Interview mit Lisa Göldner, Klima-Expertin bei Greenpeace
- Im Gespräch
Nur zwei Prozent! Chinas Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß ist höher. Was bringt also Klimaschutz in Deutschland? Viel, auch angesichts des Weltklimarat-Berichts. Ein Interview.
Jedes zehntel Grad macht einen großen Unterschied und führt zu zusätzlichen Wetterextremen, mahnen Wissenschaftler:innen des Weltklimarats erneut mit ihrem heute veröffentlichten Bericht. Deren Bewältigung sei nicht nur teurer als Klimaschutzmaßnahmen, es gehe auch um Menschenleben. Die schrecklichen Bilder zu dieser Aussage sind kein wissenschaftlich berechnetes Szenario mehr – sie sind Wirklichkeit geworden: mit der Flutkastastrophe in Deutschland, den brennenden Wäldern in Sibirien, Kalifornien oder am Mittelmeer, dem Sturzregen und Überschwemmungen in China und der Schlammlawine in Japan.
Weltweit hat sich die Erde bereits um 1,1 Grad erwärmt im Vergleich zu 1881, der vorindustriellen Zeit. In Deutschland ist es bereits 1,6 Grad wärmer geworden, die Anzahl heißer Tage hat seit 1951 um 196 Prozent zugenommen.
„Die Klimakrise ist eine Herausforderung, die nicht nur mit ein paar kleinen Maßnahmen hier und da zu bewältigen ist“, sagt Lisa Göldner, Klima-Expertin bei Greenpeace. „Wir brauchen einen grundlegend anderen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen, einen kompletten Umbau etwa der Energieversorgung, der Landwirtschaft und der Mobilität.“ Doch warum packt Deutschland das nicht an? Es geht immerhin auch darum, wie unsere Kinder künftig auf diesem Planeten leben werden. Deutschland kann nicht allein die Welt retten, könnte man entgegnen. Das Land sei schließlich nur für zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Im Interview erzählt Lisa Göldner, warum sie das Argument nicht teilt.
Blickt man auf die Liste der weltweit größten CO2-Emittenten ist China mit 27,92 Prozent auf Platz eins, Deutschlands Anteil liegt bei gerade mal zwei Prozent. Sind die Deutschen also gar nicht so stark an der Klimakrise beteiligt?
Lisa Göldner: Zwei Prozent klingt im Vergleich zu Chinas absoluten Emissionen erst einmal nicht nach besonders viel. Dennoch belegt Deutschland damit Platz sieben in der Liste der weltweit größten Emittenten. Es ist aber auch nicht besonders fair, Deutschland mit seinen etwa 83 Millionen Einwohner:innen mit China zu vergleichen, in dem 1,4 Milliarden Menschen leben. Schaut man sich nämlich den CO2-Ausstoß pro Kopf an, sieht die Reihenfolge anders aus. In Deutschland verursacht jede Person durchschnittlich neun Tonnen CO2-Emissionen. Damit sind wir weltweit auf Rang elf und stoßen doppelt so viel aus wie der weltweite Durchschnitt. Beim Pro Kopf Ausstoß liegt China übrigens auf Platz 16, die Zahlen sind aus 2018.
Hinzu kommt, dass Deutschland als reiches Industrieland schon sehr viel länger als viele andere Länder CO2 in die Atmosphäre pustet. Wenn man sich die kumulierten Emissionen anguckt, liegt Deutschlands Anteil bei fünf Prozent. Unser Wohlstand basiert darauf, dass wir seit dem 19. Jahrhundert im großen Stil natürliche Rohstoffe ausbeuten und fossile Energieträger verbrennen – und damit das Weltklima anheizen. Die schlimmsten Folgen der Erderhitzung spüren aber besonders Menschen in den Ländern, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben wie etwa die pazifischen Inselstaaten Fidschi, Tuvalu oder Kiribati. Die haben kaum zu den weltweiten Emissionen beitragen, drohen aber durch den Anstieg des Meeresspiegels komplett zu verschwinden. Oder Madagaskar: Das Land belegt lediglich Platz 140 der weltweiten Emittenten und leidet aktuell unter einer katastrophalen Dürre, die für rund 400.000 Menschen den Hungertod bedeuten könnte. Deshalb ist es die Verantwortung reicher Länder, beim Klimaschutz vorangehen.
Aber wie groß kann denn der Einfluss auf den Klimaschutz sein, wenn der Anteil an den Emissionen relativ gering ist?
Wir können die Erderhitzung nur stoppen, wenn jedes Land der Erde den Ausstoß klimaschädlicher Gase stoppt. 195 Staaten haben das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet, Deutschland ist der siebtgrößte Emittent. Das heißt: 188 Länder könnten erst recht argumentieren, dass ihr Beitrag gering sei und dass sie also nichts tun müssten. Das Argument, dass der Anteil eines Staates nur klein sei, funktioniert nicht, wenn man die Erderhitzung stoppen will.
Zudem: Deutschland ist derzeit nicht auf Kurs, seinen Anteil am Pariser Klimaschutzabkommen einhalten zu können. Das verhindert vor allem der späte Kohleausstieg 2038, den der NRW-Ministerpräsident und heutige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet maßgeblich vorangetrieben hat. Andere Länder schauen genau, was Deutschland macht oder eben auch nicht. Denn wenn wir als eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt nichts tun, warum sollten dann andere Länder im Klimaschutz voranschreiten, die zusätzlich noch vor anderen großen Herausforderungen stehen wie Krieg, Armut oder dem mangelnden Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung? Deutschland ist ein wirtschaftlich erfolgreiches Land; es hat finanziell, technologisch und vom Know how her die Möglichkeit, die Gesellschaft sozial gerecht und klimafreundlich umzubauen.
