Interview mit Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser zum Ende des UN-Klimagipfels
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Nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015 war der Weltgemeinschaft klar, was sie im Kampf gegen die Erderhitzung tun muss. Bei dem Treffen im polnischen Kattowitz ging es in den vergangenen zwei Wochen nun darum, auf welche Weise sie es tun soll. Am Ende stand ein verbindliches Regelbuch. Unbestritten ein diplomatischer Erfolg – aber auch ein Durchbruch für den Klimaschutz? Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser war bis zum Ende der Verhandlungen vor Ort und erklärt im Interview, was auf der 24. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention passierte – und was nicht.
Greenpeace: Mit mehr als 24 Stunden Verspätung ging Samstagabend um halb zehn die Weltklimakonferenz in Polen zu Ende. Hat sich die Verlängerung gelohnt?
Martin Kaiser: Ja, wenn auch unter Vorbehalt. Die Konferenz hat ihr Minimalziel erreicht und mit einem Regelwerk so etwas wie die Gebrauchsanweisung des Pariser Klimaabkommens vorgelegt. Nach drei Jahren zäher Verhandlungen ist das eine gute Nachricht, aber es ist längst nicht genug.
Wieso?
Regeln alleine stoppen keine Treibhausgase, und die sind letztes Jahr global wieder angestiegen. Dafür brauchen wir verbindliche Maßnahmen und wirksame Schritte der Staaten. Die große Enttäuschung von Kattowitz ist, dass davon nichts zu sehen war.
Was hätte denn noch auf die Tagesordnung gehört?
Vor zwei Monaten veröffentlichten die wichtigsten Klimawissenschaftler der Welt einen Bericht, dass uns nur noch zwölf Jahre bleiben, um die Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen. Bereits 2018 war ein Jahr voller Wetterextreme und das bei „nur“ einem Grad Erwärmung. Wenn die Staaten auf einer Klimakonferenz am Ende eines solchen Jahres nicht verbindlich vereinbaren, wie sie ihren CO2-Ausstoß schnell reduzieren, dann können das sehr viele Menschen nicht mehr nachvollziehen.
Auf der einen Seite ist da die Dringlichkeit der Klimakrise, auf der anderen ein sehr zäher diplomatischer Prozess. Muss man diesen Widerspruch nicht mal auflösen?
Ja, damit droht auch der ganze Prozess seine Akzeptanz zu verlieren. Natürlich ist es gut, dass sich in Zeiten von Protektionismus und Klimaleugnern knapp 200 Staaten auf verbindliche Regeln einigen können. Es ist der Beweis, dass Multilateralismus auch in Zeiten von Trump weiter funktioniert.
Aber wenn uns Meteorologen sagen, dass die 20 wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen in den vergangenen 22 Jahren lagen, wenn weltweit Hunderte weiterer Kohlekraftwerke geplant werden, obwohl die Wissenschaft sagt, dass wir schnell raus müssen aus der Kohle – dann erwarten die Menschen, davon sehr viele junge, von einer Klimakonferenz auch wirksame Beschlüsse.
Das Regelwerk steht, die Klimakrise beschleunigt sich. Wie geht es jetzt weiter?
Jetzt müssen die Staaten liefern, auch Deutschland – wo seit zehn Jahren die Treibhausgasemissionen stagnieren. Allen ist klar, dass die bisherigen Klimaschutzzusagen aller Länder uns in eine Welt führen, die Ende des Jahrhunderts mindestens drei Grad heißer sein wird. Damit würde das Artensterben weiter beschleunigt und große Teile der Welt unbewohnbar werden. Um das zu verhindern, müssen für alle Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie deutliche und verbindliche Leitplanken gesetzt werden, denn sonst passiert gar nichts.
Deutschland ist nach den vielen verlorenen Jahren unter Kanzlerin Angel Merkel ganz besonders gefordert. Es ist seit Kattowitz noch einmal klarer geworden, dass die Kohlekommission Anfang Februar einen ehrgeizigen Plan vorlegen muss. Alles andere ist insbesondere der jungen Generation auch nicht mehr zu vermitteln. Die Bundesregierung muss den Ausstieg aus der Kohle dann sofort starten und bis spätestens 2030 abschließen. Und das ist nur ein Teil der Aufgaben für das kommende Jahr.
Was steht denn noch an?
Der Kohleausstieg ist ein wichtiger Baustein des Klimaschutzgesetzes, das die große Koalition für das kommende Jahr versprochen hat. Die wirklich dicken Bretter aber werden noch gar nicht gebohrt: Der Verkehr drückt sich seit gut einem Vierteljahrhundert vor einem Beitrag zum Klimaschutz. Auch die Landwirtschaft mit ihrer klimaschädlichen Massentierhaltung hinkt seit 15 Jahren weit hinterher. All diese Bereiche müssen im kommenden Jahr klare Pläne vorlegen, wie sie schnell und deutlich ihre Emissionen senken. Deutschland steht also vor einer grundlegenden Modernisierung – mit allen Herausforderungen und allen Chancen. Ohne einen sichtbaren Fortschritt muss Deutschland jedenfalls nicht mehr zur nächsten Klimakonferenz anreisen. Das wird die Bevölkerung nicht akzeptieren.