Protest von Greenpeace-Aktiven bei Tönnies-Schlachthof
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Bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ist der Betrieb nach der Corona-Zwangspause wieder angelaufen. Aktivistinnen und Aktivisten machen deutlich, dass es so nicht weitergehen darf.
Die Laster voller Schweine, die vor der Corona-Krise in Rheda-Wiedenbrück bis zu 30.000 Tiere pro Tag zur Schlachtung karrten, rollen seit heute morgen wieder. Nach der fast einen Monat dauernden Schließung von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb hat die Stadt Rheda-Wiedenbrück am Mittwoch verfügt, dass der Betrieb heute wieder anlaufen darf.
Doch Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace machen mit einer spektakulären Aktion zur Wiedereröffnung deutlich, dass es nach der Zwangspause nicht einfach weitergehen darf wie bisher. Mit motorisierten Gleitschirmen landen zwei Aktivisten am Morgen auf dem Dach des Hauptgebäudes und fordern auf einem 7 mal 14 Meter großen Banner, dass sie neben dem Firmenlogo an der Fassade ausrollen: „Schluss mit dem Schweinesystem!“.
Der Betrieb in Rheda-Wiedenbürck war am 21. Juni eingestellt worden, nachdem rund 1.500 Beschäftigte positiv auf das Corona-Virus getestet worden waren. Die Landesregierung hatte vorübergehend einen weitgehenden Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf verfügt, wo viele Mitarbeiter des Schlachtbetriebs wohnen. Die Krise bei Tönnies hat nicht nur ein Schlaglicht auf die menschenunwürdigen Bedingungen geworfen, unter denen die Beschäftigten bei Tönnies arbeiten und den beengten Verhältnissen, in denen sie leben müssen. Sie macht auch deutlich, dass Fleischbaron Clemens Tönnies als Taktgeber in der industriellen Fleischerzeugung die Bedingungen diktiert, unter denen Menschen, Tiere und die Umwelt leiden.
Das System Billigfleisch ist komplett krank
„Das System Billigfleisch ist komplett krank und nicht nur für die Beschäftigten der Fleischindustrie in Corona-Zeiten ein Gesundheitsrisiko“, sagt Dirk Zimmermann, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. „Die Produktion von Billigfleisch gefährdet uns alle - über die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen, Nitrat im Wasser, Ammoniak in der Luft und klimaschädliche Emissionen.“
Für den Schutz von Klima, Tieren und Gesundheit fordert Greenpeace eine Umstellung auf artgerechte Haltung, den Abbau der Tierbestände, regelmäßige und strenge staatliche Kontrollen in Ställen und Schlachtbetrieben sowie faire Preise und Arbeitsbedingungen. Damit die tierquälerische Haltung auf engstem Raum, die gegen geltendes Tierschutzrecht verstößt, endlich beendet wird, muss jetzt endlich der Umbau auf breiter Front eingeleitet werden. Dabei dürfen Landwirtinnen und Landwirte, die in bessere Haltungsbedingungen investieren, nicht alleine gelassen werden. Sie brauchen eine gezielte Förderung, die auch die Existenz kleiner und mittlerer Betriebe sichert.
Greenpeace hat dazu im Januar einen durchgerechneten und rechtlich abgesicherten Vorschlag vorgelegt: Mit ein zweckgebundene Tierwohl-Abgabe von 50 Cent je Kilo Fleisch könnten die nötigen Mittel aufgebracht werden. Eine deutliche Mehrheit von 85 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher hat sich ein einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Umfrage für Steuern oder Abgaben auf Fleisch und Wurst ausgesprochen, wenn die Einnahmen an Landwirtinnen und Landwirte fließen, die mit dieser staatlichen Hilfe die Tierhaltung verbessern. Die von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) berufene Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung befürwortet ebenfalls eine Tierwohl Abgabe.
Den Worten müssen jetzt Taten folgen
Um die drängenden Probleme der Landwirtschaft zu lösen, hat die Bundesregierung vergangene Woche eine „Zukunftskommission Landwirtschaft“ eingesetzt, in der auch Greenpeace vertreten ist. Doch den Worten müssen auch Taten folgen. Die fortgesetzte Ankündigungs- und Verzögerungspolitik mit immer neuen gesetzeswidrigen Ausnahme- und Übergangsregelungen für die Tierhaltung muss ein Ende haben. „Ministerin Klöckner darf sich nicht hinter Kommissionen verstecken. Die katastrophalen Zustände im Billigfleisch-System dulden keinen weiteren Aufschub“, fordert Zimmermann. „Um Menschen, Tiere und Umwelt zu schützen, darf der Staat rechtswidrige Haltungs- und Produktionsbedingungen nicht länger tolerieren.“
Greenpeace sieht die Politik auch in der Pflicht, Konzentration von Marktmacht in Fleischindustrie und Handel zu beschränken: Unter dem Preisdruck, für den allen voran Marktführer Tönnies verantwortlich ist, müssen die landwirtschaftliche Betriebe Fleisch zu niedrigsten Standards produzieren. Die Expansion von Mega-Schlachthöfen muss deshalb begrenzt, regionale Betriebe sollten gefördert werden. Um die Haltungsbedingungen in den Ställen für Verbraucherinnen und Verbraucher transparent zu machen, muss für alle Fleisch- und Wurstprodukte eine verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsform vorgeschrieben werden.
Auch die großen, marktbeherrschenden Einzelhandelskonzerne Edeka, Rewe, Aldi und Lidl stehen in der Verantwortung: Greenpeace fordert die Supermarktketten auf, Fleisch aus schlechter Tierhaltung (Haltungsformen 1 und 2) aus dem Sortiment zu nehmen und auf Werbung für Billigfleisch zu verzichten. „Das Preisdumping muss ein Ende haben, um die Beschäftigten in den Schlachthöfen und Erzeugerinnen und Erzeuger fair zu bezahlen“, sagt Zimmermann.
Umfrage zur Haltungsform-Fleischkennzeichnung der Supermärkte März 2020
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