Menschenrechte und Umweltschutz ins Lieferkettengesetz
- Hintergrund
Das europäische Lieferkettengesetz wurde beschlossen, auch trotz der Enthaltung Deutschlands und der Blockade der FDP. Die EU hat damit gezeigt: Menschenrechte und Klimaschutz sind wichtiger als Profite von Unternehmen.
Eine stark abgeschwächte Version des EU-Lieferkettengesetzes hat die zentrale Hürde genommen: Der Rat der Europäischen Union hat die entsprechende Richtlinie, das sogenannte EU-Lieferkettengesetz, final beschlossen. Nachdem bereits am 15. März 2024 der Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen des Rats der Europäischen Union endlich für das wichtige Menschenrechtsvorhaben stimmte, hat auch das EU-Parlament dem Lieferkettengesetz zugestimmt. Damit konnte die Richtlinie doch noch vor der Europawahl im Juni 2024 verabschiedet werden. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, das Vorhaben in nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung muss das bereits bestehende deutsche Lieferkettengesetz entsprechend anpassen. Deutschland hatte in der EU nicht für das europäische Lieferkettengesetz gestimmt, weil die FDP das von ihr mit verhandelte Lieferkettengesetz schlussendlich blockierte. Mit einem stark ausgehöhlten Kompromissvorschlag gelang es der belgischen Ratspräsidentschaft dennoch, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für das EU-Lieferkettengesetz zu sichern.
Das europäische Lieferkettengesetz soll auf EU-Ebene dafür sorgen, dass Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards in ihrer kompletten Produktionskette durchsetzen müssen. Dass sie etwa Kinder- und Zwangsarbeit ausschließen müssen – weltweit, von der Rohstoffgewinnung bis zum fertigen Produkt. Betroffen sind alle Unternehmen, die mindestens 1000 Mitarbeitende oder einen Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro haben. In Deutschland gibt es seit 2023 ein ähnliches Gesetz, das ebenso für alle Unternehmen gilt, die mindestens 1000 Mitarbeitende haben. Das EU-Gesetz soll dafür sorgen, dass sich nicht mehr nur deutsche Unternehmen an diesen Schutz von Menschenrechten und Umwelt halten müssen.
Dennoch wurde das EU-Gesetz abgeschwächt. So soll das Gesetz erst 2032 vollumfänglich gelten – und auch das nur für Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden statt ursprünglich 500 Mitarbeitenden. Auch lag der Vorschlag für den Jahresumsatz bei einer Grenze von 150 Millionen, nun liegt sie bei 450 Millionen Euro. Damit gilt das EU-Lieferkettengesetz nur noch für rund 5.500 Unternehmen in der EU und somit lediglich für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten. Was ist geschehen?
Das Gesetz war komplett fertig verhandelt, die FDP jedoch hat kurz vor Abschluss entschieden, das Gesetz sei zu bürokratisch und solle geändert werden. Obwohl die FDP das Gesetz mitverhandelt und -gestaltet hatte. So gab es keine Einigkeit in der Ampel-Regierung und Deutschland musste sich auf EU-Ebene enthalten. Durch den Rückzieher Deutschlands konnte das Gesetz zunächst nicht verabschiedet werden.
Trotz Schwächen: EU-Lieferkettengesetz ist wichtiges Signal für Menschenrechte und Umweltschutz
Greenpeace kritisierte, dass die FDP nach dem Verbrenner-Aus und der Verpackungsrichtlinie nun mit dem Lieferkettengesetz ein weiteres wichtiges Projekt der Ampel gegen die Wand zu fahren drohte. Das schädigt das Ansehen Deutschlands als verlässlicher politischer und wirtschaftlicher Partner in der EU und zeigt, welche geringe Priorität Menschenrechte sowie Klima- und Umweltschutz für die Bundesregierung haben.
Das EU-Lieferkettengesetz wurde drei Jahre verhandelt. Die Verhandlungen basierten auf Kompromissen zwischen EU-Rat, -Parlament und -Kommission. Für Änderungswünsche wäre also ausreichend Zeit gewesen. Erst am 14. Dezember 2023 gelang der Durchbruch: Kommission, Rat und Parlament einigten sich auf die Inhalte des EU-Lieferkettengesetzes. Aus Menschenrechts- und Klimaperspektive war dies aber ein Kompromiss mit zahlreichen Schwächen. Die FDP hatte auch vorher schon für eine Verwässerung des Gesetzes gesorgt. So waren klimabezogene Sorgfaltspflichten für die Lieferketten schon gar nicht mehr enthalten. Bei der Abstimmung des Umweltausschusses des EU-Parlaments über das Lieferkettengesetz setzten sich neben der Wirtschaftslobby auch deutsche Abgeordnete im EU-Parlament für eine sehr schwache Version des Gesetzes ein. Die Folge: Essentielle Maßnahmen für Umwelt- und Klimaschutz wurden nicht berücksichtigt. Dabei sollte dieses übergeordnete europäische Lieferkettengesetz die Mängel der deutschen Fassung ausgleichen.
