Handel auf Kosten der Umwelt
Können Nachhaltigkeitsbewertungen Handelsabkommen verbessern?
Handelsabkommen setzen wirtschaftliche Interessen über die von Umweltschutz. Nachhaltigkeitsbewertungen sollen das verbessern, doch eine aktuelle Greenpeace-Studie übt Kritik am aktuellen Modell.
- Hintergrund
Auch bei der Verhandlung von Handelsabkommen stehen die Interessen der Wirtschaft regelmäßig über denen von Natur-, Klima- und Artenschutz. In der Vergangenheit konnten wir das beispielsweise bei dem Abkommen mit Kanada (CETA), dem geplanten, aber gescheiterten TTIP-Abkommen mit den USA und dem noch nicht verabschiedeten EU-Mercosur-Abkommen beobachten.
Nachhaltigkeitsbewertungen durch die EU-Kommission sollen die Schwachstellen der Abkommen aufzeigen und ausbessern, doch eine aktuelle Greenpeace-Studie zeigt, das dies nicht der Fall ist.
Was sind Nachhaltigkeitsbewertungen von Handelsabkommen?
Handelsabkommen sollen die wirtschaftliche Beziehung zwischen zwei Ländern oder Regionen stärken indem diese beispielsweise wechselseitig Zölle auf bestimmte Produkte senken oder abschaffen. Wirtschaftlich betrachtet mag dies viele Vorteile haben, leider haben diese Abkommen aber auch eine Kehrseite: Standards zu Schadstoffen oder Pestizideinsatz werden ausgehebelt, Menschenrechte missachtet und Naturzerstörung vorangetrieben.
Nachhaltigkeitsbewertungen von Handelsabkommen, im Englischen “Trade Sustainability Impact Assessments” (SIAs), sind aufwendige mehrjährige Verfahren, um die Auswirkungen eines geplanten Handelsabkommens auf Wirtschaft, Beschäftigung, Rechte der Arbeitnehmer:innen, Menschenrechte und die Umwelt abzuschätzen. Große Handelsnationen und -blöcke, wie die EU-Kommission, bewerten ihre einzelnen Abkommen.
In den letzten zwanzig Jahren hat die EU-Kommission mehr als dreißig Bewertungen bei externen Beratungsunternehmen in Auftrag gegeben. Sie bestehen aus zwei Teilen:
1) einer am Schreibtisch durchgeführten Analyse der potenziellen Auswirkungen des Abkommens und
2) einem Konsultationsprozess, um die Ansichten und Bedenken der Interessengruppen einzuholen. An diesem Prozess, der mehrere Treffen umfasst, können sich Organisationen der Wirtschaft wie auch Nichtregierungsorganisationen beteiligen und Feedback geben.
Wie sollen Nachhaltigkeitsbewertungen die Handelsabkommen verbessern?
Laut der EU-Kommission sollen Nachhaltigkeitsbewertungen parallel zu den laufenden Verhandlungen die potenziellen Auswirkungen eines geplanten Handelsabkommens untersuchen.Das Ergebnis soll in die Verhandlungen einfließen. Die Bewertungen sollen die Verhandlungen lenken, dabei helfen potenzielle Kompromisse zu ermitteln und die politischen Entscheidungen optimieren.
Warum hat Greenpeace Nachhaltigkeitsbewertungen untersucht?
Seit mehr als zwei Jahrzehnten verlässt sich die Europäische Kommission auf die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbewertungen für Handelsverhandlungen. Dabei haben die Europäische Bürgerbeauftragte und der Europäische Rechnungshof in den vergangenen Jahren mehrfach festgestellt, dass die Kommission ihre Verfahrensregeln für Nachhaltigkeitsbewertungen nicht eingehalten hat. Dennoch gab es bisher keine umfassenden unabhängigen Analysen der inhaltlichen Qualität der Prüfungen. Greenpeace hat daher die Studie “Die handelsbezogenen Nachhaltigkeitsbewertungen der Europäischen Kommission: Eine kritische Überprüfung” in Auftrag gegeben. Die Studie zeigt auf, was an den Nachhaltigkeitsbewertungen gut funktioniert hat, was nicht und gibt Empfehlungen für Verbesserungen.
Was ist an der Bewertung der Nachhaltigkeit kritisch?
Die drei Hauptkritikpunkte von Greenpeace sind:
- Das Standardmodell der Bewertungen ist bereits so ausgelegt, dass sie positiv ausfallen.
- Das Modell bildet die Auswirkungen auf Umwelt und Klima nicht richtig ab.
- Häufig wird bei der Durchführung nicht akurat gearbeitet: in einzelnen Fällen werden kritische und neuere Aspekte ignoriert.
Die Idee, während der Verhandlungen eines Handelsabkommen dessen potenzielle Auswirkungen zu erfassen und gegebenenfalls direkt nachzusteuern, ist an sich positiv. Sie deckt sich mit den Forderungen, die Greenpeace als Leitlinien für den Welthandel erstellt hat.
Das Problem liegt in der Umsetzung, vor allem bei drei Punkten:
1) Das eingesetzte allgemeine Gleichgewichtsmodell zur Schätzung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelsabkommen ist fehlerhaft. Es basiert auf der neoklassischen Wirtschaftstheorie und geht daher beispielsweise von Vollbeschäftigung bzw. Nullarbeitslosigkeit aus. Diese Art der wirtschaftlichen Modellierung hat große Beschränkungen. Sie berücksichtigt beispielsweise nicht-tarifäre Maßnahmen wie die Regulierung des Gesundheitsschutzes der Verbraucher:innen oder des Umweltschutzes nicht angemessen. Darüber hinaus liefert sie nur eine Gesamtschätzung für die EU, misst also weder wirtschaftliche Auswirkungen auf einzelne EU-Mitgliedstaaten noch auf deren Wirtschaftssektoren oder Bevölkerungsteile.
