Keine Fleischproduktion auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt
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Die Corona-Infektionen in Schlachtbetrieben häufen sich. Greenpeace-Aktive protestieren in Berlin beim Kanzleramt und fordern einen kompletten Umbau der Fleischindustrie.
Eine unfassbare große Zahl: 760 Millionen Schweine, Rinder, Hühner und andere Tiere landen in Deutschland jährlich auf der Schlachtbank. Millionenfaches Tierleid ist nur einer von vielen Missständen, die auf das Konto der Fleischindustrie gehen. Seit Jahren werden die Missstände politisch geduldet, doch jetzt steht das Thema ganz oben auf der politischen Agenda. Der Grund: Eine auffällige Häufung von Corona-Fällen in Fleischbetrieben, mehr als 600 bestätigte Infektionen sind es mittlerweile deutschlandweit. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) versuchte noch vergeblich, die Vorfälle einzelnen “schwarzen Schafen” der Branche in die Schuhe zu schieben. Doch mittlerweile hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeschaltet; sie ordnete die Vorfälle am vergangenen Mittwoch als “erschreckende Nachrichten” aus der Fleischindustrie ein und thematisierte auch die prekären Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse der Beschäftigten.
Es geht um mehr als beengte Unterkünfte - das ganze System ist krank
Die für heute angekündigten strengeren Vorschriften bezüglich der Arbeitsbedingungen hat die Bundesregierung auf Mittwoch verschoben. Die Dimension des Problems führt Dirk Zimmermann, langjähriger Greenpeace-Landwirtschaftsexperte, gemeinsam mit ehrenamtlichen Aktivistinnen und Aktivisten den politischen Entscheidungsträgern in Berlin vor Augen. Mit im Gepäck haben sie eine meterhohe Kotelett-Skulptur und Bildtafeln, die die unsichtbaren Folgen der Billigfleisch-Produktion zeigen: Ausbeutung von Arbeitskräften, Tierleid, Klimagase und Waldzerstörung für den Anbau von Futtermitteln wie Soja. Denn auch in Deutschland gibt es nicht genügend Flächen, um genügend Futter für die Millionen Tiere der Fleischindustrie anzubauen.
„Die Regierung muss das Problem über das Thema der beengten Unterkünfte hinaus viel größer angehen”, fordert Zimmermann. “Das ganze System Billigfleisch krankt. Es funktioniert nur auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt.” Missstände, die Greenpeace seit Jahren immer wieder offenlegt, wie etwa vor wenigen Wochen, als der Agrarexperte Gülle aus Schweineställen testen ließ und in 12 von 15 Proben antibiotikaresistente Keime fand. Darunter auch solche mit Resistenzen gegen überlebenswichtige Reserveantibiotika.
Das Problem an der Wurzel packen
Mit Blick auf Pandemie, Klimakrise und Artensterben gibt es nur einen Weg: den konsequenten Umbau der Fleischproduktion. Das wird vielen nicht schmecken, schon gar nicht der konventionellen Landwirtschaft und Fleischproduktion. Aber wenn wir Klimaziele einhalten wollen und die Landwirtschaft zukunftsfähig bleiben will, brauchen wir eine Agrarwende. Konkret bedeutet das artgerechte Tierhaltung, weniger Tiere, mehr regionale Lebensmittelversorgung und faire Arbeitsbedingungen in den Betrieben.
Einfach wird das nicht. Zu stark ist die Agrarlobby aufgestellt. Vor allem die Schweinebranche hat massiven Einfluss auf Politik und Markt. Mit mehr als 55 Millionen Schlachttieren im Jahr produziert sie das meiste Fleisch. Die drei größten Unternehmen Tönnies (17 Millionen Schlachtungen), Vion (8 Millionen) und Westfleisch (8 Millionen) kommen auf einen Marktanteil von 57 Prozent. “Die Schweinebarone blockieren seit Jahrzehnten die nötigen großen Reformen wie zum Beispiel tierschutzgerechte Vorschriften zur Haltung ”, stellt Zimmermann fest.
Nötig sind nicht nur strengere Auflagen bei Haltung, Transport und Schlachtung einschließlich Kontrollen und Sanktionen, sondern strengere Regulierungen entlang der gesamten Produktion. Dazu gehören auch transparente Lieferketten, bei denen Menschenrechte und Umweltbestimmungen eingehalten werden. Greenpeace konnte am Beispiel Schweinemast und Ferkelproduktion in früheren Kampagnen nachweisen, dass die sogenannte Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung weder Verfassung noch Tierschutzgesetz entspricht.