOs auch dringend mit Frau Baerbock als Regierungsmitglied sprechen, da die Bundesregierung gerade beispielsweise im Senegal Fakten schafft. In Japan sollte es zudem – dem Land, auf das 1945 Atombomben abgeworfen wurden – sicher darum gehen, dass sich Deutschland aktiv für eine Welt ohne Nuklearwaffen einsetzt.

Greenpeace: Welche Erwartungen gibt es denn von Greenpeace an die Klimaschutzpolitik einer grünen Außenministerin?

Martin Kaiser: Wir erwarten von Deutschland, dass es eine Führungsrolle im internationalen Klimaschutz einnimmt, die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits als Richtschnur für Handel und Kooperation einführt und auch deutsche Unternehmen im Ausland zukünftig daran misst. So müssen zukünftig die Handelsverträge, die Deutschland und die EU abschließen, Unternehmen und Staaten sanktionieren können, die dem Klima und der Natur schaden. Deutschland muss sich zudem jetzt aktiv dafür einsetzen, dass das derzeit verhandelte europäische Lieferkettengesetz in diesem Sinne durch Unternehmenshaftung Zähne bekommt. Konsequenter und ernstgemeinter Klimaschutz sowie die globale Unterstützung derjenigen Länder, die am meisten von Meerespiegelanstieg und klimabedingtem Extremwetter betroffen sind, müssen Leitschnur deutscher Klimaaußenpolitik werden. Hier erwarten wir ein Signal, dass Deutschland seine Mittel für internationale Unterstützung auf 8 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen wird. Auf dieser Reise kann und muss Annalena Baerbock zeigen, wie ernst sie es mit diesen Themen meint – darauf werden wir unterwegs einen genauen Blick haben und das von ihr einfordern.

 Greenpeace: Sonst reisen mit den Außenminister:innen immer nur Wirtschaftsdelegationen mit. Wieso jetzt NGOs?

Martin Kaiser: Dieser Eindruck konnte in den vergangenen Jahren entstehen, das stimmt. Aber er ist nicht ganz richtig. Bereits Anfang der 2000er Jahre hat meine Vorgängerin als Greenpeace-Geschäftsführerin, Brigitte Behrens, den damaligen Außenminister, Joschka Fischer, zu einer Reise in den Amazonas-Regenwald begleitet. Die nun mitreisenden Organisationen sind alle in der Klimaaußenpolitik aus umwelt- oder entwicklungspolitischer Perspektive tätig, was den Fokus der Reise gut erweitert. Es ist erfreulich, wenn eine Außenministerin die Verbesserung ihrer Wirtschaftsbeziehungen nicht länger als alleiniges Ziel ihrer Reisen sieht. Die Reise eröffnet die Chance, auch gemeinsam mit Kräften aus der Wirtschaft die für uns relevanten Fragen zu erörtern, unsere Forderungen zu stellen und zukunftsfähige Lösungen zu diskutieren.

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Greenpeace: Warum Indonesien, Palau und Japan? 

Martin Kaiser: Die drei zu besuchenden Länder könnten für ihre Bedeutung für Klima und Biodiversität nicht unterschiedlicher sein.

Indonesien etwa hat eine besondere Verantwortung für den Erhalt der letzten tropischen Urwälder: Hotspots der Artenvielfalt, die immer weiter zerstört werden, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Auch für das Klima ist das eine verheerende Entwicklung, denn die darunter liegenden Torfböden speichern gigantische Mengen Kohlenstoff – und geben dies in Form von CO2 frei, wenn die Wälder abgeholzt werden. Palmöl landet in vielen unserer Lebensmittel und leider zunehmend auch in Verbrennungsmotoren in Deutschland, als Beimischung zu Biodiesel. Das muss enden, davon darf Deutschland nicht länger Teil sein.

Die Republik Palau ist einer der kleinen Inselstaaten, von denen Teile im wahrsten Sinne des Wortes untergehen werden, wenn wir weiterhin ungebremst Klimagase in die Atmosphäre blasen und der Meeresspiegel dadurch weiter ansteigt. Menschen werden dort ihre Heimat verlieren, wird beim globalen Klimaschutz nicht endlich ernst gemacht. Und sie verlieren ihre Heimat wegen unseres viele Jahrzehnte praktizierten Lebensstils. Es ist also eine Frage der Gerechtigkeit, die Klimaaußenpolitik neu aufzustellen.

