Die politische Arbeit von Greenpeace
- Ein Artikel von Stefan Krug
- Hintergrund
Machen Umweltorganisationen wie Greenpeace Lobbyarbeit wie alle anderen auch? Nein, die Unterschiede sind erheblich. Denn es geht nicht darum, Greenpeace als Organisation Vorteile zu verschaffen – es geht um den Schutz von Allgemeingütern: unseren Lebensgrundlagen.
Während Greenpeace und andere gemeinnützige Organisationen diese allgemeinen Interessen verfolgen, hat der Lobbyist eines Autoherstellers oder eines Chemiekonzerns eine andere Aufgabe: Die politischen Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass die selbst gesteckten wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Je schwächer die CO2-Grenzwerte für Autos oder die Restriktionen für giftige Chemikalien ausfallen, umso besser für manche Unternehmen – zumindest auf kurze Sicht. Aber das ist leider die vorherrschende Perspektive vieler Wirtschaftsakteure. Je ungestörter das Unternehmen bleibt, desto besser hat der Lobbyist gearbeitet, desto mehr Spielraum bringt dies dem Unternehmen selbst – und umso höher fällt wohl auch die Prämie für den Lobbyisten aus. Mit Lobbying versuchen Unternehmen also, sich Privilegien wie etwa Subventionen oder Ausnahmeregelungen zu sichern und damit ein immer größeres Stück vom Kuchen abzuschneiden.
Interessen von allen gegen Einzelinteressen
Kann Greenpeace dagegen eine Forderung für mehr Umweltschutz politisch durchsetzen, so hat die Organisation selbst recht wenig davon. Zwar können auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) gelegentlich mit Erfolgen oder Teilerfolgen für sich werben. Selten aber sind politische Erfolge im Umweltschutz auf eine einzelne Organisation zurück zu führen. Vor allem aber setzen sich diese Erfolge nicht unmittelbar in wirtschaftliche Vorteile um, wie dies bei gelungener Lobbyarbeit von Unternehmen oft der Fall ist. Beispiel CO2-Grenzwerte für Autos: Als Bundeskanzlerin Merkel 2013 in letzter Minute einen bereits ausgehandelten und auch von den deutschen Unterhändlern bereits akzeptierten Kompromiss in letzter Minute stoppte und Neuverhandlungen verlangte, hatten die Lobbyisten der Branche ganze Arbeit geleistet. Die später verabschiedete, abgeschwächte Verordnung brachte den Autoherstellern Ersparnisse in Milliardenhöhe – auf Kosten der Allgemeinheit. Denn diese muss für die Folgen von zu hohen Emissionen im Straßenverkehr letztlich zahlen.
Greenpeace vertritt kein Einzelinteresse, sondern das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Denn die natürlichen Lebensgrundlagen – ein menschenfreundliches Klima, gesunde Böden, sauberes Trinkwasser, artenreiche Wälder, intakte Flüsse und Meere, unverschmutze Luft – sind „Global Commons“, unveräußerliche globale Gemeingüter, ohne die kein Gemeinwohl möglich ist. Ihr Erhalt liegt im Interesse der ganzen Gesellschaft – und damit auch wieder im Interesse des Einzelnen.
„Gegen-Lobbyisten“
Es sind Partikularinteressen wie etwa das Profitstreben einzelner Unternehmen oder das Machtstreben einzelner Staaten, die diese natürlichen Gemeingüter durch Übernutzung und Ausbeutung schädigen oder gar zerstören. Gegen diese Einzelinteressen und ihre Lobbyisten arbeiten gemeinnützige „public interest groups“ wie Greenpeace. Und deshalb lehnen wir es ab, mit jenen Lobbyisten begrifflich in einen Topf geworfen zu werden, denen das Gemeinwohl oft gleichgültig ist oder die ihre geschäftlichen Interessen mit dem Gemeinwohl einfach gleichsetzen.
Die Ähnlichkeiten zwischen dem Lobbyismus von Unternehmen oder Branchen und dem Vorgehen von Greenpeace und anderen NGOs, um politische Fortschritte durchzusetzen, sind nur oberflächlich. Gewisse Instrumente der „Politikberatung“ – wie das leicht anrüchige Wort Lobbyismus gerne umschrieben wird – setzen beide Seiten ein. Greenpeace führt wie andere Interessenvertreter auch direkte Gespräche mit Regierungsmitgliedern und Parlamentariern. Wir werden zu Fachveranstaltungen, Anhörungen im Bundestag und runden Tischen in Ministerien geladen, gelegentlich auch zum vertraulichen Vier-Augen-Gespräch. Wir besuchen Diskussionen und Empfänge des politischen Berlin, sitzen auf Podien, stellen eigene Studien und Gesetzesentwürfe auf Pressekonferenzen und parlamentarischen Abenden vor und schreiben viele Briefe. Wir sind auf Klimakonferenzen der Vereinten Nationen ebenso zu finden wie im Europaparlament oder in der Lobby des Bundestages während einer wichtigen Debatte.
