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Braunkohletagebau Jänschwalde (Vattenfall) in der Lausitz, September 2008
Jörg Glaescher / Greenpeace

Strategiewechsel bei Vattenfall: Interview mit Greenpeace-Energieexperten

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Online-Redaktion: Das Statement, das Vattenfall heute abgegeben hat, war ja nicht ganz das erwartete oder erwünschte - kannst Du die neue Strategie, die Vattenfall angekündigt hat, kurz zusammenfassen?

Karsten Smid: Der Aufsichtsrat von Vattenfall hat eine Strategieänderung beschlossen. Sie verabschieden sich von ihrem Wachstumskurs auf Teufel komm raus, einem Wachstum auf Kosten von Umwelt und Klimaschutz. Sie kündigen an, bis zum Jahr 2020 insgesamt 25 Mio. Tonnen Treibhausgase zu reduzieren. Und das geht nicht ohne das Abschalten von Kohlekraftwerken. Zudem investieren sie in Windenergie. Das ist keine Umkehr in ihrer Firmenpolitik, aber es ist ein scheibchenweiser Abschied von der Kohleverstromung.

Online-Redaktion: Aber doch anscheinend erstmal nicht in Deutschland? Vattenfall hat sich ja heute dazu bekannt, hier insbesondere an der Braunkohle festzuhalten.

Karsten Smid: Trotz aller Dementis: Wenn Vattenfall 25 Millionen Tonnen CO2 reduzieren will, dann geht das nur mit dem Aus von Kohlekraftwerken auch in Deutschland.

Online-Redaktion: Was heißt das für die Lausitz?

Anike Peters: Für die Lausitz heißt das, dass keine neuen Braunkohletagebaue mehr aufgeschlossen werden dürfen und auch nicht müssen, sondern dass die Kohlekraftwerke dort vom Netz gehen müssen. Braunkohlekraftwerke sind die klimaschädlichsten Kraftwerke überhaupt.

Online-Redaktion: Was ist mit den geplanten neuen Kohlekraftwerken?

Anike Peters: Da Vattenfall heute gesagt hat, dass sie Kohlekraftwerke wie Moorburg und auch das neue Braunkohlekraftwerk in Boxberg noch ans Netz nehmen wollen, heißt das, dass sie ihren sonstigen CO2-Ausstoß noch stärker reduzieren müssen, damit sie auf die vorgegebenen 65 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß im Jahr kommen. Das heißt, die Reduzierung beträgt nicht nur die schon erwähnten 25 Mio. Tonnen, sondern...

Karsten Smid:... es sind 38,7 Mio. Tonnen, die Vattenfall reduzieren muss bis 2020. Und das können sie weder in Polen machen noch in Dänemark, denn dort beträgt Vattenfalls gesamter CO2-Ausstoß jeweils ca. 6 Mio. Tonnen. Vattenfall muss an den Kernmarkt in Deutschland ran. Sonst schaffen sie diese Menge gar nicht.

Online-Redaktion: Wie will Vattenfall denn diese enormen Einsparungen erreichen? Will der Konzern dabei auf CCS setzen, auf die CO2-Verpressung?

Karsten Smid: Vattenfall sagt immer, sie würden das mit CCS erreichen, doch bis 2020 spielt CCS zur Treibhausgasreduktion keine Rolle. Selbst in der heutigen Präsentation des Vattenfall-Chefs wurde die CO2-Speichertechnik mit keinem einzigen Wort erwähnt. Auf Nachfrage musste er selbst sagen, dass er Zweifel hegt, ob diese Technik überhaupt kommt. Das heißt letztendlich, dass Vattenfall Kraftwerke vom Netz nehmen muss, um CO2 zu reduzieren - und das heißt ganz klar eine Reduzierung der Braunkohleverstromung in der Lausitz.

Online-Redaktion: Will Vattenfall dann vielleicht mehr auf die Atomkraft setzen? Die Atomkraftwerke von Vattenfall sind ja nicht besonders zuverlässig.

Karsten Smid: Vattenfall plant, die Atomreaktoren in Brunsbüttel und in Krümmel wieder anzufahren. Es hat ja beim Anfahren des Reaktors Krümmel schon erhebliche Störfälle gegeben. Bei diesen Pannenreaktoren muss Vattenfall erstmal den Sicherheitsnachweis liefern. Und die Laufzeitverlängerungen sind in Deutschland politisch nicht durchsetzbar, das haben die Proteste am Wochenende gezeigt. Wer hier auf Atomenergie setzt, verrechnet sich.

Online-Redaktion: Vattenfall behauptet ja, im Moment noch zu prüfen, ob Vermögenswerte, die nicht zur neuen Strategie passen, verkauft werden sollen. Ist das die Hintertür für den Kohleausstieg, den der Konzern im Moment noch dementiert?

Karsten Smid: Die alten Braunkohlekraftwerke lassen sich nicht verkaufen. Ab 2013 muss Vattenfall den vollen Preis für Treibhausgaslizenzen bezahlen und damit wird die Verstromung der Braunkohle unwirtschaftlich. Insofern gibt es nur eine Richtung, einen Weg: einen kontrollierten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Das gilt im Übrigen auch für RWE in Nordrhein-Westfalen.

Anike Peters: Die Zukunft liegt ganz klar in den Erneuerbaren Energien. Es muss eine hundertprozentige Stromerzeugung aus den Erneuerbaren erreicht werden.

Online-Redaktion: Die Medien berichten, dass Vattenfall an der Braunkohle in der Lausitz festhalten will. Der brandenburgische Wirtschaftsminister Christoffers zeigt sich erleichtert. Wer hat denn nun recht?

Karsten Smid: Wir brauchen nur eins und eins zusammenzuzahlen. Die Braunkohle hat keine Zukunft. Wenn jetzt die Landesregierung an der Braunkohleverstromung festhalten will, erweist sie den Menschen in der Lausitz einen Bärendienst. Nur eine Umstrukturierung und eine Abkehr von der Braunkohle kann Zukunftsoptionen für die Region bieten. Es braucht einige Zeit, ein Energiesystem umzustrukturieren. Der Zeitpunkt, damit anzufangen, ist jetzt, denn Vattenfall ist schneller raus, als Christoffers das wahrhaben will. Und dann hinterlässt Vattenfall Mondlandschaften und eventuell CO2-Endlagerstätten für die Ewigkeit. Darauf darf sich keine Landesregierung einlassen.

Online-Redaktion: A propos Regierungen. Vattenfall ist ja ein schwedischer Staatskonzern. Hat die schwedische Regierung den Strategiewechsel beeinflusst?

Anike Peters: Die schwedische Bevölkerung ist gegen die klimaschädliche Stromgewinnung aus Kohle. Die Eignerdirektive ist eine Anweisung des schwedischen Staates, sie zwingt Vattenfall, seine Treibhausgase zu verringern und mehr I in Erneuerbare Energien zu investieren. Das war der Auslöser des Strategiewechsels.

Klimaschutz: Plan B 2050 - Energiekonzept für Deutschland (Kurzfassung)

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