Dennoch: Endlich werden große Unternehmen gesetzlich verpflichtet, in ihren Geschäften und Geschäftsbeziehungen weltweit auf Menschenrechte und Umwelt zu achten. Bei Verstößen sollen sie mit Bußgeldern von bis zu fünf Prozent des Umsatzes belegt werden können. Bei verursachten Schäden sollen Betroffene vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten von den Unternehmen Entschädigung einklagen können.
Unternehmen appellierten an Bundesregierung, für das Gesetz zu stimmen
Die FDP argumentierte, dass dieses Vorgehen der Wirtschaft schaden würde. Zahlreiche große deutsche und internationale Unternehmen hatten in den vergangenen Wochen vehement dieser Darstellung widersprochen. Auch die Behauptung von FDP und Wirtschaftsverbänden, die Richtlinie würde mehr Unternehmen erfassen als das deutsche Lieferkettengesetz, ist falsch. Die EU-Richtlinie richtete sich nicht nur nach der Zahl der Mitarbeitenden, sondern auch nach dem Umsatz – und war somit zielgenauer. Deutsche große Unternehmen, darunter ALDI Süd, Mars, Kik und Tchibo appellierten sogar an die deutsche Bundesregierung, sich nicht zu enthalten, da eine Enthaltung der Wirtschaft schade und Rechtsunsicherheit schaffen könne. Ohne ein europäisches Lieferkettengesetz müssen sich deutsche Firmen an die Regeln des deutschen Lieferkettengesetzes halten, die für ihre EU-Konkurrenten nicht gelten. Ein Wettbewerbsnachteil.
Verhängnisvolle Lücken im deutschen Lieferkettengesetz
Dass am 1. Januar 2022 endlich ein deutsches Lieferkettengesetz in Kraft trat, sollte eigentlich eine gute Nachricht sein – wäre es denn gut gearbeitet. Doch im Gesetzestext klaffen Lücken: Der Schutz von Umwelt und Menschenrechten, der Sinn und Zweck des Ganzen ist, fällt dürftig aus. Eine echte Kontrolle von Standards findet erst auf den letzten Metern der Wertschöpfungskette statt und nicht ganz am Anfang, wo Ausbeutung und Umweltverschmutzung an der Tagesordnung sind. Kleine Unternehmen und Risikobranchen (wozu auch die Textilindustrie gehört) sind von den Regelungen ausgenommen – dabei verursachen gerade sie immense Klima- und Umweltschäden in den Produktionsländern und müssten für ein wirksames Gesetz aufgenommen werden.
Kritik am deutschen Lieferkettengesetz: Die von Greenpeace unterstützte Initiative Lieferkettengesetz zeigt in einer Analyse, was das neue Lieferkettengesetz liefert – und was nicht. Vier Kritikpunkte am Gesetz:
1. Umweltschutz und Menschenrechte gehören zusammen
Was ist die Kritik?
Lediglich in zwei Zusammenhängen spielt Umwelt eine Rolle, und auch dort unzureichend. Zum einen beschränkt sich das Gesetz auf im Zusammenhang mit einer Menschenrechtsverletzung stehende Umweltaspekte. Etwa, wenn Menschen durch Umweltzerstörung gesundheitliche Schäden erlitten haben. Zum anderen soll es lediglich bei zwei konkreten internationalen Umwelt- und Gesundheitsabkommen bei bestimmten Verstößen greifen: dem Minamata-Übereinkommen über Quecksilber und der POP-Konvention über persistente organische Schadstoffe. Hohe umweltbezogene Risiken wie das massive Artensterben, großflächige Waldzerstörung und die Erderhitzung bleiben unberücksichtigt.
Dabei müsste die Umwelt eigentlich ein eigenständiges Schutzgut im Lieferkettengesetz sein. Zudem müssten die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten deutlich weiter greifen. Sie müssten auch für die Umweltgüter Boden, Luft, Wasser, Biodiversität und das globale Klima gelten und diese ganzheitlich und langfristig schützen. Die eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht muss für alle für Deutschland verbindlichen internationalen Abkommen gelten, wie das Exportverbot von gefährlichen Abfällen aus dem Basler Übereinkommen und das Einleitverbot von Öl aus dem MARPOL-Übereinkommen.
