CETA - Eine Gefahr für die Energiewende in Deutschland
- Recherche
Greenpeace-Recherche zeigt: Mehr als 360 kanadische Unternehmen könnten Deutschland wegen neuer Umweltschutzmaßnahmen verklagen.
Wir befinden uns im Jahr 2022. Die ganze EU hat CETA ratifiziert... Die ganze EU? Nein! Elf Mitgliedstaaten hören nicht auf, dem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada Widerstand zu leisten. Bis vor kurzem gehörte Deutschland zu ihnen, doch die Ampelkoalition hat sich nun gebeugt: Der Bundestag stimmte am 1. Dezember für die Ratifizierung von CETA. Grund genug das Abkommen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Was ist CETA?
Das Comprehensive Economic and Trade Agreement, kurz CETA, ist ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Es hat das Ziel, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen sowie transatlantische Investitionen zu vereinfachen. CETA wurde wegen seiner weitreichenden negativen Folgen für demokratische Grundrechte sowie Umwelt- und Verbraucherstandards stark kritisiert. Deshalb gab es zahlreiche Proteste, die teilweise fruchteten: Seit 2017 ist CETA nur vorläufig in Kraft und der überwiegende Teil des Handelsabkommens, also der vereinbarte Zollabbau, wird vorläufig angewendet. Der umstrittenste Teil liegt jedoch immer noch auf Eis:
Die CETA-Tücke: Sonderklagerechte für Konzerne
Die größte Gefahr, die in CETA lauert, kann noch nicht greifen: die sogenannte Investitionsschutzklauseln. Sie greifen erst, wenn die Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten dem Abkommen zugestimmt haben. Mit Hilfe der Klauseln würden ausländische Unternehmen Staaten auf Schadensersatz verklagen können, wenn neu getroffene politische Entscheidungen ihre erwarteten Gewinne schmälern könnten.
Im Klartext bedeutet das für Deutschland: Verabschiedet die Bundesregierung in Zukunft Gesetze für mehr Umweltschutz, etwa eine Umstellung auf erneuerbare Energien, könnten kanadische Unternehmen, die beispielsweise mit Öl oder Gas handeln, sie deshalb vor Gericht zerren. Andersrum hätten deutsche und andere europäische Konzerne auch das Recht, die kanadische Regierung zu verklagen. Bezahlt würde der von den Konzernen geforderte Schadensersatz für die Gewinneinbußen mit Steuergeldern.
Erschwerend kommt hinzu: Die Verhandlungen würden im Falle einer Ratifizierung nicht etwa vor einem deutschen oder einem kanadischen Gericht stattfinden, sondern vor privaten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In diesen Schiedsgerichten sitzen keine richtigen Richter:innen, sondern Wirtschaftsanwälte und Anwältinnen, für die der Investitionsschutz Vorrang hat. Das begünstigt die Bedingungen, dass Urteile unverhältnismäßig oft zugunsten der Konzerne ausfallen. "Solche Investitionsschutzklauseln treten die Demokratie mit Füßen”, sagt Lis Cunha, Handels-Campaignerin bei Greenpeace. “Hierdurch entsteht eine win-lose-lose Situation, in der einige Konzerne profitieren, die Regierungen und Bürger:innen beider Nationen aber als klare Verlierer:innen dastehen.”
Greenpeace-Recherche: CETA gefährdet die Energiewende in Deutschland
Und als wäre das ganze nicht schon dramatisch genug: Diese neue Greenpeace-Recherche zeigt, dass über 360 kanadische Unternehmen durch eine Ratifizierung Klagerechte gegen Deutschland erhalten würden. Zudem könnten auch US-amerikanische Energiekonzerne die Investitionsschutzbestimmungen von CETA in Anspruch nehmen, wenn sie über kanadische Tochtergesellschaften verfügen. Drei Beispiele verdeutlichen das:
CETA und die Öl- und Gasproduzenten
Die Vermilion Energy Inc. ist ein internationaler Öl- und Gasproduzent mit Sitz in Calgary, Kanada. Sie ist Mutterunternehmen von Vermilion Energy Germany GmbH & Co. Ihr Schwerpunkt: Die Suche, Erschließung und Förderung von Erdgas. Für das Jahr 2021 meldete Vermilion Energy Inc. einen Umsatz von 111,8 Mio. Euro in Deutschland. Ein weiteres Beispiel ist US-amerikanische Öl- und Gasriese ExxonMobil. Er hat mehrere Tochtergesellschaften und Beteiligungen in Kanada und in Deutschland. Allein in Deutschland erzielte ExxonMobil im Jahr 2021 einen Umsatz von 9,5 Mrd. Euro. Beide Konzerne könnten CETA nutzen, um Deutschland zu verklagen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Regierung Maßnahmen ergriffen hat, die sich auf ihre erwarteten Gewinne oder den Wert ihrer Investitionen auswirken. Dies könnten etwa Klimamaßnahmen sein, die auf den Ausstieg aus Erdöl oder Erdgas abzielen oder strengere Umweltauflagen dafür festlegen.