In Japan wiederum ist die größte Herausforderung, aus Atom und Kohle aus- und in Erneuerbare konsequent einzusteigen. Laut Beschluss auf der Klimakonferenz in Glasgow im letzten Jahr darf Japan ab 2023 keine weiteren Kohlekraftwerke in anderen Ländern mehr finanzieren, was es bisher tut und damit die Klimakrise weiter anheizt. Auch an anderer Stelle tritt Japan beim Klimaschutznoch auf die Bremse. Auf dem G7-Gipfel Ende Juni in Bayern hat Japan einen gemeinsamen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor verhindert, da Toyota weiterhin an hybriden Fahrzeugen festhalten will. Auch Deutschland hat in der EU jüngst dem beschlossenen Ausstieg aus dem Verbrenner einen Prüfauftrag bezüglich E-Fuels hinzugefügt, der absolut unnötig war – hier gibt es bei der Rolle der Länder Gemeinsamkeiten.

Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie ist eine weitere Herausforderung für Industrieländer wie Japan, ebenso wie Deutschland. Es braucht eine Beschleunigung – ich erwarte von beiden Ländern konkrete Zielsetzungen, wie diese erreicht werden können.

Greenpeace: Annalena Baerbock hat sich ja mit der ehemaligen internationalen Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan sozusagen “eine von uns” ins Team geholt – welchen Mehrwert bringt es, wenn du mitreist?

Martin Kaiser: Jennifer Morgan hat im Februar Greenpeace verlassen und ist jetzt Staatssekretärin im Außenministerium. Das ist ein klarer Rollenwechsel. Die Unabhängigkeit von Greenpeace macht es mir möglich, unvoreingenommen und kritisch auf das zu sehen, was unsere Bundesregierung und ihre Außenministerin im Klimaschutz machen. Als Nichtregierungsorganisation sind wir komplett unabhängig und finanzieren uns ausschließlich aus Spenden. Auch bei dieser Reise achten wir auf unsere Unabhängigkeit und bezahlen unseren Anteil selbst.

Martin Kaisers Resümee der Reise

"Die skizzierte Klima-Außenpolitik ist begrüßenswert, allerdings steht das Handeln der Bundesregierung im Gegensatz dazu"

Text

"In ihrer Grundsatzrede vor Vertreter:innen von Regierung, Parlament und der lokalen Bevölkerung von Palau hat Außenministerin Annalena Baerbock den Klimaschutz als zentrale Aufgabe einer neuen Sicherheitspolitik verortet und eine breite Unterstützung für die am meisten von der Klimakatastrophe betroffenen Nationen versprochen. Diese skizzierte Klima-Außenpolitik ist begrüßenswert, da sie ernsthaft die Auswirkungen der Klimakrise auf die Menschen benennt und die Verantwortung der Industrieländer bei der CO2-Reduktion in den Mittelpunkt stellt. 

Annalena Baerbock lenkte die Aufmerksamkeit auf den Mut, die Entschlossenheit und die Durchsetzungskraft der Inselstaaten in der Klimakrise. In einem irritierenden Gegensatz dazu steht allerdings das Handeln der Bundesregierung, die sie vertritt – insbesondere die Entscheidung, in den nächsten Jahren durch den Ersatz von Gas durch Kohle mehr CO2 zu emittieren und weiterhin fast nichts im Verkehrsbereich zu tun. In vielen Gesprächen mit Vertreter:innen der Zivil- und Umweltbewegung, die ich in Indonesien, Palau und Japan traf, wurde mir gespiegelt: Alles was in Deutschland gegen einen konsequenten Klimakurs entschieden wird, nehmen die fossilen Industrien in Indonesien und Japan als Vorwand, selber fast nichts zu tun.

Deshalb muss Deutschland einen deutlich ambitionierteren CO2-Reduktionspfad einschlagen, will Baerbock zukünftig glaubwürdig über die Einhaltung des 1,5 Grad-Limits und die Vermeidung verheerender Auswirkungen der Klimakrise auf Länder wie Palau sprechen.

Ein bewegender Moment auf der Reise war für mich der Besuch des Nagasaki Atomic Bomb Museums. Es zeigt auf sehr eindrückliche Weise die menschliche Tragödie des Atombombenabwurfs der USA auf zwei japanische Städte. Nuklearwaffen sind keine Option, damals wie heute nicht. Trotzdem will Deutschland weiterhin an der nuklearen Teilhabe festhalten und atomare Waffenträger wie den F35 Bomber anschaffen – aber immerhin hat sich die Außenministerin in Nagasaki für Deutschlands Beteiligung an den Verhandlungen des Atomwaffenverbotvertrags ausgesprochen. 

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