2. Es geht ums Ganze - und zwar die ganze Lieferkette
Was ist die Kritik?
Das Gesetz bezieht sich nicht auf die gesamte Wertschöpfungskette, sondern nur auf direkt Zuliefernde eines Unternehmens. Bei indirekten Zulieferer:innen sollen Firmen umweltbezogene Risiken nur dann ermitteln, wenn der begründete Verdacht ermittelt wurde, dass Schäden entstanden sind. Dabei finden Umweltschäden überwiegend am Anfang globaler Lieferketten statt. Zum Beispiel in Südamerika, wo Brandrodungen der Wälder Platz für Rinderzucht schaffen sollen, oder in Bangladesh und China wo Chemikalien aus Textilfabriken Gewässer kontaminieren und schon jetzt über 230 Millionen Menschen keinen Zugang zu frischem Trinkwasser mehr haben. Die Sorgfaltspflichten müssten sich auf jedes einzelne Glied der Lieferkette beziehen, damit das Gesetz seine Wirkung entlang der gesamten Lieferkette entfalten könnte.
3. Ohne Haftung keine Abschreckung
Was ist die Kritik?
Dem Gesetz fehlt eine zivilrechtliche Haftungsregelung für den Fall, dass Unternehmen gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen. Von Menschenrechtsverletzungen Betroffene sind damit weiterhin so gut wie chancenlos, wenn sie deutsche Unternehmen vor deutschen Zivilgerichten wegen Menschenrechtsverstößen zur Verantwortung ziehen wollen. Auch die abschreckende und damit vorbeugende Wirkung einer zivilrechtlichen Haftungsregel auf deutsche Unternehmen entfällt somit.
Effektiv wäre eine explizit zivilrechtliche Haftungsregel, damit Unternehmen die Umweltrisiken in ihren Lieferketten durch angemessene Sorgfaltsmaßnahmen minimieren. Nur so könnte gewährleistet werden, dass Firmen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Umweltschutz und Menschenrechte missachten. Zudem müsste das Gesetz regeln, dass auch vor deutschen Gerichten auf Wiedergutmachung geklagt werden kann, wer im Ausland von Sorgfaltspflichtverletzungen deutscher Unternehmen betroffen ist.
4. Niemand bleibt außen vor / Alle müssen mit
Was ist die Kritik?
Das Gesetz betrifft ab dem 1. Januar 2023 zunächst nur etwa 600 Unternehmen mit jeweils über 3.000 Mitarbeitenden. Ein Jahr später soll das Gesetz dann für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden gelten. Dies entspräche laut Bundesarbeitsministerium (BMAS) dann 2.891 Unternehmen. Doch Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen können auch von kleineren Unternehmen verursacht werden, insbesondere in Risikobranchen wie dem Textilsektor oder der Landwirtschaft.
Greenpeace hatte gefordert, dass alle Unternehmen erfasst werden, die mindestens zwei der folgenden Merkmale aufweisen:
- mehr als 250 Beschäftigte
- eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro
- mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz
- aus Risikobranchen wie dem Textilsektor sind.
Auch 50 Unternehmen forderten Nachschärfungen an dem deutschen Lieferkettengesetz, darunter Symrise, Tchibo und Beckers Bester.
Chronologie: Aktionen und Positionen zum Lieferkettengesetz
7. Juli 2020: In der Coronakrise zeigt sich, wie notwendig ein Gesetz ist, dass die Menschen am Anfang der Lieferkette schützt – in Ländern wie Bangladesch, Pakistan, Pakistan oder Myanmar, die für europäische und nordamerikanische Märkte insbesondere Kleidung produzieren. Ein aktuelles Briefing der Initiative Lieferkettengesetz beschreibt die katastrophale Lage: Seit Beginn der Pandemie haben Unternehmen Bestellungen in Milliardenhöhe storniert und verweigern zum Teil die Zahlung selbst für bereits produzierte Textilien.
