Interview: Gorleben - die Schwachstelle der Atomlobby
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Online-Redaktion: Mathias, was bedeutet die Entscheidung für längere Laufzeiten, wenn sie tatsächlich durchkommt, für die Entsorgungsfrage und den Standort Gorleben?
Mathias Edler: Da entsteht jetzt ein ungeheurer Druck. Mit Gorleben steht oder fällt die gesamte deutsche Atompolitik. Um Atomkraftwerke betreiben zu können, muss die geordnete Beseitigung, also Endlagerung, nachgewiesen sein. Das ist sie aber nicht. Es gibt weltweit kein betriebsbereites Endlager, auch in Deutschland nicht. Es gibt nur die Zwischenlager für die Castorbehälter.
In dieser Situation sollen nun die Laufzeiten der AKW auch noch verlängert werden. Dadurch entstehen rund 5.000 Tonnen weitere hochradioaktive Abfälle. Das sind 500 Castoren mehr. Die müssen ja irgendwo hin.
Online-Redaktion: Wie konnte das ohne den Entsorgungsnachweis bisher funktionieren?
Mathias Edler: Das zeigt sich an den Wortungetümen, mit denen man sich die prekäre Situation zurechtzubiegen versucht hat. In Deutschland heißt das Entsorgungsvorsorgenachweis. Das sind die dezentralen Zwischenlager an den Kraftwerksstandorten. Aber Endstation muss ja ein Endlager sein. Der Entsorgungsvorsorgenachweis gründet sich also auf dem nächsten Wortungetüm, das keinerlei juristische Relevanz hat, der Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben als Endlager. Der Begriff stammt aus dem Bergrecht. Er bedeutet nichts anderes, als dass man hofft, der Standort möge sich doch noch als geeignet erweisen.
Mit anderen Worten, sie haben nichts, gar nichts, sie haben kein Endlager. Sie wissen noch nicht einmal, wie sie den Müll lagern wollen, ob mit Behälter oder ohne Behälter, ob rückholbar oder nicht rückholbar - sie haben kein Konzept. Mit der vorgetäuschten Erkundung von Gorleben versuchen sie, der Bevölkerung eine Lösung vorzugaukeln, die es de facto nicht gibt.
Online-Redaktion: Wer muss den Entsorgungsnachweis führen?
Mathias Edler: Die Bundesregierung. Sie ist in der rechtlichen Verantwortung, eine geordnete Beseitigung des Atommülls nachzuweisen. Diese Verantwortung ist den Energieversorgern schon vor Jahren mit einer Gesetzesänderung abgenommen worden.
Man hat alles auf eine Karte gesetzt: Gorleben. Gorleben wurde vor 33 Jahren willkürlich als Endlagerstandort benannt, um den Neubau von AKW abzusichern. Heute will Röttgen den Standort so schnell wie möglich zu Ende erkunden, um die Laufzeitverlängerung abzusichern. Mit der Ergebnisoffenheit war es sofort vorbei, als Gorleben zum einzigen Standort ernannt wurde. Das war am 22. Februar 1977. Alle anderen in der Bundesrepublik waren froh, dass es sie nicht getroffen hatte. Seitdem spielen Sicherheitskriterien, spielen geologische Kriterien keine Rolle mehr.
Online-Redaktion: Logisch betrachtet können sie eine Laufzeitverlängerung doch aber gar nicht beschließen, solange sie nicht wenigstens dem Anschein nach diese Erkundung mit positivem Ergebnis durchgeführt haben.
Mathias Edler: Der Anfang liegt in der vierten Atomgesetznovelle 1976. Das war auch das Ende der Asse. Damals hat man ein Planfeststellungsverfahren für Endlager vorgeschrieben, mit Öffentlichkeitsbeteiligung. So weit, so gut. Der Antrag auf Planfeststellung wurde am 28. Juli 1977 gestellt, das eigentliche Verfahren aber nie begonnen und bis heute bastelt man an den Planunterlagen. Offiziell befindet man sich seit 33 Jahren mit der vorgeschobenen Erkundung in Gorleben in der Vorphase zur Planfertigstellung. 33 Jahre planloser Bau unter dem Deckmantel der Erkundung! Das sollte mal ein Hausbesitzer in Deutschland versuchen.
