Produktvernichtung bei Amazon geht trotz Verbot weiter
- Ein Artikel von Manfred Redelfs, Nils Jansen
- Recherche
Fabrikneue Ware einfach zerstören, weil sie nicht schnell genug verkauft werden kann – das klingt nach ökologischem und ökonomischem Wahnsinn. Und doch passiert dies weiterhin beim Online-Händler Amazon, wie Recherchen von Greenpeace, ZDF-Frontal und Business Insider belegen.
Neue T-Shirts, Sweater und Socken stapeln sich bunt durcheinandergewürfelt auf einem Tisch in einer Fabrikhalle in Polch bei Koblenz. Arbeiter schneiden mit Scheren Löcher in die Textilien, um sie unbrauchbar zu machen. Ein Greenpeace-Mitarbeiter, der als vermeintlicher Student der Textilwirtschaft verdeckt recherchiert, wird Augenzeuge dieses Vorgangs. Der Geschäftsführer der Firma erläutert später sogar schriftlich, warum intakte Ware zerstört wird. Er schreibt in einer E-Mail, die dem Greenpeace-Investigativteam vorliegt:
„Wir schneiden die Ware ein, um auszuschließen das – auf welchem Weg auch immer – die Ware wieder irgendwo zum Verkauf auftaucht. Im schlimmsten Fall auf Flohmärkten. Solange das Material hier ist, sind wir Herr darüber. Sobald das Material unser Haus verlässt, sind wir auf Zusagen und Versprechen angewiesen. Das ist uns einfach zu gefährlich.“
Die Firma re:textil übernimmt hier eine Dienstleistung für Amazon. Der Online-Händler vernichtet immer wieder Neuware von sogenannten Drittanbietern, die Amazon als Vertriebsplattform nutzen. Die Erklärung für dieses Vorgehen: Amazon verdient am schnellen Umsatz. Werden die Produkte nicht innerhalb kurzer Frist verkauft, erhöht Amazon die Lagerkosten, bietet aber auch die Entsorgung als kostenpflichtigen Service an. Gerade Markenartikler wollen nicht, dass ihre teuren Produkte verschenkt werden oder als Schnäppchen auf Flohmärkten auftauchen, weil das schlecht für das Markenimage sei. Also folgt der Weg in den Müll, auch wenn es sich dabei um eine beispiellose Ressourcenverschwendung handelt. Und selbst wenn es nicht um Markenartikel geht, gibt es einen indirekten Anreiz zur Vernichtung: So lässt sich die nicht verkaufte Ware steuerlich abschreiben. Wird sie dagegen verschenkt, fällt nach deutschem Recht noch Umsatzsteuer an.
Greenpeace hat schon 2021 den Weg neuwertiger Textilien von einem Amazon-Logistik-Zentrum in Winsen zum Entsorger Remondis und dann weiter zur Remondis-Tochterfirma re:textil lückenlos dokumentiert, einschließlich Fotos der intakten Ware auf dem Betriebshof von Remondis in Hamburg. Dort wurde umgeladen, bevor es per LKW Richtung Koblenz ging.
Der Neuwaren-Müll von Amazons Destroy-Stationen hat sich eine Woche nach unserer Veröffentlichung schon wieder gemeldet - aus dem LKW eines Entsorgungsunternehmens auf dem Weg nach Hamburg.
— Greenpeace Investigativ - We are out of here (@gpinvestigativ) May 31, 2021
Wir sind hinterher gefahren und haben dokumentiert wohin es weiter ging. (1/3) 👇🏻 pic.twitter.com/qXBxiJ8PNR
Amazon-Mitarbeiter haben gegenüber Greenpeace und dem ZDF bestätigt, dass die Produktvernichtung weiterhin stattfindet. Das ZDF berichtet darüber in dem Politmagazin Frontal, gemeinsam mit Business Insider.
Eigentlich dürfte es diese skandalöse Ressourcenvernichtung nicht geben, denn nach ersten Recherchen von Greenpeace und ZDF sowie der Wirtschaftswoche in den Jahren 2018 und 2019 hat der Gesetzgeber reagiert. Die Empörung über die Produktzerstörung hatte dazu beigetragen, dass der Bundestag 2020 im Zuge einer Reform des Kreislaufwirtschaftsgesetzes neue Regeln für Händler eingeführt hat: Die sogenannte Obhutspflicht schreibt laut Gesetzestext vor, „beim Vertrieb der Erzeugnisse, auch im Zusammenhang mit deren Rücknahme oder Rückgabe, dafür zu sorgen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden“ (§ 23 Kreislaufwirtschaftsgesetz). Amazon missachtet diese Bestimmung seit Jahren systematisch. Der Versandhausriese profitiert davon, dass es bisher noch an einer Rechtsverordnung fehlt, die Strafen androht, wenn Händler die Obhutspflicht missachten.
Und so bleibt ein Verstoß gegen das neue Gesetz bisher ohne Folgen. 2021 hatte ein Greenpeace-Mitarbeiter bei einer verdeckten Recherche im Amazon-Logistikzentrum in Winsen dokumentieren können, wie originalverpackte Ware zur Zerstörung nach Stoffklassen sortiert wird (Panorama berichtete).
Dafür unterhielt Amazon Arbeitsplätze, die als „Destroy“-Stationen gekennzeichnet waren. Die Folge der Veröffentlichungen war offenbar lediglich, dass Amazon sich Gedanken über den negativ besetzten Begriff gemacht hat: Was in den Amazon-Lagern früher „Destroy“ hieß, wurde einfach in „Recycle“ oder „Remove“ umbenannt. An der Ressourcenverschwendung selbst hat sich allem Anschein nach nichts geändert.