HelloFresh, Zalando, Amazon: Schwedens Wälder enden als Verpackungsmüll
- Nachricht
Schwedens Naturwälder enden als Verpackungsmüll – auch in Deutschland. Greenpeace deckt auf, wie die Heimat der Rentiere zu Pappkartons verarbeitet wird.
„Wehe, wir verlieren den verdammten Lkw“, flucht Dima Litvinov. Seit knapp zwei Stunden fahren wir möglichst unauffällig einem leeren Holztransporter hinterher. Aber jetzt wurde unsere Verfolgungsjagd abrupt unterbrochen, denn eine Rentierherde hat (un)glücklicherweise beschlossen, die Straße vor uns zu überqueren. Während das deutsche Team entzückt Fotos macht, trommelt der schwedische Greenpeace-Waldexperte Dima ungeduldig auf dem Lenkrad, den am Horizont verschwindenden Lkw im Blick.
Wir sind im nördlichen Schweden, in Västerbotten, bekannt für seinen parmesanähnlichen Käse. Die Provinz ist etwas größer als die Niederlande und spärlich besiedelt, hier leben nur rund 270.000 Menschen. Dazu gehören die Sami, die einzigen Indigenen in der Europäischen Union (EU). Sie halten in Lappland, das nördliche Teile Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands erfasst, noch immer traditionell Rentierherden. Zwischen den idyllischen kleinen Orten mit den typischen roten und gelben Holzhäuschen erstreckt sich der noch bis vor wenigen Jahren schier endlos wirkende Wald. Doch dieser Wald ist löchrig geworden. Sehr löchrig. Wald, Kahlschlag, Wald, Kahlschlag – der Blick aus dem Fenster ist ernüchternd. „Würden wir jedes Mal, wenn wir einen Kahlschlag sehen, einen Kurzen trinken, wäre das ein sehr effektives Trinkspiel“, murmelt Dima. Nicht alles Bullerbü.
Wir wollen wissen: Weshalb holzt Schweden seine letzten Naturwälder ab? Unser Verdacht nach ausführlichen Recherchen: Sie landen in schwedischen Fabriken, die die Bäume zu Zellstoff und weiter zu Papier verarbeiten. Diese Produkte werden dann wiederum ins Ausland verkauft – auch nach Deutschland.
Um herauszufinden, ob wir damit richtig liegen, haben wir eine so ungewöhnliche wie aufwändige Methode ausprobiert: Wir lauern leeren Holztransportern vor dem Mahlwerk auf und verfolgen sie bis zu den Waldstücken, wo sie ihr Holz abholen. Das hier ist der dritte Versuch. Die ersten beiden Male haben uns die Lkw zu angepflanzten Waldplantagen geführt. Um diese geht es bei der Recherche aber nicht, sondern das Problem ist, dass Holzernte-Maschinen, sogenannte Harvester, auch nicht vor alten, intakten Wäldern haltmachen.
Waldzerstörung in Schweden bedroht Rentiere und Sami
Schweden definiert „alte Wälder“ oder “Naturwälder” als Wälder, die noch nie komplett abgeholzt wurden. Diese Wälder sind, im Vergleich zu Plantagen, nicht nur eine Reihe von Kiefern, sondern artenreiche, komplexe Ökosysteme. Gemischte Baumarten, Pflanzen unterschiedlichen Alters, Unterholz, kühle Luft, feuchte Böden. Je älter der Wald, desto mehr Flechten wachsen hier – im Winter die wichtigste Nahrungsquelle der Rentiere.
Seit den 1950er Jahren hat Schweden 60 Prozent seiner Wälder in Plantagen umgewandelt. Bleibt es bei dieser Rate, gibt es im ganzen Land ab 2070 keine natürlichen Wälder mehr. Durch die zunehmende Abholzung der natürlichen Wälder müssen die Sami immer häufiger Heu im Winter kaufen, damit ihre Rentiere genug Futter haben. Die intensive Forstwirtschaft gefährdet die traditionelle Lebensweise der Sami, das Leben der Rentiere und Schwedens Artenvielfalt. Zudem hat die Senkenleistung, also das Vermögen der Wälder, CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen und als Kohlenstoff in den Bäumen zu speichern, laut eines Berichts des schwedischen Umweltministeriums, massiv abgenommen. Ändert sich die Forstwirtschaft nicht, könne Schweden seine Klimaziele nicht einhalten.
