Klimaschutzkonferenz / Green-Deal / Klimapaket: Interview mit Greenpeace-Chef Martin Kaiser
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Endlose Sitzungstage, Verhandlungen bis spät in die Nacht, tausende Konferenzteilnehmer – Klimaschutzkonferenzen sind jedes Mal eine Marathonaufgabe für alle Beteiligten. Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland ist schon seit Jahren bei den Konferenzen mit dabei. Und ist dieses Mal nicht nur erschöpft, sondern auch frustriert. Im Interview erzählt er über das Tauziehen hinter den Kulissen in den letzten zwei Wochen und gibt einen Ausblick nach vorne.
Greenpeace: Du bist frisch zurück aus Madrid – wie bewertest du die letzte Klimaschutzkonferenz?
Martin Kaiser: Ich bin fassungslos. Die Welt steht mit dem Klimawandel am Abgrund, aber die internationale Staatengemeinschaft schafft es nicht, darauf zu reagieren. Die Ergebnisse von Madrid sind ein Angriff auf das Herz des Pariser Abkommens. All jene Menschen, die weltweit längst unter den Folgen der Klimakrise leiden und nach schnellen Fortschritten rufen, werden schmählich im Stich gelassen.
Woran liegt das?
US-Präsident Donald Trump und der brasilianische Staatspräsident Jair Bolsonaro mauern, wo sie nur können. Dadurch sind die internationalen Klimaverhandlungen im Prinzip blockiert, denn viele andere Wirtschaftsnationen verstecken sich dahinter. Es hat mir wehgetan, mit Vertretern brasilianischer NGOs zu sprechen. In Brasilien sind die Rechtspopulisten unter Bolsonaro gerade dabei, schrittweise die lebendige Demokratie zu entkernen. Das ist echt ein Drama
Hast du Hoffnung für die nächste Klimaschutzkonferenz in Glasgow?
Sollte bis dahin in den USA immer noch Trump der Präsident sein – nein. Wir müssen rauskommen aus dem Glauben, dass von den UN-Konferenzen mit ihrem Einstimmigkeitsprinzip die mutigen Entscheidungen kommen, die wir brauchen, um die Atmosphärenerwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Ich denke, wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie Klimaschutz jenseits der internationalen Klimaschutzkonferenz Fahrt aufnehmen kann. Besonders gefordert sind Länder wie Deutschland oder Werte- und Wirtschaftsregionen wie Europa. Europa muss es schaffen, sich ambitionierte Klimaschutzziele zu stecken und damit so viele Staaten wie möglich mit auf seinen Kurs ziehen. Am wichtigsten sind dabei natürlich Indien und China.
Apropos Europa – wie bewertest du den sogenannten „Green-Deal“, also die Ankündigung der EU, bis 2050 klimaneutral zu sein?
Tatsächlich war das einer der wenigen Hoffnungsschimmer der letzten Tage. Obwohl es für die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad notwendig wäre, dass die EU schon 2040 klimaneutral wird. Im Detail geht der Green Deal uns Umweltschutzorganisationen noch nicht weit genug – aber dass sich eine ganze Wirtschaftsregion den umweltverträglichen Umbau seines Wirtschafts- und Finanzsystems auf die Agenda setzt, macht mir Mut.
Nun müssen die Mitgliedsstaaten sofort mit diesem Umbau beginnen, indem sie Erneuerbare Energien zur Leitenergie machen und klimaschädliche Kohle, Gas und Öl viel schneller als bisher zurückdrängen. Es ist gut, dass der Europäische Rat sich nicht von einem Kohleland wie Polen hat bremsen lassen. Allerdings darf es jetzt natürlich unter gar keinen Umständen einen Rückfall in die Atomkraft geben.
Zurück zur Klimakonferenz: Du hattest im Vorgespräch erzählt, auch dort hätten die Lobbygruppen der Kohle- und Erdölindustrie massiv versucht, Einfluss zu nehmen, aber…?
Ja, es ist schon fast makaber, aber das vielleicht beste Ergebnis der diesjährigen Klimaschutzkonferenz ist, dass es so wenige Ergebnisse gibt. Greenpeace und vor allem die jungen Menschen haben auf der Konferenz zumindest das Schlimmste verhindern können.
Tatsächlich gab es massive Versuche der fossilen Industrie um Konzerne wie BP, Shell, Exxon oder Boeing, mit ihren Lobbyarmen massive Schlupflöcher in den Kohlestoffhandel zu reißen. Sie wollten, dass bisher ungenutzte CO2-Zertfikate auch in der nächsten Verhandlungsperiode verkauft werden dürfen. Damit hätten weiterhin Milliarden mit der Zerstörung der Wälder und dem Ausverkauf unseres Planeten verdient werden können.
Immerhin geht es hier um eine Menge an Klimagasen, die einer zusätzlichen Erderwärmung von 0,1 Grad entspricht! Greenpeace und alle Umweltschutz- und Jugendgruppen haben zusammengearbeitet, um diesen Vorstoß in einem Kraftakt zu verhindern. Nun ist diese Entscheidung zumindest erst einmal aufs nächste Jahr verschoben worden. Das eröffnet die Möglichkeit, einen globalen Kohlenstoffhandel zu verhindern.
Angesichts von Klima-Päckchen und verschlepptem Kohleausstiegsgesetz noch die Frage: Was muss die deutsche Bundesregierung jetzt tun?
Echter Klimaschutz wäre mal schön! Also, sie muss das inakzeptabel schwache Klima-Paketchen nachbessern. Konkret muss sie möglichst schnell erste Kohlekraftwerke abschalten und Erneuerbare Energien deutlich stärker ausbauen. Der CO2-Preis müsste bei 80 Euro beginnen statt wie geplant bei 25 Euro und schon ab 2025 dürften keine weiteren Autos mit klimaschädlichen Verbrennungsmotoren zugelassen werden. So könnte die Bundesregierung dazu beitragen, dass Europa sich klimafreundlich umbaut — der Rückhalt einer großen Mehrheit in der Bevölkerung ist ihr dabei sicher.
Beim Kohleausstieg ist es besonders krass – und nach diesem Jahr muss ich sagen: Was da passiert, geschieht nicht mehr im Namen von Greenpeace. Minister Peter Altmeier hat den Kohleausstieg versemmelt und den Ausbau von Wind mit Billigung der Koalition komplett zum Erliegen gebracht. Kanzlerin Merkel muss jetzt ein Machtwort sprechen und zügig vier Braunkohlekraftwerke stilllegen!
Hat die Fridays-for-Future-Bewegung 2019 am Ende nichts erreicht?
Ganz im Gegenteil. All die jungen Menschen von Fridays for Future haben die Klimadebatte auf komplett neue Füße gestellt. Sie haben immer wieder die Wirkungslosigkeit unserer Politikerinnen und Politiker demaskiert. Wie oft wollten die Regierenden ihr Nichthandeln beim Klimaschutz heute als Erfolg verkaufen – doch die Wut der jungen Menschen hat ihr Gerede als heiße Luft enttarnt. Das ist viel.
Und ich hoffe, dass sie nächstes Jahr weitermachen. Dass sie nach einer wohlverdienten Weihnachtspause wieder so kreativ und unerbittlich all diejenigen in die Verantwortung nehmen, die die Politik derzeit lähmen: Auto-, Öl- und Kohlekonzerne.