Im Atomgesetz wurden nur Fortschritte bei der Erkundung und bei der Planfeststellung verlangt. Die Antragstellung in Gorleben reichte offenbar als Fortschritt für die Genehmigung der AKW. In den Akten zu Gorleben steht wörtlich drin, dass mit der Standortbenennung von Gorleben den Betreibern der Genehmigungsantrag auf ein zukünftiges Endlager ermöglicht werden sollte. Ins Formular muss nämlich ein Ortsname eingetragen werden. Das war das einzige, um juristisch den Vorschriften gerecht zu werden.
Die Laufzeitverlängerung lässt sich aber gesellschaftlich nur legitimieren, wenn eine Lösung präsentiert wird. Ob eine echte oder eine Scheinlösung, ist der schwarz-gelben Bundesregierung offensichtlich egal. Daraus entsteht der Druck. Und daraus, dass sie bis 2030 ein betriebsbereites Endlager vorweisen müssen.
Online-Redaktion: Warum bis 2030?
Mathias Edler: Die Genehmigungen für die Aufbewahrung von Castorbehältern sind auf 40 Jahre limitiert. Der Müll kann also 40 Jahre im Castorbehälter bleiben und der Castor demzufolge 40 Jahre im Zwischenlager. Ob eine solche Genehmigung einfach um weitere 30 bis 40 Jahre ausgeweitet werden kann, ist völlig fraglich. Niemand weiß, was mit dem Material des Castors passiert, wenn der hochradioaktive Müll drin ist. Damals ist man davon ausgegangen, dass das Behältermaterial 40 Jahre standhält - ein Langzeitversuch auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung, denn testen konnte man natürlich vorher nicht, ob die Behälter dem stark strahlenden Müll standhalten.
Die ältesten der 91 Castorbehälter im Zwischenlager Gorleben sind die fünf Brennelementcastoren. Die sind 1995 und 1996 eingelagert worden, beladen 1994/95, die sind also 16 Jahre alt. Das heißt, 2030 haben sie diese Altersgrenze ungefähr erreicht. Auch deshalb will die Regierung jetzt ganz schnell weitererkunden.
Online-Redaktion: Du sagtest, sie hätten kein Konzept. Woran orientieren sie sich bei der Erkundung?
Mathias Edler: Sie machen etwas völlig Absurdes. Sie führen die Erkundung bis 2015/2016 durch, bauen dabei Gorleben schon im industriellen Maßstab endlagerfertig aus und entwickeln parallel dazu das Sicherheitskonzept. Dabei müsste es genau andersherum laufen. Man müsste erst ein Sicherheitskonzept entwickeln, auch ein Einlagerungskonzept und notwendige Sicherheitsanforderungen formulieren und dann unten gucken, was finde ich dort vor und erfüllt es die Anforderungen?
Und dann wollen sie ins Planfeststellungsverfahren gehen - 2016/17. Das kann sich über zehn Jahre oder mehr hinziehen, das haben wir ja bei Schacht Konrad gesehen, und spätestens dann besteht aus Sicht der Betreiber die Gefahr, dass Gorleben vor Gericht nicht standhält. Wenn das passiert, stehen sie wieder vor dem Nichts.
Online-Redaktion: Woher rührt dieses Beharren auf Gorleben trotz aller Zweifel? Warum werden parallel keine anderen Standorte erkundet?
Mathias Edler: Die Bundesregierung klebt so an Gorleben, weil kein anderes Bundesland ein solches Projekt bei sich haben will. Den Energieversorgern ist es im Endeffekt völlig egal, wo der Müll landet. Die 1,5 Milliarden Euro, die in Gorleben schon verbaut worden sind, sind für die Unternehmen, die ja jedes Jahr Milliardenumsätze machen, keine große Summe.