Die schwedische Regierung hat alle noch vorhandenen alten Wälder auf einer öffentlich zugänglichen Karte verzeichnet. Wir haben recherchiert, für welche dieser Flächen es Abholzgenehmigungen gibt. Eine zähe Fleißarbeit, die sich aber ausgezahlt hat.
Staatliche Forstwirtschaft: Kahlschlag für Zellstoff
Inzwischen haben wir den leeren Holztransporter wieder eingeholt. Nach weiteren 20 Minuten biegt er auf eine kleinere Straße ab und hält an. Dima blickt von seiner Karte der „alten Wälder“ auf. „Jackpot, wir haben den Beweis! Hier links von uns müsste ein alter, unberührter Wald sein.“ Er blickt aus dem Autofenster, runzelt die Stirn und korrigiert sich. „Beziehungsweise hier WAR ein alter Wald“. Wir steigen aus. Vor uns ist eine riesige, schneebedeckte Fläche, doch die dicke Schneedecke kann das Wald-Massaker, das hier stattgefunden hat, nicht ganz verbergen. Unter dem Weiß lassen sich unzählige Baumstümpfe erahnen. Der Kahlschlag reicht fast bis zum Horizont.
Mithilfe eines auf dem Lkw befestigten Krans beginnt der Fahrer des Holztransporters, den Stapel gefällter Bäume zu verladen. Wir stampfen durch den Kahlschlag, der noch vor kurzem ein intaktes Ökosystem war, machen Fotos und finden ein Absperrband. Hier steht der Name der Firma, die das Abholzen durchgeführt hat. „Sveaskog“ – ein staatliches Unternehmen. Schließlich ist der Holztransporter voll und wir folgen ihm zurück zum Sägewerk. Jetzt können wir mit Sicherheit sagen: Dieser alte, schützenswerte Wald wurde abgeholzt, zur Papierfabrik transportiert und endet als Zellstoff.
Aber unsere Recherche endet hier nicht. Dima und sein Team waren im vergangenen Jahr in 68 verschiedenen, abgeholzten alten Wäldern und haben GPS-Tracker in Baumstämmen verbaut. Diese Tracker sendeten ein Signal, mit dem das Team die Stämme bis in unterschiedliche Papierfabriken oder Sägewerke verfolgen konnte. So konnten sie Verbindungen von 20 gerodeten alten Wäldern zu acht Zellstofffabriken und vier Sägewerken ermitteln.
Aber wer sind deren Kunden?
Verpackungen von HelloFresh, Amazon, Zalando und Co. nicht nachhaltig
Über Monate haben das deutsche und das schwedische Greenpeace-Investigativ-Team aufwändig die Lieferketten analysiert. Das Ergebnis: Die schwedischen Papierfabriken verkaufen ihre Rohpapiere auch nach Deutschland, wo sie überwiegend zu Pappkartons verarbeitet werden. Und zu den Kunden der Pappkartonfabriken gehören auch diese drei Versandhäuser: HelloFresh, Amazon und Zalando. Ihre Versandkartons landen nach einmaligem Gebrauch im Papiercontainer oder gar im Hausmüll.
