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Greenpeace Online: Auf der Website des Energiekonzerns Vattenfall ist zu lesen: Vattenfall hat durch Modernisierungen, Neubauten und Stilllegungen den modernsten Kraftwerkspark in Europa aufgebaut. Da muss ich zum Beispiel an Jänschwalde denken, eine der schlimmsten CO2-Schleudern Europas. Wie steht es wirklich um die Vattenfall-Anlagen?
Karsten Smid: Vattenfall hat uralte DDR-Meiler übernommen und gekauft. Dort hat es einen Modernisierungsschub gegeben. Der musste aber zwangsläufig geschehen. Die Frage ist jetzt, wie der Konzern sich weiter verhält. Es kann nicht angehen, dass Vattenfall sich einfach auf den Lorbeeren von vorgestern ausruht.
Greenpeace Online: Vattenfall hat auf seiner Hauptversammlung auch angekündigt, seinen Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 zu halbieren.
Karsten Smid: Dabei gehen sie aber rechnerisch von den Zahlen des Jahres 1990 aus. Auf den heutigen Status bezogen, also 2004 bis 2030, sind die Mengen, die Vattenfall zu reduzieren ankündigt, einfach lächerlich.
Tatsächlich baut Vattenfall derzeit ein neues Braunkohlekraftwerk am Standort Boxberg. Da sollen zusätzlich fast 5 Millionen Tonnen CO2 in die Luft gepustet werden. Und hier in Hamburg-Moorburg planen sie ein neues Steinkohlekraftwerk, das jährlich über 8,5 Millionen Tonnen CO2 in die Luft pusten wird. Außerdem gibt es Planungen für ein Kohlekraftwerk in Berlin. Die Aussagen zum Klimaschutz, mit denen sich Vattenfall rühmt, passen nicht zu diesem Neubauprogramm.
Greenpeace erwartet, dass Vattenfall diese Neubaupläne zurückzieht. Wir fordern, dass es überhaupt keinen Neubau von Braunkohlekraftwerken mehr gibt. Dazu gehört als Allererstes dieses klimaschädliche Braunkohleprojekt in Boxberg. Das muss sofort gestoppt werden. Wir haben dazu einen Widerruf der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung beim Regierungspräsidium in Dresden beantragt. In Zeiten des Klimawandels dürfen keine neuen Braunkohlekraftwerke gebaut werden.
Greenpeace Online: Vattenfall macht Werbung mit Plänen für CO2-freie Kohlekraftwerke. Am Standort Schwarze Pumpe bauen sie schon eine Pilotanlage. Was ist davon zu halten?
Greenpeace Online: Die Kraftwerksprojekte in Boxberg, Hamburg-Moorburg und Berlin sehen überhaupt keine CO2-Abtrennung vor. Das sind die alten Kohlendioxidschleudern, wie eh und je.
Im Anhörungsverfahren in Hamburg wurde das auch sehr deutlich. Dort hat Vattenfall gesagt, es gehe um den Antrag, so wie sie ihn gestellt haben. Da geht es nicht um ein CO2-freies Kraftwerk, da geht es um ein Kraftwerk, das bis zu 8,5 Millionen Tonnen CO2 in die Luft pustet. Das entspricht den Treibhausgasen, die ganz Bolivien ausstößt. Und das ist unvereinbar mit dem Klimaschutz.
CO2-freie Kraftwerke gibt es nicht. Ein Kraftwerk kann etwa 85 Prozent des CO2 abscheiden, der Rest geht nach wie vor in die Luft. Das können gerade bei der dreckigen Braunkohle noch enorme Mengen sein - bis zu 200 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde Strom. Das schaffe ich auch mit einem modernen GuD-Heizkraftwerk, also einem gasbefeuerten Kraftwerk, das auch gleichzeitig Wärme auskoppelt. Mit moderner Technik betrieben, hat das heute einen CO2-Ausstoß von 148 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde. Dafür brauche ich die CO2-Technik also gar nicht.
Außerdem ist höchst zweifelhaft, wann die CO2-Technik überhaupt kommt, ob das überhaupt rechtlich genehmigungsfähig ist und funktioniert. Insofern baut die Industrie hier eine Legende auf, die nur ein Greenwashing der dreckigen Kohle ist. Saubere Kohlekraftwerke gibt es nicht.
Vattenfall: Neue Klimastudie mit alten Zahlen
Greenpeace Online: Vattenfall hat 2006 eine Klimastudie herausgegeben, Curbing Climate Change. Was ist von dieser Studie zu halten?
Karsten Smid: Vattenfall bekennt sich darin eigentlich zu dem Ziel, eine Temperaturerhöhung über zwei Grad Celsius im globalen Durchschnitt zu verhindern. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sagen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre dafür bei maximal 450 ppm (parts per million) liegen darf. Vattenfall rechnet in der Studie aber mit alten Zahlen, nämlich mit CO2-Konzentrationen von 550 ppm. Daran zeigt sich deutlich, dass diese Klimaschutzstudie nichts taugt. Sie muss neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden.
In der Studie sagt Vattenfall außerdem, dass eine schlagartige Änderung im Kraftwerkspark verhindert werden müsse. Nach den Vorstellungen von Vattenfall müssen die Industriestaaten ihre Kraftwerke weiterlaufen lassen können, bis die abgeschrieben sind.