Wenn Bundesumweltminister Röttgen seine eigenen Äußerungen ernst nehmen würde, dass er beim Endlagerproblem die Verantwortung nicht wie seine Vorgänger scheut und wirklich ergebnisoffen einen Standort suchen will, dann würde er sich nicht um politische Mehrheiten in den Bundesländern kümmern. Er würde rein nach wissenschaftlich-geologischen Gesichtspunkten mindestens drei Standorte benennen und mit der Erkundung dort ganz von vorne anfangen. Nur so lässt sich der bestmögliche Standort in Deutschland finden.
Online-Redaktion: Welche konkreten Schritte folgen jetzt?
Mathias Edler: Ende März hat das Bundesamt für Strahlenschutz den Antrag auf eine Verlängerung des Rahmenbetriebsplanes für Gorleben gestellt, was einem Weiterbau gleichkommt. Dieser Antrag muss bis zum 30. September entschieden werden. Genehmigungsbehörde ist das niedersächsische Umweltministerium unter Minister Sander. Die wollen das fristgerecht entscheiden. Derzeit gilt ja noch das zehnjährige Moratorium der rot-grünen Koalition.
Die Crux ist: Wir sagen, sie sind längst mitten im schon erwähnten Planfeststellungsverfahren, denn die Schächte und Stollen werden ja bereits im endlagerfähigen Durchmesser ausgebaut. Das weisen sie natürlich weit von sich und haben diesen Rahmenbetriebsplan wieder nach Bergrecht beantragt. Und zwar einfach die Verlängerung des alten von 1982.
Online-Redaktion: Das heißt, sie machen da weiter, wo damals Schluss war.
Mathias Edler: Genau. Seit 1990 schreibt nämlich auch das Bergrecht eine Öffentlichkeitsbeteiligung und eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Wenn sie einen neuen Rahmenbetriebsplan beantragt hätten, dann wären sie in dieses neue Bergrecht gekommen und ihr Zeitplan bis 2030 wäre in Gefahr geraten. Das haben sie vermieden. Greenpeace wird den Rahmenbetriebsplan bzw. den daran angeschlossenen Hauptbetriebsplan beklagen - weil sich alle Voraussetzungen seit 1982 geändert haben.
Als Grund wird behauptet, es sei gar nicht mehr so viel zu erkunden, weil die Müllmenge kleiner sei - die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle gehen ja nach Schacht Konrad. Das stimmt auch. 90 Prozent des Abfalls gehen nach Schacht Konrad. Aber die 10 Prozent hochradioaktiven Abfälle, die übrig bleiben, enthalten 99 Prozent der ursprünglich geplanten Radioaktivität. Das heißt, es hat sich nichts verkleinert. Schon gar nicht nach dem jetzigen Laufzeitverlängerungsbeschluss. Und deshalb braucht es einen neuen Rahmenbetriebsplan.
Nach Ansicht von Greenpeace gehört der Ausbau aber schon längst ins Planfeststellungsverfahren und ins Atomrecht. Schacht- und Streckendurchmesser sind im industriellen Maßstab gewählt, das Ding ist in dem Moment fertig, wenn die angebliche Erkundung fertig ist. Das führt zwangsläufig zum Ausblenden von negativen Erkundungsergebnissen.
Online-Redaktion: Hat sich auch der Widerstand gegen Gorleben geändert?
Mathias Edler: Er ist wieder erstarkt und wird sich weiter verstärken. Mit dem geplanten Abschalten 2020 war ja die Erwartung verbunden, dass es dann wirklich vorbei ist. Jetzt werden die gesellschaftlichen Gräben wieder aufgerissen.
Aber es gibt auch Widerstand auf einer ganz anderen Ebene, nämlich der juristischen. Denn es stellt sich ja die Frage, wie lange deutsche Gerichte noch mitmachen, dass der gesamte sogenannte Vorsorgenachweis letztlich auf einer Fata Morgana in Gorleben beruht, die jeden Tag wegbrechen kann. An die Eignung des Standortes ist ja unmittelbar der Betrieb der AKW gekoppelt. Und es gibt in den Akten, die uns vorliegen, viele Spuren, denen man nachgehen und anhand derer man nachweisen kann, dass Gorleben nicht den Kriterien für eine sichere Endlagerung entspricht.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!