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Larissa Bombardi, Pestizidforscherin
privat

Larissa Bombardi über Pestizideinsatz in Brasilien und ökologische Alternativen

Der Pestizideinsatz in Brasilien ist enorm, er verursacht Schäden für Mensch und Umwelt. Oft stammt die Chemie aus Europa. Über Lebensmittelexporte gelangt sie zurück auf unsere Teller. 

Larissa Mies Bombardi ist Professorin der Abteilung für Geographie der Universidade de São Paulo in Brasilien und hält sich derzeit zu ihrer eigenen Sicherheit in Europa auf. Im Jahre 2017 veröffentlichte sie erstmal den Atlas "Geographie des Pestizideinsatzes in Brasilien und Verbindungen mit der Europäischen Union". Die englische Ausgabe machte sie 2019 auch in Europa bekannt. Zunehmend erhielt sie für ihre Arbeit Drohungen im eigenen Land. Anlässlich der kürzlich erfolgten 2021er Ausgabe ihres Atlasses hat Greenpeace mit ihr über den Einsatz von Pestiziden in Brasilien und über das Potenzial ökologischer Landwirtschaft gesprochen.  

Greenpeace: Firmen wie Syngenta, Bayer und BASF bringen Pestizide nach Brasilien, die in Europa zum Teil nicht zugelassen sind. In Brasilien richten sie großen Schaden an. Was schockiert Sie als Expertin an diesem Thema am meisten?

Larissa Bombardi: Unter den  jüngsten Tragödien im Zusammenhang mit Pestiziden in Brasilien sind wohl die am dramatischsten, bei denen die Wirkstoffe über Dörfer versprüht wurden. In vielen Fällen sind das nachweislich Verbrechen. Das heißt, die Pestizide wurden als chemische Waffen eingesetzt. Etwa 20 Prozent der Pestizidvergiftungen in Brasilien betreffen Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 19 Jahren, darunter auch Neugeborene. 

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach der internationale Handel und Handelsabkommen dabei?

Im Allgemeinen neigen internationale Abkommen zwischen Handelsblöcken und/oder Ländern mit sehr unterschiedlichen Realitäten dazu, diese  Unterschiede noch zu verstärken. Der Fall des aktuellen Abkommens zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union wird nicht anders sein.

Die bilateralen Beziehungen zwischen diesen beiden Blöcken sind absolut asymmetrisch gestaltet. Zwar weniger in Bezug auf finanzielle Fragen, aber auf den 'Inhalt' dieses Handelsabkommens. Die Länder des Mercosurs haben die Rolle des Agrarexporteurs und die Länder der Europäischen Union exportieren hochwertige Technologie-Produkte in den Mercosur.

Eine der Karten im Atlas 'Geographie der Asymmetrien' zeigt im Mercosur eine Fläche der Größe Frankreichs, die mit Soja bebaut ist. Das Abkommen bietet dem Mercosur Anreize, Produkte landwirtschaftlichen Ursprungs zu exportieren. Für die EU bietet es Anreize, industrialisierte Produkte zu exportieren. Die Ungleichheit der Beziehung verfestigt sich. Die landwirtschaftliche Produktionsweise wird weiterhin Abholzung, Pestizideinsatz und oft auch gewalttätige Landkonflikte mit sich bringen. 

Welche Schäden verursachen die Gifte bei den Menschen?

Verschiedene Arten von Gesundheitsschäden. Von akuten Symptomen wie Erbrechen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Juckreiz bis hin zu schwerwiegenden und chronischen Folgen wie Missbildungen von Ungeborenen, hormonellen Veränderungen, Fortpflanzungsproblemen und Krebs. Kindern, die in Gebieten mit intensivem Pestizideinsatz leben, haben manchmal ernste Probleme aufgrund einer frühzeitig eintretenden Pubertät

Die Zerstörung der Wälder im Amazonasgebiet zur Schaffung neuer landwirtschaftliche Flächen ist dramatisch. Was erwarten Sie in den nächsten Jahren und welche langfristigen Folgen wird das haben?

Wenn wir so weitermachen wie die jetzige Regierung, verschlimmern sich Abholzung und Pestizideinsatz. Die meisten Gemeinden, in denen der Pestizideinsatz in den letzten Jahren am stärksten zugenommen hat, gehören zum legalen Amazonasgebiet.

Zusätzlich lässt die aktuelle Regierung Substanzen in nie dagewesenem Ausmaß zu: mehr als 900 neue Pestizid-Handelspräparate - kommerzielle Produkte - in den vergangenen zwei Jahren.

Die Produktion steigt zudem nur durch die vergrößerte Anbaufläche; die Produktivität bei Soja auf den Flächen hat sich nicht erhöht. Mehr zu exportieren bedeutet also zwangsläufig, neue Flächen zu opfern.

Viele Kleinlandwirt:innen in Brasilien zeigen, dass es auch ohne Pestizide geht und praktizieren Landwirtschaft nach agrarökologischen Methoden. Wie schätzen Sie das Potenzial ein?

Das Potenzial ist enorm. Es gibt unzählige agrarökologische Erfahrungen, die meisten von sozialen Bewegungen. Die Landlosenbewegung Brasiliens MST(Movimento dos Sem Terra) ist beispielsweise die größte Bioreis-Produzentin in Lateinamerika. Zahlreiche ökologische und agrarökologische Wochenmärkte im ganzen Land bringen diese Produzent:innen mit ihren Konsument:innen zusammen.

Mehr ist möglich: Der Gesetzesentwurf "Nationale Politik zur Reduzierung von Pestiziden" soll Anreize für den Übergang zu Agrarökologie schaffen. Während der Regierungszeiten der früheren Präsident:innen Lula da Silva und Dilma Rousseff förderten Maßnahmen wie das Programm zum Erwerb von Nahrungsmitteln und das Nationale Programm zur Schulspeisung agrarökologische Praktiken.

Die Wurzel der meisten sozialen und ökologischen Probleme ist jedoch die enorme Konzentration von Landbesitz. Damit die agrarökologische Produktion aufblühen kann, müssen wir den Zugang zu Land in Brasilien demokratisieren. 

Was muss sich Ihrer Meinung nach konkret ändern?

Wir brauchen in Brasilien mindestens ein Verbot der in der EU bereits nicht zugelassenen Pestizide und des Spritzens aus der Luft, die Streichung der Subventionen für Pestizide, eine finanzielle Förderung der agrarökologischen Produktion und eine Umverteilung des Privateigentums auf dem Land.. Die Europäische Union wiederum sollte die Doppelmoral bezüglich der Pestizide beenden.

Und beide Seiten müssen sich für eine internationale Regelung für den Pestizideinsatz stark machen: mit dem langfristigen Ziel den Einsatz von Pestiziden zu stoppen.

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