Juristische Expertise zu Corona & Grundrechten
- Ein Artikel von Ildiko Mannsperger
- Nachricht
Welche Auswirkungen haben mehr als sechs Monate Corona-Pandemie auf die Zivilgesellschaft in Deutschland? Im Auftrag von Greenpeace zieht die Gesellschaft für Freiheitsrechte Bilanz.
Die Frage nach der verhältnismäßigen Einschränkung der Grundrechte während der Corona-Pandemie ist keine einfache. Es gilt, zum einen die Grundfreiheiten des einzelnen Menschen zu bewahren, ohne gleichzeitig die Unversehrtheit einzelner Risikogruppen aufs Spiel zu setzen und auch die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft nicht zu weit einzugrenzen. Dieses Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen hat uns alle im Alltag auf den Prüfstand gestellt, indem wir uns die Frage stellen mussten und müssen: Wie kann Zivilgesellschaft unter solchen Bedingungen weiter an demokratischer Willensbildung teilhaben, wie viel Freiheit sind wir als Individuen und Teil einer Gesellschaft bereit aufzugeben, um uns selbst und andere zu schützen?
Corona-Maßnahmen differenziert betrachten
Auf politischer Ebene wurde die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen auf regionaler, bundespolitischer sowie europäischer und internationaler Ebene in den vergangenen Monaten zum Politikum. An der teilweise sehr emotional bis hin zur populistisch geführten Diskussion über die Sinnhaftigkeit der „Corona-Maßnahmen“ zeigt sich einmal mehr: Hier gibt es Bedarf für einen differenzierten Blick auf die Einschränkungen der Grundrechte während der Corona-Pandemie. Im Auftrag von Greenpeace hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) deshalb über die letzten Monate mit einem Team aus Juristinnen und Juristen beobachtet und analysiert, ob und wie Handlungs- und Kommunikationsräume eingeschränkt wurden und damit demokratische Einflussmöglichkeiten auf politische Prozesse erschwert wurden. Die Autorinnen haben im Wesentlichen drei konkrete Bereiche herausgearbeitet, in denen die Freiheitsrechte durch die Corona-Maßnahmen gefährdet sind:
Demonstration und Protest: Beschränkungen im Versammlungsrecht erschweren stark öffentlichkeitswirksame Demonstrationen und Meinungsäußerungen.
Demokratische Teilhabe: Beschleunigte Entscheidungsprozesse schränken zivilgesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten deutlich ein.
Datenschutz und neue Technologien: Der Einsatz von Corona-Apps birgt auch Gefahren für zivilgesellschaftliche Akteure.
Neben der juristischen Einordnung der Corona-Maßnahmen im Hinblick auf die Einschränkung der Grundrechte, haben die Gesellschaft für Freiheitsrechte und Greenpeace auch herausgearbeitet, welche Lehren sich für die Zukunft aus den Erfahrungen der Krise ergeben und formulieren konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik, um in Zukunft besser in Pandemien gerüstet zu sein. Unter welchen Bedingungen darf die demokratische Politik die Rechte der Zivilgesellschaft einschränken und wo liegen dabei die Grenzen? Welche Verantwortung hat die Politik, die Arbeit der Zivilgesellschaft auch in Krisen-Zeiten zu ermöglichen und geeignete Rahmenbedingungen für sie zu schaffen?
In ihrem Fazit konzentrieren sich die Expertinnen und Experten auf konkrete Handlungsempfehlungen in folgenden Bereichen:
- Stärkung der Versammlungsfreiheit der Zivilgesellschaft
- Stärkung der demokratischen Teilhaberechte
- Stärkung des Datenschutzes und staatliche Transparenzpflicht bei neuen Technologien
- Stärkere Interessensvertretung der Zivilgesellschaft in der Politik
„Unsere Bilanz zeigt, wie wichtig es ist, dass die Bundesregierung Informationen über die politischen Entscheidungsprozesse bereitstellt und den Rahmen dafür schafft, dass demokratische Teilhabemöglichkeiten für die Zivilgesellschaft auch in Krisensituationen sichergestellt werden und Meinungs- und Freiheitsrechte garantiert werden“, sagt Anna von Gall, Juristin und Politik-Expertin von Greenpeace.
Das Fazit von Greenpeace und Gesellschaft für Freiheitsrechte verdeutlicht: Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen ist eine gesellschaftlich relevante und zeigt, dass auch in Krisenzeiten der Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Organisationen abgesichert sein muss. Die Grundrechte sind die Basis unseres demokratischen Werteverständnisses. Diese gilt es auch in Krisenzeiten zu schützen.