Greenpeace–Position zum „Marine Stewardship Council“ (MSC)
- Hintergrund
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Eine verantwortungsvolle Fischerei darf weder zu Überfischung noch zu einer Zerstörung von marinen Lebensräumen führen. Nur so sind die Zukunft der Fischerei und die Versorgung mit Fisch gesichert. Die Realität sieht anders aus: Nach Angaben der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von 2022 gelten bis zu 89 Prozent der wirtschaftlich wichtigen Fischbestände als maximal genutzt, überfischt oder bereits kollabiert. Seit 1950 sind durch das Einwirken der Menschen rund 90 Prozent der großen Raubfische, wie Kabeljau, Thunfisch oder Lachs aus den Meeren bereits verschwunden.
Um Kaufentscheidungen für Konsument:innen zu erleichtern, wäre ein glaubwürdiges Gütesiegel speziell für Fischprodukte sinnvoll, die nach klaren Umwelt- und Sozialstandards gefangen wurden. Die Kriterien für die Vergabe eines solchen Zertifikats müssen streng sein und den „Greenpeace-Prinzipien für eine ökologische Fischerei“ entsprechen. Das Siegel dürfte nur auf solchen Produkten verwendet werden, bei deren Herstellung und Herkunft diese Kriterien nachprüfbar eingehalten werden.
Ist das MSC-Siegel ein glaubwürdiges Ökosiegel für Fischprodukte?
1997 gründeten Unilever (einer der weltweit größten Verarbeiter von Fisch) und der WWF eine Initiative für eine verantwortungsvolle Fischerei: den „Marine Stewardship Council“ (MSC). Der MSC ist inzwischen eine unabhängige, internationale Non-Profit-Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, durch einen handelsbasierten Ansatz die Fischerei-Management-Praktiken zu verbessern und Kunden mit der “ökologisch besten Wahl bei Fischen und Meeresfrüchten“ zu versorgen. Offizielle Zielsetzung des MSC ist die Sicherung der Fischbestände für die Zukunft.
Die MSC-Prinzipien für eine nachhaltige Fischerei sind:
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Prinzip 1: Der Zustand der Fischbestände
Hier wird ermittelt, ob ausreichend Fisch für eine nachhaltige Fischerei vorhanden ist.
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Prinzip 2: Die Auswirkungen der Fischerei auf die marine Umwelt
Hier wird untersucht, wie sich das Fischen auf die unmittelbare marine Umgebung, andere Fischarten, Meeressäugetiere und Seevögel auswirkt.
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Prinzip 3: Die Managementsysteme der Fischerei
Hier wird bewertet, ob die implementierten Regeln und Verfahren sowie die Art ihrer Implementierung eine nachhaltige Fischerei und eine minimale Beeinträchtigung der marinen Umwelt gewährleisten.
Die Bewertung einer Fischerei wird durch unabhängige, vom MSC zur Bewertung von Fischereien autorisierte Organisationen durchgeführt. 2000 wurde als erste Fischerei die Westaustralische Steinhummer-Fischerei nach den MSC-Standards zertifiziert. Im Dezember 2016 waren 296 Fischereien in 35 verschiedenen Ländern mit dem MSC-Siegel ausgezeichnet. Diese Fischereien machen laut MSC Global Impacts Report von 2017 circa zwölf Prozent an der jährlich weltweit gemeldeten Fangmenge für Fische und andere Meerestiere aus. In Deutschland hat das Siegel nach Angaben des Umweltbundesamts bereits einen Marktanteil von rund 64 Prozent bei wildgefangenem Fisch.
Kritik am MSC
Während Produzent:innen und Einzelhändler:innen beträchtliches Interesse daran zeigen, das Label zu unterstützen, konnte der MSC noch nicht bei allen Umweltorganisationen Glaubwürdigkeit erlangen. Die wichtigsten Vorbehalte beziehen sich auf die Transparenz und die Steuerung des MSC, sowie die Konsistenz und die Qualität der Fischerei-Zertifizierungen.