Die Menschen, die in den betroffenen Betrieben arbeiten, haben keine soziale Absicherung. Zigtausende Wanderarbeiter:innen in Indien sind ohne Lohn und Unterkunft, angewiesen auf Lebensmittelspenden von Menschenrechtsorganisationen. „Internationale Textilkonzerne zeigen in Zeiten von Corona einmal mehr ihr wahres, hässliches Gesicht“, sagt Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Textilwirtschaft. „Verluste werden auf die schwächsten Glieder der globalen Lieferketten abgewälzt. Gegen solches Moral Distancing hilft nur ein Lieferkettengesetz!“
13. Juli 2020: Nicht einmal jedes zweite deutsche Unternehmen hält Mindeststandards in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz ein, berichtet das Handelsblatt in seinem Morning Briefing. Dieses Armutszeugnis hat sich die deutsche Wirtschaft selbst ausgestellt, und zwar auf Nachfrage der Bundesregierung. Das Handelsblatt bezieht sich in der Meldung auf das sogenannte „Monitoring zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“: Zwischen 2018 und 2020 hat die Bundesregierung darin größere Unternehmen um Auskunft gebeten. Noch sind die Ergebnisse nicht offiziell verkündet, erst morgen wird das Kabinett über diese Zahlen beraten.
15. Juli 2020: Greenpeace, BUND und die Deutsche Umwelthilfe veröffentlichen ein Rechtsgutachten zur Ausgestaltung von Umweltaspekten in einem Lieferkettengesetz, ein Aspekt, der in den bislang bekannt gewordenen Eckpunkten des geplanten Gesetzes unterrepräsentiert ist.
9. September 2020: Mehr als 222.222 Menschen aus ganz Deutschland fordern ein wirksames Lieferkettengesetz für Deutschland – ihre Unterschriften präsentiert die Initiative Lieferkettengesetz vor dem Bundeskanzleramt. Auch Greenpeace ist Teil dieses Bündnisses aus mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Ein Briefing der Initiative Lieferkettengesetz nimmt vielen Argumenten der Wirtschaftslobby den Wind aus den Segeln, etwa dass Unternehmen im Fall strengerer Gesetze eine Klagewelle drohe oder Deutschland sich in eine wirtschaftlich nachteilige Vorreiterrolle begibt, die andere ausnutzen. Länder wie Frankreich haben bereits ähnliche Gesetze verabschiedet, ohne dass irgendetwas davon eingetreten wäre. Und europaweite Regelungen werden ohnedies gerade auf den Weg gebracht. Es geht nicht darum, Firmen zur Kasse zu bitten – es geht darum, die internationalen Unternehmen für Menschenrechte und Umweltschutz zu sensibilisieren. Und miese Geschäfte in Zukunft gar nicht erst abzuschließen.
Wirtschaftsverbände zeichnen ein verzerrtes Bild, was Umweltschützende und Menschenrechtler:innen von einem guten Lieferkettengesetz verlangen – nichts davon ist unzumutbar oder weniger als selbstverständlich. Im Inland sind Unternehmen verpflichtet für Schäden aufzukommen, niemand würde das infrage stellen. Nun müssen diese Rechtslücken im Ausland geschlossen werden.
“Wenn der deutsche Wirtschaftserfolg von Kinderarbeit und Umweltzerstörung abhängt, dann haben wir ein Problem”, sagt Viola Wohlgemuth. Eines, das über Gesetze gelöst werden muss: “Wer Umweltverbrechen und die Missachtung von Menschenrechten entlang seiner Lieferkette aus Profitgier billigt, muss dafür belangt werden können – egal, wo auf der Welt das passiert!”
15. September 2020: Die Politik muss dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften Menschenrechte achten, so die überwältigende Mehrheit der Befragten – 91 Prozent – in einer Umfrage von Infratest dimap. Um das zu garantieren, sprechen sich drei von vier Befragten für ein Lieferkettengesetz aus. Besonders bemerkenswert: Die Zustimmung zieht sich quer durchs Parteienspektrum, auch 75 Prozent der Unionsanhänger:innen wollen ein Lieferkettengesetz. Laut der repräsentativen Umfrage sind 83 Prozent der Bevölkerung dafür, Umweltaspekte in ein Lieferkettengesetz aufzunehmen.
29. Oktober 2020: Längst sollte die Bundesregierung sich auf ein Eckpunktepapier geeinigt haben, doch von Mal zu Mal wird das Thema in der Kabinettssitzung von der Tagesordnung gestrichen, heute erneut. Bereits im August hätte es dem Willen der Bundeskanzlerin nach ein solches Papier geben sollen, um mit der Gesetzgebung fortfahren zu können.
Gegen die folgenschwere Hinhaltetaktik, für die insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium verantwortlich zeichnet, protestierten elf Greenpeace-Aktive vor dem Bundeskanzlerinnenamt. Ein in Spinnweben gehülltes Paragraphenzeichen, das nach Bauruine anmutet, macht deutlich: Hier wird ein halbfertiges Gesetz von der Bundesregierung mutwillig liegengelassen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser des Gesetzentwurfs, dem seine Kabinettskollegen Hubertus Heil (SPD) und Gerd Müller (CSU) gegenüberstehen. Arbeits- und Entwicklungsministerium befürworten eine umfassendere gesetzliche Regelung, während Altmaier sich nicht auf Haftungspflichten für Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette festlegen lassen will.