Greenpeace hat sich also den gleichen Werkzeugkasten zugelegt wie Lobbyisten. Allerdings fällt er wegen der vergleichsweise beschränkten Mittel wesentlich kleiner aus. Da sich die Werkzeuge ähneln, sind die Unterschiede zwischen Lobbyisten und einer „public interest group“ wie Greenpeace umso wichtiger.
Lobbyismus braucht mehr Transparenz
Ein weiterer offenkundiger Unterschied zum Lobbyismus herkömmlicher Art ist der Umgang mit Transparenz. Für Greenpeace ist die Öffentlichkeitsarbeit essentiell, und auch unsere politische Arbeit sucht den Weg in die Öffentlichkeit. Greenpeace stellt Gesetzesentwürfe vor, veröffentlicht Studien und Gutachten, organisiert Unterschriftenaktionen und Umfragen. Dieses „Material“ bildet die Grundlage für die politischen Forderungen und Argumente, die Greenpeace gegenüber der Politik vorbringt. Transparenz ist bei der Wirtschaftslobby dagegen selten anzutreffen. Gelegentlich kommt ans Licht, wie Politiker bestochen oder von Unternehmen vorformulierte Textpassagen ungekürzt Eingang in Gesetzestexte finden.
Das Gros der zweifelsohne massiven Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik aber bleibt im Verborgenen. Deshalb unterstützt Greenpeace Initiativen für mehr Transparenz im Lobbyismus, etwa die Einführung eines Lobbyregisters mit Offenlegung von Auftraggebern, Einkünften, Budget und Adressaten, sowie strengere Regeln für den Wechsel von politischen Funktionsträgern in die Wirtschaft und ähnliches mehr (siehe www.lobbycontrol.de und www.alter-eu.org). Für die Glaubwürdigkeit unserer politischen Arbeit ist zudem die finanzielle und politische Unabhängigkeit von Regierungen, Parteien und Unternehmen essenziell.
Arbeit gegen eine Übermacht
NGOs wie Greenpeace verfügen nicht annähernd über Einfluss und Geldmittel wie die Wirtschaftslobby. In Berlin wird die Zahl der Lobbyisten auf 5000 geschätzt. In Brüssel, wo rund 80 Prozent der Umweltgesetzgebung entsteht, sind es rund 15.000, von denen 70 Prozent für Unternehmen und Wirtschaftsverbände tätig sind. Häufig geschieht dies in äußerlich unverfänglicher Form, etwa in Anwaltskanzleien oder Agenturen für „Public Affairs“. Das Greenpeace-Büro in Brüssel zählt 14 Mitarbeiter, in Berlin sind es sechs Angestellte. Lobbyarbeit bei Greenpeace erfolgt aber auch durch die Experten (Campaigner) der einzelnen Themen, die Fachkontakte zu Behörden, Parlament und Regierung aufbauen und als Experten zu Anhörungen und Stellungnahmen eingeladen werden.
Das Aufdecken von Umweltskandalen, exemplarisch sichtbar gemacht in öffentlichen Aktionen, die Verantwortliche beim Namen nennen, und die Fähigkeit von Greenpeace, Öffentlichkeit zu mobilisieren, sind das Fundament, auf dem unsere politische Arbeit steht. Im Gegensatz zur Wirtschaftslobby kann Greenpeace nicht mit Produktionsverlagerung oder dem Abbau von Arbeitsplätzen drohen, noch spielen Geldkoffer eine Rolle. Greenpeace wird politisch ernst genommen, weil wir nicht nur Fachexpertise bieten, sondern auch Wächter sind und öffentlichen Druck erzeugen können.
Das eklatante Ungleichgewicht zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaftsvertretern ist natürlich auch der Politik bewusst. Abgeordnete und andere Politiker machen uns gegenüber manchmal ihrem Unmut Luft über die penetrante „Bombardierung“ durch Wirtschaftslobbyisten. So suchen nicht nur wir aktiv Kontakt zur Politik, sondern die Einschätzung von Greenpeace und anderen NGOs wird von der Politik selbst nachgefragt. Dabei kommen Berührungsängste gegenüber Umweltschützern, noch dazu, wenn sie zu provokanten Aktionen neigen, noch immer vor. Sie spielen aber keine wirkliche Rolle mehr.
Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung Berlin
Stand: Februar 2016