Keine vertrauenerweckenden Ergebnisse
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Wie sicher sind Europas AKW? Nach dem Super-GAU von Fukushima sollten Sicherheitstests nach strengen Kriterien durchgeführt werden - einheitlich, umfassend, transparent. Die Ergebnisse liegen vor. Greenpeace hat sie analysiert.
Dass gerade in Japan, der vielleicht technisch am weitesten entwickelten Industrienation, ein Erdbeben den atomaren Super-GAU auslösen konnte, hat weltweit viele Menschen schockiert. Trotz doppelter und dreifacher Sicherheitssysteme war dort am 11. März 2011 nicht nur ein Reaktor explodiert - es explodierte systematisch einer nach dem anderen.
Doch die Atomindustrie sorgte sich weniger um die betroffene Bevölkerung, sondern um die Zukunft ihrer Branche. So wurde in Europa nicht die Frage gestellt, welche Reaktoren sofort abgeschaltet werden sollten, sondern wie man wieder Vertrauen in die gefährliche Technologie herstellen konnte. Als adäquates Mittel, um Sicherheit vorzuspielen wo keine ist, soll der europäische Stresstest dienen, sagt der Greenpeace-Atomphysiker Heinz Smital.
Am 15. Juni 2012 sprechen die zuständigen EU-Minister über die Ergebnisse der Tests. Greenpeace hatte schon im Vorfeld unabhängige Experten beauftragt, sich diese Ergebnisse anzusehen und sie zu analysieren.
Schwächen des Projekts
Untersucht wurden Atomkraftwerke in 15 EU-Ländern. Außerdem beteiligten sich die Schweiz und die Ukraine an dem Projekt. Insgesamt standen mehr als 140 Anlagen im Fokus.
Die Grundlagen der Stresstests wurden von den AKW-Betreibern eigenständig durchgeführt. Was sie prüften und wie, blieb ihnen weitgehend überlassen. Die Einheitlichkeit blieb dabei auf der Strecke. Die Ergebnisse der Tests lassen kaum Vergleiche zwischen den verschiedenen Ländern zu. Anlagen wurden kaum und wenn nur kurz besucht.
Viele Katastrophenszenarien wurden gar nicht erst untersucht. Dazu gehören Verkettungen von Ereignissen wie in Fukushima, wo Erdbeben und Tsunami zusammentrafen. Desgleichen die Problematik von Mehrfachblockanlagen, wo der Unfall in einem Block die anderen mitgefährdet. Das Gleiche gilt für Evakuierungspläne, obwohl AKW sich teilweise nur zehn Kilometer von europäischen Großstädten entfernt befinden.
Wichtige Sicherheitskriterien wie Auslegungsdefizite und Alterung spielten beim Stresstest keine Rolle. Die Widerstandsfähigkeit der Anlagen gegen einen Terroranschlag mittels Flugzeugabsturz wurde ebenfalls ausgeklammert. Diese Diskussion findet nun in einer Adhoc-Gruppe hinter verschlossenen Türen statt.
Schwächen bei untersuchten Atomkraftwerken
Die untersuchten AKW wiesen alarmierende Defizite auf. Einige Anlagen sind nicht gegen Erdbeben oder Überflutungen ausgelegt. Die Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente bieten fast durchweg keine Sicherheit vor austretender Strahlung. Zu den von Greenpeace besonders bemängelten Atomkraftwerken gehört das bayerische AKW Gundremmingen. Die Anlage ist weder gegen Erdbeben noch Überflutungen hinreichend ausgelegt. Auch das Abklingbecken ist nicht gegen einen ernsten Unfall gesichert. Die Greenpeace-Studie enthält Kartenmaterial, das Unfallszenarien für verschiedene AKW, auch das AKW Grundremmingen, zeigt.
Eineinhalb Jahre nach Fukushima keine neuen Erkenntnisse in Europa
Wir wollen Stresstests, die auf den konkreten Abläufen basieren, die in Fukushima zur Katastrophe geführt haben, hatte EU-Energiekommissar Günter Oettinger Anfang April 2011 in einem Interview mit Spiegel online gesagt. Und listete auf, was untersucht werden sollte: Kühlsysteme, Strom- und Notstromkreisläufe, Terrorgefahr, Cyberattacken auf die Computersysteme. Alles weitgehend Theorie. Heute gibt Oettinger zu, dass die Tests unzureichend waren.
Wie viel ein Stresstest wert ist, zeigt sich an den Fakten, die er aufzudecken vermag. Wenn die gefährlichsten Atomanlagen in Europa unverändert weiterlaufen, hat er seine Wirkung in Richtung Sicherheitsgewinn verfehlt, sagt Smital. Dann wird er aber die von der Atomindustrie erhoffte Wirkung, neues Vertrauen in die Technologie aufzubauen, ebenfalls verfehlen.
In Deutschland wurden nach Fukushima die ältesten Meiler und der Pannenreaktor Krümmel stillgelegt - was Greenpeace schon seit Jahren gefordert hatte. Die letzten Atomkraftwerke aber sollen erst 2022 endgültig vom Netz gehen. Auch die beiden Blöcke des AKW Gundremmingen werden noch bis 2017 bzw. 2021 in Betrieb sein. Dabei wäre ein schnellerer Atomausstieg bis 2015 möglich und wünschenswert.
Zum Weiterlesen und zur Erinnerung:
Irrweg Atomkraft: Strahlendes Erbe, AKW-Stresstests - eine interaktive Karte