2) Die Studie zeigt, dass es methodische Schwachstellen bei der Analyse von komplexen Auswirkungen wie Waldzerstörung, Verlust der biologischen Vielfalt und Beeinträchtigung der Menschenrechte gibt. Dadurch bleibt die Analyse hier oberflächlich. Darüber hinaus werden die Umweltauswirkungen im Vergleich zu den erwarteten wirtschaftlichen Gewinnen oft unterbewertet.
Eine weitere entscheidende Lücke: die Auswirkungen auf die Klimakrise werden unterschätzt. Treibhausgasemissionen von internationalem Verkehr, Flächennutzung oder Flächennutzungsänderungen fließen nicht mit ein. Auch die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt werden oft nicht richtig erfasst, besonders offensichtlich ist das in der EU-Mercosur-Nachhaltigkeitsbewertung für das Abkommen der EU mit den vier Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay): Obwohl die Umweltanalyse laut Bericht Ökosysteme und biologische Vielfalt einbeziehe, ist kein solcher Abschnitt im Bericht zu finden. Die Nachhaltigkeitsbewertung geht nicht über eine Auflistung der multilateralen Umweltabkommen hinaus, an denen die EU und der Mercosur beteiligt sind und die Bestimmungen zur biologischen Vielfalt enthalten. Dieses Fehlen passt nicht zu den besonders starken negativen Auswirkungen dieses Abkommens auf die biologische Vielfalt: Zum einen wegen der besonders sensiblen Ökosysteme in den Mercosur-Ländern. Zum anderen weil sich durch das Abkommen der Handel unter anderem mit Rindfleisch, Bioethanol und Pestiziden ausweiten wird - Produkte, die mit Urwaldzerstörung, Verlust der Artenvielfalt und im Falle der Pestizide mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit einhergehen.
3) Ein eklatantes Beispiel für das Ignorieren neuere Erkenntnisse liefert die Bewertung für das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur. Obwohl am Konsultationsprozesse teilnehmenden NGOs das durchführende Beratungsunternehmen darauf hinwiesen, dass im Entwurf der Studie enthaltene Zahlen zur Waldzerstörungin der Amazonasregion veraltet sind und neuere Zahlen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen vorliegen, stehen in der Endversion die alten niedrigeren und dadurch verharmlosenden Zahlen.
Was fordert Greenpeace bezüglich der Nachhaltigkeitsbewertungen?
- Die Nachhaltigkeitsbewertungen müssen tatsächlich einen Einfluss auf die Verhandlung haben.
- Die Umweltauswirkungen eines Handelsabkommens müssen durch bessere Modelle realistisch abgebildet werden.
- Die Konsultation der Zivilgesellschaft muss ernst genommen werden und darf kein Feigenblatt sein.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist, dass die Europäische Kommission im direkten Widerspruch zu den EU-Leitlinien oft schon Handelsverhandlungen abschließt, bevor die entsprechende Nachhaltigkeitsprüfung beendet ist. Im Fall des EU-Mercosur-Abkommens hat die Kommission die Verhandlungen politisch bereits im Juni 2019 abgeschlossen, ihren Bericht über die Nachhaltigkeitsbewertung aber erst Ende März 2021 vorgelegt. Dies macht das Verfahren irrelevant und lässt Zweifel daran aufkommen, inwieweit die Nachhaltigkeitsprüfungen tatsächlich eine Rolle bei den Verhandlungen spielen können.
Die Nachhaltigkeitsbewertungen fußen bisher auf einem ökonomischen Modell, das nicht nur per se zu positiven Bewertungen führt, sondern auch nicht in der Lage ist, die Auswirkungen auf Umwelt- und Verbraucher:innenschutz, auf Menschenrechte oder Arbeitsnormen adäquat zu erfassen. Als einen ersten Schritt müssen für die bereits durchgeführten Bewertungen die Unzulänglichkeiten und Schwächen der bisher verwendeten Methodik offengelegt werden. In einem zweiten Schritt muss die Verwendung verschiedener Arten von ökonometrischen Modellen gefördert werden. Dabei muss auf Modelle zurückgegriffen werden, die auch die Auswirkungen auf Umwelt und Soziales richtig erfassen können.
Die von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie basiert auch auf Interviews mit Vertreter:innen von Gruppen der Zivilgesellschaft (befragt wurden Vertreter:innen von Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Verbraucher:innschutz, Gewerkschaften, Menschenrechte, Umweltrecht, Tierschutz und Fairer Handel) die an den Nachhaltigkeitsbewertungen teilgenommen haben. Diese Interviews belegen eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Konsultationsprozess: Er ist aufwändig, führt nicht unbedingt zu sinnvollen Ergebnissen und ignoriert häufig die kritischen Einwände.
“Nachhaltigkeitsbewertungen von Handelsabkommen haben dann Sinn, wenn die Erkenntnisse tatsächlich auch in dieVerhandlungen einfließen und damit Fehlstellungen in den Handelsabkommen korrigieren können”, kritisiert Lis Cunha, Handelsexpertin von Greenpeace. “Wenn dies nicht gegeben ist, sind die Bewertungen eine Verschwendung von Steuergeldern und der Energie und Zeit der an den Konsultationsprozessen Beteiligten.”