Wälder in Schweden - wertvolle Lebensräume
Entkräftet: Die Argumente der Forstwirtschaft & Papierindustrie
1. „Produkte aus schwedischen Wäldern sind nachhaltig, weil dadurch CO2 aus der Atmosphäre gespeichert wird.“
Ein häufiges Argument der Holzindustrie: Bäume speichern CO2. Wird aus diesen Bäumen ein Haus gebaut, ist der Kohlenstoff im Haus gespeichert. Gleichzeitig wächst ein neuer Baum an der Stelle des alten und nimmt zusätzlichen Kohlenstoff aus der Luft auf. Aber dieses Bild ist verzerrt. Der überwiegende Teil des Holzes aus schwedischen Wäldern ist für kurzlebige Produkte wie Karton- und Papierverpackungen oder Bioenergie bestimmt. Der Kohlenstoff, der in Feuerholz oder Holzpellets 'gespeichert' ist, wird sofort freigesetzt, wenn er für Strom- oder Wärmeerzeugung verbrannt wird. Der in Papier gespeicherte Kohlenstoff landet größtenteils innerhalb weniger Jahre wieder in der Atmosphäre, weil Papier spätestens nach ein paar Recyclingzyklen letztendlich auch weggeworfen und verbrannt wird. Fast der gesamte Anteil (96%) des Kohlenstoffs, der in allen Walderzeugnissen gespeichert ist, wird innerhalb von 100 Jahren freigesetzt, ein Goßteil schon wesentlich früher.
2. „Die Abholzungen in Schweden sind nicht illegal.“
Das stimmt. Die Waldzerstörung, die täglich in Schweden passiert, ist nicht illegal. Das liegt aber vor allem daran, dass die schwedische Regierung die Natur nicht ausreichend schützt: In gerade mal sechs Prozent der schwedischen Wälder dürfen keine Bäume gefällt werden. Zusätzlich überlässt die schwedische Regierung es der Forstwirtschaft zu großen Teilen, sich selbst zu regulieren und zu entscheiden, welche Waldgebiete sie vom Kahlschlag ausnehmen wollen. Der offensichtliche Interessenkonflikt bedeutet, dass die Unternehmen den Wert alter Wälder häufig ignorieren.
3. “Die Produkte haben ein FSC- oder PEFC-Siegel.”
Unternehmen verstecken sich gerne hinter der FSC- oder PEFC-Zertifizierung. Das PEFC-Siegel ist ein fachlich unseriöses und unglaubwürdiges Siegel für die Forstwirtschaft. Es hat diverse Schwachstellen, erlaubt beispielsweise Pestizideinsatz, Düngung und Entwässerung, bleibt vage zu Anforderungen an den Schutz von Arten und Biotopen und schreibt nicht vor, dass bestimmte Flächen ohne Holzeinschlag ausgewiesen werden. Das FSC-Siegel hat strengere Kriterien und höhere Ansprüche, aber der FSC kann bis heute nicht garantieren, dass für seine Produkte keine wertvollen alten Wälder zerstört wurden. Dies war einer der Hauptgründe für Greenpeace, den FSC 2018 zu verlassen. Auch sind die Kriterien und Standards des FSC nicht einheitlich, sondern können von Land zu Land erheblich variieren. So erlauben die schwedischen FSC-Standards beispielsweise ausdrücklich die Holzernte durch Kahlschlag, in Deutschland ist dies nur im Ausnahmefall gestattet.
4. „Papier und Pappe wird recycelt."
Zwar wird ein beachtlicher Teil des deutschen Papiermülls recycelt, aber der Blick in die schwedischen Wälder zeigt: Bei dem hohen Bedarf an Verpackungen des Onlineversands reicht das Recyceln nicht. Auch landen selbst recycelbare Einwegartikel zu oft im normalen Müll oder sogar in der Natur.
Wie HelloFresh, Zalando, Amazon & Co Verantwortung übernehmen können:
- Druck auf die Sägewerke und Papierfabriken ausüben, dass diese kein Material mehr aus der Kahlschlagrodungen von Naturwäldern verwenden.
- Sich für eine bessere Regulierung einsetzen.
- Von Einweg- auf wiederverwendbares Material umsteigen. Sie alle tragen die Verantwortung, die Natur zu schützen, und es ist wichtig, dass sie jetzt handeln, bevor es zu spät ist.
Was wir alle als Konsument:innen tun können, um Wälder zu schützen.