Mysteriöses Fischsterben am Jasmunder Bodden
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Wissenschaftler:innen, Behörden und Umweltschützende stehen vor einem Rätsel: Warum verendeten zu Jahresbeginn massenhaft Fische im Jasmunder Bodden?
Seit Wochen beschäftigen sich Behörden, Labore und Umweltschutzorganisationen mit dem Fischsterben im Kleinen Jasmunder Bodden auf der Ostseeinsel Rügen: Mehr als 30 Tonnen toter Fische wurden mittlerweile geborgen, darunter Brassen, Zander, sogar Hechte. Inzwischen werden die Funde seltener - Fischer und Anwohner:innen vor Ort mutmaßen, das hätte einen einfachen, niederschmetternden Grund: In dem zuvor als fischreich geltenden Gewässer seien nahezu sämtliche Tiere gestorben.
Greenpeace war mehrfach vor Ort, um insgesamt rund 40 Proben zu sammeln: Wasser- und Sedimentproben wurden am Ufer und in Zuläufen, von einem Schlauchboot auf dem Bodden aus bis zu drei Meter tief unter der Wasseroberfläche entnommen. Mitarbeiter:innen nahmen außerdem Gewebeproben mehrerer kürzlich verendeter Fische, die pathologisch und toxikologisch untersucht wurden.
Einige Ergebnisse stehen noch aus, aber bislang können die Forscher:innen, die der Umweltkatastrophe auf den Grund gehen, lediglich sagen, woran es nicht liegt: Die Proben wurden unter anderem auf Pestizide wie das chlororganische Insektizid DDT untersucht. Außerdem suchten die Labore nach Schwermetallen und Industriechemikalien, etwa polychlorierte Dioxine und Furane oder polychlorierte Biphenyle. Doch bislang fand sich kein Giftstoff in Konzentrationen, die eine solche Verheerung im Ökosystem des Boddens erklären könnten.
Spurensuche auf Rügen
Schlechte Wasserqualität im Bodden
Ein sauberes Gewässer ist der Kleine Jasmunder Bodden nicht. Erst nach der Wende wurde das Klärwerk in Bergen in Betrieb genommen, davor liefen Abwässer ungeklärt in den Bodden; durch die Überdüngung in der Landwirtschaft schreitet die sogenannte Eutrophierung voran. Die altgriechische Vorsilbe eu- bedeutet gut, für Gewässer ist das Phänomen schlecht: Durch ein Überangebot an Nährstoffen kommt es zu einem unerwünschten Pflanzenwachstum, wodurch für die im Wasser lebenden Tiere der Sauerstoff knapp wird. Im Sommer lässt sich das häufig bei Algenblüten im Meer beobachten, doch Auslöser des Fischsterbens im Bodden ist die Eutrophierung sehr wahrscheinlich nicht: Dafür sind im Winter die Temperaturen zu niedrig.
Die Ergebnisse der unabhängigen Labore, die Greenpeace mit den Untersuchungen beauftragt hat, bestätigen das: Der Bodden hat eine Art “Grundrauschen” an menschengemachten Belastungen, doch die Frage nach den Ursachen des Fischsterbens beantworten die Funde nicht. Die Sache bleibt ein Rätsel, mit schwindenden Erklärungsansätzen. Auch das Umweltministerium in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich bislang ratlos. Zwar haben die Behörden bereits an Weihnachten Wasserproben genommen, dennoch konnten sie bisher keinen Grund für das akute Sterben der Tiere ausmachen. Jetzt sollen ein Expert:innenrat, transparente Informationspolitik und ein Online-Diskussionsforum dazu beitragen, dass sich ein solches Massensterben in Zukunft nicht wiederholt. Vorschläge dazu liegen bereits auf dem Tisch. So fordert etwa der Landschaftspflegeverband eine Öffnung des kleinen Boddens, um den Wasseraustausch zu verbessern.
Welche Rolle spielen Altlasten?
Mit den falschen Fährten mehren sich die Mutmaßungen. Was entfacht eine solche Wirkung, ohne dass sich eine zweifelsfreie Ursache feststellen lässt? Altlasten der DDR haben die Untersuchenden bislang nicht ausgeschlossen: Auf Rügen befanden sich Stützpunkte der Roten Armee und der Nationalen Volksarmee, das Gelände um Prora war lange Zeit militärisches Sperrgebiet. Ein Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1989 berichtet von “simulierten Sabotageakten auf Trinkwassersysteme” in Prora, bei denen “chemische Gifte eingesetzt worden” seien. Eine stichhaltige Hypothese ergibt das allerdings noch nicht.
Bisherige Erklärungsversuche, die erhöhte Ammonium- und Nitrit-Konzentrationen als Ursache des Fischsterben ausmachten, hält Greenpeace-Experte Manfred Santen zwar für durchaus plausibel, wahrscheinlicher aber sei die Kombination von Nährstoff-Überangebot und einer Kontamination mit Altlasten: “Bei den untersuchten Tieren konnte der hinzugezogene Fischpathologie auch nicht die typischen verfärbten Kiemen feststellen, die auf erhöhte Konzentrationen von Stickstoff-Verbindungen hinweisen.” Das spricht gegen die Ammonium-/Nitrit-Hypothese. Greenpeace-Mitarbeiter:innen gehen weiterhin Hinweisen aus der Bevölkerung nach und versuchen Licht ins Dunkel der Angelegenheit zu bringen. Bis es weitere Ergebnisse gibt, lautet die ehrliche Antwort nach den Gründen des Fischsterbens: Wir wissen es nicht.