Genau das ist das Problem. Diese Zeit haben wir nicht mehr. Wir brauchen eine Umstrukturierung des Energiesystems in den Industriestaaten jetzt. Wir müssen heute auf die Erneuerbaren Energien setzen. Wir können nicht mehr dulden, dass diese schwerfälligen, alten Kohlekraftwerke weiterbetrieben werden.
Es ist fatal, dass die großen Energiekonzerne wie Vattenfall an diesen alten fossilen Energiestrukturen festhalten. Insgesamt werden hier in Deutschland 25 neue Kohlekraftwerke gebaut - wider besseres Wissen. Darunter drei Braunkohlekraftwerke. Ursprünglich waren es sogar 27. Zwei Kohlekraftwerke, in Bremen und in Bielefeld, wurden durch den Protest der Umweltbewegungen verhindert.
Wir müssen noch mehr verhindern und dafür sorgen, dass weitere Planungen überhaupt nicht mehr durchkommen. Der Bau der Kohlekraftwerke würde den Klimaschutz in Deutschland torpedieren. Er würde den Treibhausgasausstoß erhöhen - das Gegenteil von dem, was wir wollen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, braucht es neuere Konzepte. Insofern baut Vattenfall hier Investitionsruinen. Das Beste für Vattenfall wäre, den Bau in Boxberg zu stoppen und stattdessen die Investitionen in Erneuerbare Energien zu lenken.
Greenpeace Online: Welches Interesse kann ein Konzern daran haben, wider besseres Wissen noch Investitionsruinen hochzuziehen, anstatt rechtzeitig umzusteuern?
Karsten Smid: Braunkohlekraftwerke sind profitabel, weil sie alle externen Kosten für die Schäden, die sie verursachen, nicht mit berücksichtigen. Ein weiteres großes Problem ist, dass der Emissionshandel in Deutschland nicht die Lenkungswirkung entfaltet hat, die er eigentlich haben sollte, weil Kohlekraftwerke einseitig bevorzugt werden. Die Lobbyverbände, gerade Vattenfall und RWE, die diese Braunkohlekraftwerke betreiben, haben mit ihrer Lobbytätigkeit dafür gesorgt, dass die Zuteilung von Emissionszertifikaten für sie besonders günstig ausfällt.
Deshalb brauchen wir auch energiepolitische Rahmenbedingungen. Wir brauchen ein Gesetz, das zunächst den Neubau von Braunkohlekraftwerken verbietet und im zweiten Schritt zu einem schnellen Abschalten dieser Kohlendioxidschleudern führt.
Es gibt übrigens kein anderes Industrieland, das so viel klimaschädliche Braunkohle verfeuert wie Deutschland. Und kein anderer Konzern setzt so intensiv auf die Verstromung von Braunkohle wie der Energiekonzern Vattenfall.
Merkels Klimaberater - ein Lobbyist
Karsten Smid: Nochmal zum Punkt Lobbyarbeit: Der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall, Lars Göran Josefsson, ist ja gleichzeitig auch Klimaschutzberater der Bundesregierung. Jetzt ist es zu einem Skandal gekommen, der in der Presse bislang kaum Aufsehen erregt hat: Die Hamburger Behörde sieht eine Genehmigung des geplanten Kraftwerks Moorburg sehr kritisch. Dieses Kraftwerk arbeitet sehr ineffizient und leitet einen Großteil der Wärme, die es produziert, in die Elbe ab, was zu erheblichen Beeinträchtigungen des Elbraums führen würde.
Der Vattenfall-Chef hat nun einen Geheimbrief an die Kanzlerin geschrieben, um Druck zu machen. Er will durchsetzen, dass das Kraftwerk noch in diesem Jahr genehmigt wird - ein neues Kohlekraftwerk, das selbst der Hamburger Senat nicht will, gegen das es einen breiten Widerstand gibt und das die Klimaschutzpolitik Hamburgs ad absurdum führen würde. Damit missbraucht er seine Stellung als persönlicher Klimaberater der Bundeskanzlerin, rein aus Profitinteresse und gegen die Interessen Hamburgs. Das ist unglaublich!
Greenpeace Online: Im Nationalen Energiekonzept: Plan B zeigen wir: Es geht auch anders - nicht nur ohne Atomkraft, sondern mittelfristig auch ohne Kohle. Haben die Energiekonzerne, hat Vattenfall eigentlich je auf diese Studie reagiert?
Karsten Smid: Sie kennen die Studie jedenfalls. Klar ist: Nach unserem Plan B müssen wir so schnell wie möglich raus aus der Risikotechnologie Atomkraft und wir müssen uns mittelfristig vom Verbrennen von fossilen Brennstoffen verabschieden. Das heißt: Kein Neubau von CO2-intensiven Braunkohlekraftwerken und langsam ganz raus aus der Kohle. Technisch ist das möglich. Man kann eine Versorgungsalternative bereitstellen, die wesentlich klimafreundlicher ist und die Reduktionsziele von 40 Prozent bis 2020 schafft: über Energieeinsparung bei effizienter Nutzung, das heißt auch Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung, und über die dezentralen Erneuerbaren Energien.
Das sind wichtige Meilensteine, die wir jetzt angehen müssen. Die Zeit rennt uns davon.
Greenpeace Online: Vielen Dank für das Gespräch, Karsten!