CETA und die Atomkraftwerke
Ein anderes Beispiel ist die kanadische Cameco Corporation, die zu den weltweit größten Anbieter:innen von Uranbrennstoff gehört. Sie besitzt in Deutschland das Unternehmen Nukem Investments GmbH. Während dieses Geschäft längere Zeit aufgrund des deutschen Atomausstiegs nicht erfolgreich war, hat die aktuelle Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs neues Potenzial geschaffen: Es werden intensive politische Diskussionen darüber geführt, ob Deutschland den Atombetrieb im Land verlängern sollte. Zwar hat die Regierung bisher (Stand: Oktober 2022) nur entschieden, dass bestimmte Atomkraftwerke bis April 2023 weiterlaufen sollen. Aber die Diskussion über eine mögliche längere Laufzeit der Atomkraftwerke ist damit noch nicht abgeschlossen. Sollte es zu einer weiteren Verlängerung kommen und die EU CETA ratifizieren, könnten die Aktivitäten der Cameco Corporation in Deutschland wieder zunehmen. Damit hätte das Unternehmen das Recht, Deutschland nach einem erneuten späteren Ausstieg aus der Kernenergie zu verklagen.
Scholz und Habeck wollen LNG-Kooperation mit Kanada
Im August 2022, waren Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck in Kanada. Sie kündigten an: Deutschland habe großes Interesse Flüssigerdgas (engl.: Liquefied Natural Gas, kurz LNG) von Kanada zu beziehen. “Auch wenn diese Kooperation noch alles andere als sicher ist, steht fest: Eigentlich will und muss Deutschland ja weg vom Gas”, sagt Cunha. “Wenn wir jetzt neue, langfristige Verträge mit kanadischen LNG-Unternehmen unterschreiben und in ein paar Jahren den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzlich stärken – dann können diese Konzerne uns dank eines ratifizieren CETAs verklagen.”
Kanadische Unternehmen nutzen Sonderklagerechte häufig
Diese Paralleljustiz für ausländische Konzerne entsteht nur, wenn in allen EU-Mitgliedstaaten die Parlamente dem CETA-Abkommen zugestimmt haben. Deutschland hat das Abkommen nun ratifiziert, viele andere EU-Staaten jedoch noch nicht.
Noch bleibt also noch eine Resthoffnung CETAs gefährliche Sonderklagerechte für Konzerne zu stoppen. “Wir sind nicht generell gegen Handel mit Kanada. Aber er muss fair und nach demokratischen Leitsätzen ablaufen”, so Cunha. “Private Schiedsgerichte für ausländische Konzerne sind damit nicht vereinbar. Sie umgehen nationale Justizsysteme und befeuern die Klimakrise. Der Bundestag sollte diese Paralleljustiz für Investor:innen unterbinden. CETA zu ratifizieren war eine kurzsichtige Entscheidung der Ampelkoalition. Das Abkommen schützt fossile Konzerne statt das Klima.”
Die Bundesregierung kann sich solche Entscheidungen nicht mehr leisten, wenn sie es mit dem Ziel, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben, ernst meint. Für einen wirklich fairen Handel braucht es den Mut, alte Abkommen im Sinne des Klimas und der Natur neu zu verhandeln, statt sie einfach durchzuwinken“, erklärt Cunha.
CETA_Recherche_Greenpeace.pdf
Anzahl Seiten: 12
Dateigröße: 513.4 KB
HerunterladenTTIP erfolgreich gestoppt
Dass ein Handelsabkommen durchaus gestoppt werden kann, zeigt das Beispiel TTIP. Das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) sollte die Bedingungen des Handels zwischen der EU und den USA regeln und vereinfachen. TTIP-Befürworter:innen erhofften sich mehr Wirtschaftswachstum; Gegner:innen befürchteten unter anderem die Sonderklagerechte für amerikanische Konzerne sowie die Senkung sozialer und ökologischer Standards, insbesondere in Europa. Die Aussicht auf Chlorhühner, Fracking und genveränderte Lebensmittel führte dazu, dass im Jahr 2015 Hunderttausende von Menschen in Europa gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommen demonstrierten. Dank dieser Massenproteste scheiterte TTIP im Jahr 2016. “Jetzt muss auch sein kanadischer Bruder gestoppt werden – denn inhaltlich unterscheiden sich die beiden Abkommen kaum”, sagt Cunha.