
Rüstungspolitik: Wer hat das Sagen?
- Ein Artikel von Ortrun Sadik
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Seit Ukrainekrieg und Regierungsbeschlüssen zur Aufrüstung und neuen Rüstungsausgaben steigt der Einfluß der Rüstungsindustrie stetig. Was zu der Frage führt, wer wen steuert: Die Rüstungsindustrie den Staat oder andersrum? Die neue Studie “Wag the dog” von Greenpeace erklärt, warum wir neue Machtverhältnisse zwischen Politik und Rüstungsindustrie brauchen.
“Zeitenwende” nannte Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 den Angriff Russlands auf die Ukraine und sagte in der gleichen Rede ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr zu. Damit läutete er auch eine Verschiebung von Macht und Einfluss zwischen Staat und Rüstungsindustrie ein. Spitzenpoitiker der Ampel-Koalition wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (die Grünen) gingen immer wieder auf Kuschelkurs mit der Rüstungsindustrie, Armin Papperger, Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, bescheinigte den beiden gönnerhaft “Handschlagqualität” und ist als “Experte für Rüstungsfragen” derzeit in allen möglichen Zeitungen.
Im Moment vertrauen Politiker:innen, Medienschaffende und Bevölkerung gleichermaßen blauäugig und übertrieben auf die Segnungen der Hochrüstung und sind dafür bereit, den Rüstungskonzernen weit entgegenzueilen - bei Preisen, langfristigen Verträgen, gelockerten Rüstungsexportrichtlinien etc. Eine gefährliche Entwicklung. Denn die Rüstungsindustrie will IHR Bestes, nicht UNSER Bestes. Eigentlich muss der Staat schleunigst die Zügel in die Hand nehmen, die Macht der Rüstungsindustrie einhegen und selber wieder mehr in die Machtposition kommen. Zumindest, wenn man nicht will, dass der Schwanz mit dem Hund wackelt.

„Wer verhindern will, dass marktwirtschaftliche Logik die Außen- und Sicherheitspolitik dominiert, muss die Rüstungsindustrie einhegen. Wir haben es bei Rheinmetall & Co nicht mit altruistischen Akteuren zu tun: Sie bauen und liefern Waffen, um Geld zu verdienen. Wer anderes glaubt, ist blauäugig.“
Doch wie kann das gehen? Wie ist denn wirklich die Situation in Deutschland? Wer hat welche Macht wofür und wie sieht das in anderen Ländern aus, die Deutschland in Wirtschaftsvolumen, Rüstungsausgaben und Heeresgröße vergleichbar sind? Diese Fragen untersucht die von Greenpeace beauftragte Studie “Wag the Dog - Zum Verhältnis von Staat und Rüstungsindustrie” des Politologen Professor Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg. Und kommt zu dem Ergebnis: Das Machtverhältnis zwischen Staat und Rüstungsindustrie muss neu ausbalanciert werden.
Was ist Rüstungspolitik?
Rüstungspolitik oder auch Rüstungsindustriepolitik oder Politik für die Rüstungsindustrie meint die Summe aller Maßnahmen eines Staates, welche die Entwicklung, die Produktion, den Erwerb, die Bereitstellung, die Instandhaltung, die Ausbildung an und die Veräußerung von Rüstungsgütern betreffen. Rüstungsgüter sind Güter, die hauptsächlich oder teilweise der militärischen Verwendung dienen. Die wichtigste Aufgabe von Rüstungspolitik ist die Versorgung der Streitkräfte in Friedens- und Kriegszeiten. Dabei soll die Versorgungssicherheit gewährleistet sein, was bedeutet, den langfristigen, ausreichenden und konstanten Fluss von Material und Dienstleistungen vom Rüstungssektor zu den Streitkräften sicherzustellen.