- Fehlendes Vorsorgeprinzip
Der wichtigste Kritikpunkt an der MSC-Zertifizierung ist, dass sie zu früh im Prozess vergeben wird. Die Zertifizierung wird an Fischereien vergeben, die einem ersten Set von Standards gerecht werden und die einen Aktionsplan verabschieden, um die Fischerei in der Zukunft zu verbessern. Damit wird das Vorsorgeprinzip nicht als Kerngedanke der ökologischen Fischerei anerkannt.
- Zertifizierung von Fischereien mit zerstörerischen Fangmethoden
Außerdem erhalten auch Fischereien eine Zertifizierung, die aus Greenpeace-Sicht zu den zerstörerischen Fangmethoden zählen, zum Beispiel bodenberührende Grundschleppnetze. Ein Beispiel dafür ist der Alaska-Seelachs, der zu den beliebtesten Speisefischen der Deutschen zählt und unter anderem zur Herstellung von Fischstäbchen verwendet wird. Die Bestände sind momentan zwar nicht gefährdet, jedoch setzen die MSC-zertifizierten Fischereien Schleppnetze ein, die häufig den Boden berühren und dort große und langanhaltende Schäden anrichten.
Ein weiteres Beispiel: Zurzeit existieren sieben vom MSC zertifizierte Jakobsmuschelfischereien, die die Muscheln mit bestimmten Schleppnetzen, den Dredschen, aus den Muschelbänken reißen. Ebenso wie Grundschleppnetze zerstören die Muscheldredschen den Meeresboden auf lange Zeit.
- Zertifizierung von Fischereien mit hohem Beifang
Auch eine hohe Beifang-Rate führt nicht zwangsweise zum Ausschluss von einer möglichen MSC-Zertifizierung. Stark kritisiert wurde deshalb eine Langleinenfischerei auf Schwertfisch vor der kanadischen Ostküste, die jährlich für den Beifang von etwa 35.000 Individuen gefährdeter Haiarten und 500 Meeresschildkröten verantwortlich ist. Auch der langjährige Partner des MSC, der WWF, distanziert sich immer häufiger von einigen der zertifizierten Fischereien, wie zum Beispiel im Sommer 2017 von dem Thunfischfang mit Ringwaden im mexikanischen Nordostpazifik, der einen hohen Beifang an Delfinen verursacht.
- Zertifizierung von überfischten Beständen
Im Jahr 2015 waren mindestens fünf Fischbestände mit MSC-zertifizierten Fischereien außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Dazu zählten unter anderem der Seelachs aus der Nordsee und der Wolfsbarsch. Sieben weitere Bestände wurden zu hoch befischt, darunter Seezunge aus der Nordsee und Seelachs von den Faröer Inseln. Der MSC argumentiert, dass die Zertifizierung dazu führt, dass eine Fischerei nachhaltiger wird. Das Siegel kann für Fisch aus bereits überfischten Beständen vergeben werden, wenn ein Erholungsprogramm für den betreffenden Fischbestand existiert. Auch hier handelt der MSC nicht im Sinne des Vorsorgeprinzips – Fischereien auf überfischte Bestände müssen zu einem sofortigen Entzug des Siegels führen.
2009 wurde die Aker-Biomarine-Fischerei nach Krill in der Antarktis das erste Mal zertifiziert und ist aktuell die einzige vom MSC zertifizierte Krillfischerei. Krill, eine kleine schwimmende Krebsart, ist die Nahrungsgrundlage für die Tiere in der Antarktis, vor allem für Säugetiere wie Wale und Robben, aber auch für Pinguine. Die wissenschaftliche Datengrundlage zum Zustand des Krillbestandes ist schlecht, und obwohl bekannt ist, dass Fischerei zusammen mit den Auswirkungen des Klimawandels einen direkten negativen Einfluss auf die Anzahl von Meeressäugern in der Antarktis hat, wurde die Aker-Biomarine-Krillfischerei vom MSC im Jahr 2015 rezertifiziert.