Das hat den Hintergrund, dass die deutschen Wirtschaftsverbände sich gegen jedwede Veränderung der Produktionsbedingungen sträuben. Bei den Arbeitgeberverbänden wird gegen ein Lieferkettengesetz Stimmung gemacht, weil Unternehmen nicht für Umweltschutz- und Menschenrechtsverstöße im Ausland haften wollen. Dabei halten diverse Gutachter derartige Sorgfaltspflichten für absolut umsetzbar und zumutbar – Pflichten, die bei der Produktion in Deutschland im Übrigen absolut selbstverständlich sind.
23. November 2020: Greenpeace-Aktive protestieren zum Auftakt der Rabattwoche Black Week, die mit dem Black Friday endet, gegen zügelloses Wirtschaften, in dessen Auftrag die Umwelt zerstört und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Die Forderung der Aktivistinnen: Die Bundesregierung muss endlich ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz beschließen, das diese Auswüchse bekämpft.
In Winsen an der Luhe projizierten sie ein Bild auf das Logistikzentrum des Onlinehändlers Amazon. Neben dem Konzern-Schriftzug waren die Arbeitsbedingungen in Südostasien zu sehen, darunter die Botschaft an die Politik: “Damit Black Friday kein düsterer Alltag bleibt, Lieferkettengesetz jetzt”. Was hier als Schnäppchenjagd gefeiert wird, ist oftmals ermöglicht durch die menschenfeindlichen, umweltschädlichen und dadurch billigen Produktionsbedingungen in anderen Teilen der Welt.
16. Februar 2021: Gegen den unzureichenden Entwurf eines Lieferkettengesetzes der damaligen großen Koalition demonstrieren Aktive in den frühen Morgenstunden mit einer Projektion in Berlin.
6. Dezember 2022: Protest für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz: Denn ein übergeordnetes europäisches Lieferkettengesetz würde die Mängel der deutschen Fassung sozusagen überschreiben. Der zuständige EU-Ministerrat hat sich in Brüssel auf eine Position geeinigt, die zwar über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht, aber dennoch zahlreiche Schlupflöcher enthält. Mehrere EU-Regierungen, darunter Deutschland, versuchen weiterhin, das Vorhaben abzuschwächen. Dagegen protestieren in Berlin Aktivist:innen der Initiative Lieferkettengesetz und überreichen eine an Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtete Petition mit 90.248 Unterschriften.
„In der Textilindustrie entstehen 85 Prozent der Treibhausgase und Umweltschäden bereits zu Beginn der Produktion. Ein wirksames Lieferkettengesetz muss daher bereits ab der ersten Faser greifen und alle Produktionsschritte umfassen”, fordert Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland in einer gemeinsamen Pressemitteilung der mehr als 130 Organisationen, die sich zur Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen haben. Der europäische Entwurf sieht unter anderem vor, dass europäische Unternehmen auch zivilrechtlich für Schäden haften sollen, die sie durch Missachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette verursacht haben. Neben Menschenrechten sollen Unternehmen auch Umweltstandards achten und Klimapläne erstellen. Dennoch ist offen, wie wirksam das sogenannte EU-Lieferkettengesetz letztlich ausfällt.
Die Aktivist:innen in Berlin kritisieren unter anderem, dass sich die Bundesregierung im Vorfeld dafür eingesetzt hat, dass Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem Gesetz ausgenommen werden und Unternehmen, die keine Klimapläne erstellen oder sie nicht umsetzen, nicht sanktioniert werden. Diese Positionen finden sich nun auch im EU-Ratsbeschluss wieder. Außerdem sieht der Text keine selbständigen umweltbezogenen Sorgfaltspflichten vor; das heißt, die neuen Regelungen beziehen sich nur auf schon bestehende und sehr lückenhafte Umweltabkommen zu einzelnen Problemfeldern wie Quecksilber. Greenpeace fordert: Diese Bundesregierung mit einem Sozialdemokraten als Kanzler und einem grünen Wirtschafts- und Umweltministerium muss sich jetzt für ein wirksames Lieferkettengesetz mit sanktionierbaren Klima- und Umweltschutzzielen auf EU-Ebene einsetzen, statt den Prozess zu verwässern und stärkere Forderungen aus anderen europäischen Ländern zu untergraben.