Staatsbeteiligung an Rüstungskonzernen
Brzoska empfiehlt in seiner Studie eine neue staatliche Rüstungsindustriepolitik, die die Kapazitäten der Rüstungsproduktion strikt auf das sicherheitspolitisch Notwendige begrenzt. Außerdem sollen die Beschaffungen für die Bundeswehr wirtschaftlich effizient gestaltet werden, d.h. man sollte da einkaufen, wo es am günstigsten ist, und nicht immer nur automatisch der heimischen Rüstungsindustrie den Zuschlag geben, auch wenn das Arbeitsplätze im eigenen Land sichert. Darüber hinaus empfiehlt er, Rüstungsexporte absolut restriktiv zu behandelt. Oberster Leitsatz muss wieder werden: der Staat / die Politik hat das Sagen. Nicht die Rüstungsindustrie. Die Gefahren, die mit der Ausweitung der Waffenproduktion einhergehen, müssen überwacht und eingegrenzt werden.
Dazu schlägt Brzoska verschiedene Maßnahmen vor, unter anderem die Staatsbeteiligung an zentralen Rüstungskonzernen, der offene internationale Wettbewerb bei Beschaffungen der Bundeswehr (sprich der mögliche Kauf im Ausland, um Finanzmittel einzusparen), sowie eine Übergewinnsteuer für Rüstungskonzerne, die in der aktuellen Situation weit überdurchschnittliche Gewinne machen.
Die Empfehlungen im Einzelnen:
- Offene Beschaffungen: Beschaffungen sollten grundsätzlich im internationalen Wettbewerb erfolgen. Ausnahmen sollten nur in einem sehr gut begründeten, engen Bereich gemacht werden, in denen sicherheitspolitisch relevante Abhängigkeiten zu befürchten oder eigenständige Technologieentwicklungen aus sicherheitspolitischen Gründen unabdingbar sind.
- Schlüsseltechnologien: Die Bereiche, für die Ausnahmen vom internationalen Wettbewerb gemacht werden müssen, müssen seitens der Bundesregierung enger und klarer als bislang definiert werden.
- Rüstungspläne: Fähigkeitsziele der Bundeswehr und beabsichtigte Beschaffungen sollten, unter der Maßgabe realistisch zu erwartender Finanzmittel, in Berichte für geplante Beschaffungen innerhalb eines 10-Jahreszeitraums konkretisiert werden. Diese sollten öffentlich kommuniziert und dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden. Die Rüstungspläne sollten jährlich überarbeitet werden, wobei Planänderungen zu begründen sind.
- Rüstungsexporte: Rüstungsexportpolitik sollte verlässlich strikt restriktiv ausgestaltet sein.
- Gemeinschaftsvorhaben: Gemeinsame Beschaffungen mit Partnerstaaten sollten vom Bedarf her und nicht von der Industrieseite her geplant und umgesetzt werden.
- Staatliche Beteiligungen: Entwicklung und Herstellung von Gütern im Bereich von Schlüsseltechnologien sowie deren weitere militärische Technologieentwicklung sollten in staatlicher Hand sein. Darüber hinaus sollten im Einzelfall an Unternehmen, die für die langfristige Sicherung sicherheitspolitisch notwendiger Kapazitäten von Bedeutung sind, staatliche Kapitalbeteiligungen erfolgen, wenn diese nicht anderweitig (etwa über Verträge) gesichert werden können.
- Europäisierung: Die Rüstungsindustriepolitik sollte nationalen Alleingängen bei Beschaffungen und dem Beharren auf nationaler Beteiligung in Gemeinschaftsvorhaben entgegenwirken.
- Technologiepolitik: Auch mit wachsenden Anforderungen an militärische Innovationen sollten militärische und zivile Forschung institutionell getrennt bleiben.
- Wettbewerbspolitik: Unternehmen, die in der aktuellen Phase des Aufbaus der deutschen Rüstungsindustrie weit überdurchschnittliche Gewinne machen, sollten mit einer Übergewinnsteuer belegt werden.

Studie: Wag The Dog
Anzahl Seiten: 44
Dateigröße: 1.06 MB
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