Sehr bedenklich ist auch die seit 2016 vom MSC zertifizierte Fischerei auf Granatbarsch vor der Küste Neuseelands. In der Vergangenheit ist der Bestand auf Grund der übermäßigen Fischerei bereits wiederholt kollabiert. Granatbarsche leben in der Tiefsee, wo sie auf Grund ihres langsamen Stoffwechsels sehr spät geschlechtsreif werden und bis zu 150 Jahre alt werden können. Die Fischerei nach Granatbarsch findet mit Grundschleppnetzen statt, welche die empfindlichen und seltenen Ökosysteme in der Tiefsee für tausende Jahre zerstören können.
- Interessenkonflikt mit der Industrie
Der MSC gibt sich gerne unabhängig und unbestechlich, jedoch kamen im Geschäftsjahr 2015/16 ganze 73 Prozent der Einnahmen aus den Zertifizierungsgebühren, und nur 24 Prozent waren Spenden gemeinnütziger Stiftungen. Der MSC gibt vor, genau die Fischereiindustrie zu regulieren, von der er viel Geld für Zertifizierungsgebühren erhält – ein offensichtlicher Interessenskonflikt, in dem viel zu oft die Natur das Nachsehen hat.
- Fehlen sozialer Faktoren
Seit Jahren ein wichtiger Kritikpunkt: das Unvermögen des MSC, eine signifikante Anzahl von Fischereien aus Entwicklungsländern zu zertifizieren und die Standards auch auf kleinskalige Fischereien, zu denen wenig Datenmaterial vorliegt, zu übertragen. Nur 21 Fischereien in Entwicklungsländern wurden bislang zertifiziert und machen damit einen Anteil von 9 Prozent aller MSC-Fischereien aus.
Greenpeace-Forderungen:
Greenpeace fordert das Marine Stewardship Council auf, die MSC-Kriterien so zu überarbeiten, dass das Siegel als überzeugendes Zeichen für eine ökologisch verantwortungsvolle und sozial verträgliche Fischerei steht:
- keine Zertifizierung von Produkten aus überfischten Beständen
- keine Zertifizierung von Produkten aus Fischereien, bei denen bedrohte Arten gefangen werden
- keine Zertifizierung von Produkten aus Fischereien, die eine hohe Beifangrate haben
- keine Zertifizierung von Produkten aus Fischereien, die zerstörerische Auswirkungen auf die Meeresumwelt haben, sowie Grundschleppnetz- oder Tiefseefischereien
- alle drei Bereiche, Ökologie, Soziales und Wirtschaftlichkeit sollten beim MSC gleichberechtigt in dem Entscheidungsgremium vertreten sein.
Kein Fisch-Gütesiegel empfehlenswert
Augenblicklich gibt es aus der Sicht von Greenpeace kein Siegel für nachhaltige Fischprodukte, das uneingeschränkt empfohlen werden kann. Obwohl die vorhandenen Label die bestmögliche Alternative darstellen, können sie nicht garantieren, dass die spezifischen Produkte aus nachhaltigen Fischereien stammen. Es ist daher unabdingbar, dass der Lebensmittelhandel und die Fischindustrie durch ein zu entwickelndes Konzept sicherstellen, nur Fisch und andere Meeresfrüchte aus nachhaltigen Fischereien und Aquakulturen zu kaufen und zu verkaufen.
Was klar ist: Am nachhaltigsten ist der Fisch, der im Meer bleiben darf. Übrigens schützt der Griff zur veganen Alternative das Meer ganz nebenbei auch vor Plastik, denn Geisternetze sind einer der großen Plastikverschmutzer der Meere. Wer es nicht ganz schafft, auf Fisch zu verzichten, kann sich beispielsweise vornehmen, den Konsum zu halbieren. Jeder Schritt zählt!