Schweinegülle verteilt multiresistente Keime und Antibiotika in der Umwelt
- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Resistente Keime bereiten Medizinern zunehmend Sorgen. Greenpeace hat nun jede Menge davon in Gülle gefunden – sie könnten großflächig auf Äckern landen.
Eine Binsenweisheit: Antibiotika müssen streng nach Packungsanweisung eingenommen werden; Ärzte dürfen sie nicht leichtfertig verschreiben. Denn sonst können Bakterien, die das Medikament abtöten soll, Resistenzen bilden. Die lebensrettenden Mittel werden dann unwirksam. Erstaunlich deshalb, wie fahrlässig die Handhabung in der Nutztierhaltung ist.
Ist ein Tier krank, muss meist der ganze Stall Antibiotika schlucken. Das kommt eher häufig als selten in der Massentierhaltung vor – insbesondere bei Schweinen und Geflügel. Der massive Einsatz hat Konsequenzen: Die Landwirtschaft wird zunehmend zur Brutstätte resistenter Keime. Die Erreger bleiben nicht im Stall, sondern können beim Ausbringen von Gülle im großen Stil in der Umwelt verteilt werden. Das belegen von Greenpeace beauftragte Laboranalysen.
Gülle im Test
19 Gülleproben aus Schweinemastanlagen in sieben Bundesländern hat Greenpeace in zwei Labore geschickt. Das Eine sollte auf multiresistente Keime testen, das Andere auf Antibiotikarückstände.
13 Proben enthielten Bakterien mit Resistenzen gegen Beta-Lactam-Antibiotika: Wirkstoffe, die in ihrer Struktur auf Penicillin zurückgehen und häufig in Veterinär- und Humanmedizin eingesetzt werden. In sechs Fällen stellten die Labor-Mitarbeiter Resistenzen gegen gleich drei Antibiotikagruppen fest.
Das zweite Labor fand in 15 Proben Rückstände von Antibiotika. Das ist nicht verwunderlich, da Tiere viele Antibiotika unverändert ausscheiden. Auf dem Acker wirken die Mittel auf Bodenorganismen und können – wie auch Keime – ins Grund- und Oberflächenwasser gelangen.
„Der sorglose Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung ist katastrophal“, sagt Dirk Zimmermann, Greenpeace-Experte für Landwirtschaft. „Immer mehr Keime entwickeln Multiresistenzen. Dadurch können bereits geringfügige Infektionen beim Menschen wieder tödlich verlaufen.“
Warnende Wissenschaft und tatenlose Politik
Davor warnt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – und spricht bereits von der Gefahr eines „postantibiotischen Zeitalters“. Dann würden immer mehr Menschen wieder an Entzündungen sterben, die seit der Entdeckung des Penicillins und anderer Antibiotika vor circa 80 Jahren eigentlich heilbar sind. Schon heute kosten multiresistente Keime, beispielsweise in Krankenhäusern, viele Menschen das Leben. Schätzungen zufolge sterben in Europa jährlich etwa 25.000 Menschen an Infektionen mit Keimen, die gegen mehrere Antibiotika immun sind.
Das Problem drängt - so sehr, dass sich die Gesundheitsminister der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) bei ihrem heutigen Treffen in Berlin damit beschäftigen. „Die Lösung liegt in einem engagierten Vorgehen nicht nur in der Human-, sondern auch der Tiermedizin“, sagt Zimmermann. „Der Antibiotikaverbrauch muss generell weitgehend reduziert werden. In der Landwirtschaft geht das nur mit einer besseren Tierhaltung. Denn Tiere, die mit mehr Platz und ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden, sind weniger anfällig für Krankheiten.“ Obwohl die Gefahr lange bekannt ist, hat die Politik bislang nicht gehandelt – auch nicht der in Deutschland verantwortliche Landwirtschaftsminister Schmidt.