Wie ist denn die klimapolitische Wirkung Deutschlands?
Dass Deutschland den Klimaschutz vorantreiben kann, hat das Land schon bewiesen. Aber das ist lange her: Im Jahr 2000 verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Investitionen in Forschung und Entwicklung von Wind- und Sonnenenergie zur Folge hatte. Es kam zu einem regelrechten Boom der Erneuerbaren Energien. Viele Länder haben das Gesetz übernommen. Von dem anfänglichen Boom ist heute in Deutschland leider nichts mehr übrig, im Gegenteil: Unter der Großen Koalition ist der Ausbau ausgebremst worden. In der Branche sind zehntausende Arbeitsplätze verlorengegangen, viele Unternehmen mussten aufgeben.
Heute ist das Image der Klimapolitik Deutschlands besser, als die Realität hergibt. In den vergangenen Jahren hat Deutschland fortschrittliche Klimaschutzvorhaben in der EU blockiert. Es waren Minister:innen aus Deutschland, die nach Brüssel gefahren sind und sichergestellt haben, dass etwa CO2-Flottengrenzwerte für Autos weniger streng ausfallen. Und nun merkt die deutsche Autoindustrie, dass das Festhalten an alten klimaschädlichen Technologien auch der Wirtschaft schadet und sie von China und den USA in der E-Mobilität abgehängt werden. Junges unrühmliches Beispiel ist auch die Verhinderung einer Neuausrichtung der Agrarpolitik: Es war Unionsministerin Julia Klöckner, die sich dafür eingesetzt hat, dass über Jahre alles beim Alten bleibt, große Höfe gefördert werden, kleine das Nachsehen haben und der Klimaschutz in der Landwirtschaft auf der Strecke bleibt.
Deutschland ist immer noch abhängig von der klimaschädlichen Braunkohle. Mit unserem Kohleausstieg erst im Jahr 2038 gehören wir zu den Schlusslichtern in der EU – gemeinsam mit Polen und Tschechien.
Und wie sieht es in anderen Ländern aus?
Von den USA ist in den nächsten Jahren viel zu erwarten. Das ist gut und wichtig, sind sie doch derzeit auch der zweitgrößte CO2-Emittent auf dieser Welt. Der neuen US-Präsident Joe Biden hat ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht. Er will zwei Billionen Dollar in den klimagerechten Umbau der amerikanischen Wirtschaft investieren. Er hat einen detaillierten Plan aufgelegt, also nicht nur Ziele formuliert, sondern auch Schritte, die dort hinführen. Viel wird in die Forschung und Entwicklung von sauberen Energien gesteckt, in den Umbau der Infrastruktur. Die USA wollen im Stromsektor bis 2035 komplett raus aus den fossilen Brennstoffen. Das ist schneller als Deutschland das bisher plant. Häuser sollen im großen Stil energetisch saniert, der öffentliche Nahverkehr emissionsfrei werden.
Es passiert auch in anderen Ländern was. China etwa führt gerade ein großes Emissionshandelssystem ein – das größte, das es auf der Welt gibt. Man muss erst noch abwarten, wie sich beispielsweise der Preis für eine Tonne CO2-Verschmutzung entwickelt. Aber wenn das gut gemacht ist, hat das einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Emissionen in China.
Erhoffst du dir einen Push für den Klimaschutz bei der nächsten Weltklimakonferenz im Herbst in Glasgow?
Wegen der Pandemie ist noch nicht absehbar, wie die Konferenz stattfinden wird. Nach der Lähmung in den Trump-Jahren ist schon jetzt neue Dynamik in die internationale Klimapolitik gekommen. Die USA wollen eine Führungsrolle beim Klimaschutz übernehmen, die hoffentlich zu einer Art Gruppenzwang führt und andere große Emittenten wie China und Indien davon überzeugt, ihre Anstrengungen beim Klimaschutz zu erhöhen. Joe Biden hat seit seiner Wahl bereits viele Gespräche mit anderen Ländern dazu geführt.
Ein Schub ist nötig: Der Weltklimarat sagt, dass die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken müssen im Vergleich zu 2010 – damit sich die Erde nicht um mehr als 1,5-Grad erhitzt.
Noch eine Frage zu den Emissionen: Geht der Treibhausgasausstoß bei der Produktion von Konsumgütern auf das Konto der Konsumierenden oder des herstellenden Staates?
Die Emissionen werden immer dem Land zugerechnet, in dem die Emissionen anfallen – und nicht dem, in dem die Produkte oder Güter verkauft werden, bei deren Produktion sie anfallen. Sehr, sehr viele Konsumgüter werden in China produziert und dann exportiert. Das CO2, das beispielsweise bei der Produktion der zahlreichen Kleidungsstücke made in China in unseren Kleiderschränken angefallen ist, geht nicht auf unser Konto, sondern auf das von China.
Wenn Deutschland strengere Klimaschutzgesetze hat als andere Länder, welche Folgen hat das für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrien? Kann das Ausland dann nicht viel billiger produzieren?
Viele Unternehmen haben diese Sorge, dass etwa ein hoher CO2-Preis oder strenge Umweltauflagen, deutsche Produkte weniger konkurrenzfähig machen auf dem Weltmarkt. Es gibt aber Maßnahmen, um das zu verhindern. Die EU plant, einen so genannten CO2-Grenzausgleich einzuführen. Das ist eine Art Klimazoll für Importprodukte aus Ländern, in denen weniger strenge Klimaschutzvorgaben gelten. Damit lässt sich einerseits die heimische Wirtschaft schützen und es kann andere Länder dazu bewegen, beim Klimaschutz nachzubessern.