Laut Medienberichten: Behörde übernahm Glyphosat-Beurteilung vom Hersteller
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UPDATE 6. Oktober 2017:
In Berlin präsentierten die Organisationen PAN Germany und Global 2000 gestern ein Gutachten, das wie bereits Medienberichte zuvor zu dem Schluss kommt: Der Bewertungsbericht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu Glyphosat erfüllt die Kriterien eines Textplagiats. Der österreichische Sachverständige Dr. Stefan Weber wirft dem BfR „erhebliches wissenschaftliches Fehlverhalten“ vor.
In ihrem Bericht an die EU übernahm die Behörde Einschätzungen zur Unbedenklichkeit von Glyphosat wörtlich vom Hersteller – ohne das kenntlich zu machen. „Damit ist die Bewertung das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht“, sagt Christiane Huxdorff, Greenpeace-Expertin für Landwirtschaft. Die aktuelle EU-Zulassung von Glyphosat läuft am 15. Dezember dieses Jahres aus. Seit gestern berät ein Fachausschuss der EU-Mitgliedsstaaten über das weitere Vorgehen. „Bundesminister Schmidt muss jetzt bei der EU-Kommission gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat stimmen“, so Huxdorff.
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Eigentlich sollte die Bewertung, wie gefährlich bestimmte Chemikalien sind, nicht grundsätzlich anders laufen als Kaufentscheidungen im Alltag: Wer eine ehrliche Einschätzung zu einem Produkt hören will, befragt dazu nicht den Verkäufer. So verfahren Kunden beim Gebrauchtwagenhändler, europäische Behörden aber offenbar nicht beim Totalherbizid Glyphosat. Ein Bericht des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), der vor zwei Jahren an die EU ging, kam zum Ergebnis: Glyphosat in Lebensmitteln stellt kein relevantes Krebsrisiko dar. Der Haken: Zu diesem Schluss kommt das Institut unter anderem anhand des Urteils des Agrarchemiekonzerns Monsanto – dem wichtigsten und größten Hersteller von Glyphosat.
Das berichten unter anderem die Süddeutsche Zeitung und der britische Guardian. Beim Vergleich von Textpassagen zeigt sich: Die Behörde hat zum Teil einfach bei der Industrie abgeschrieben. Wie deren Einschätzung zur Unbedenklichkeit ihres Produkts ausfällt, kann man sich denken. Der Vorfall ist mehr als ein Fauxpas oder ein Plagiat: Die Verantwortlichen haben eine Entscheidung, die potenziell die Gesundheit von Millionen Verbraucher betrifft, im Sinne des Herstellers getroffen, sprich: zur Steigerung dessen Profits.
WHO: Glyphosat ist „wahrscheinlich krebserregend“
Dass diese Schriftstücke dem BfR vorliegen, ist zunächst ein normaler Vorgang: Die Hersteller reichen für die Bewertung durch das Institut eigene Studien ein, sichten und bewerten aber auch alle verfügbaren unabhängigen Untersuchungen. Aus einer solchen Bewertung stammen die beanstandeten Stellen: Darin werden unter anderem auch Studien in Frage gestellt, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2015 zum Anlass nahm, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ einzustufen.
Dass der Hersteller ein solches Ergebnis herunterspielt, ist nicht ungewöhnlich. Der Skandal liegt darin, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung diese Einschätzung kritiklos übernahm, und zwar ohne die Quelle kenntlich zu machen – lediglich über den Textvergleich ist nachvollziehbar, wie die Behörde ihre Schlüsse gezogen hat. Dank der Recherche ist klar: Für deutsche Behörden ist Glyphosat unbedenklich, weil der Hersteller das sagt. Als Bewertungskriterium ist das mit Sicherheit zu wenig. Davon, dass das BfR die ihm vorliegenden Untersuchungen „umfassend geprüft und ausgewertet“ habe, wie es im Bericht heißt, kann jedenfalls keine Rede sein.
Entscheidung zum Jahresende
Noch immer gibt es in der EU keine Einigung darüber, ob das Pestizid weiterhin in der Landwirtschaft eingesetzt werden darf, eine Entscheidung wird im Dezember erwartet. Auch im Licht der neuen Erkenntnisse muss Deutschland gegen die Wiederzulassung stimmen, fordert Greenpeace – auf dieser mangelhaften Grundlage darf keine derart weitreichende Entscheidung getroffen werden.
Für den Verbraucher ist der Fall bereits jetzt klar: Laut einer Greenpeace-Umfrage aus dem vergangenen Jahr sind die meisten Bundesbürger gegen eine weitere Zulassung – selbst wenn sie für ihre Lebensmittel in Zukunft mehr zahlen müssten.