Gastkommentar von Brigitte Behrens im Handelsblatt
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Grenzen zu verschieben kann gravierende Folgen haben. Dazu genügt ein Blick in die Lausitz. Dort will der Energiekonzern Vattenfall die Begrenzungen seiner Kohlegruben deutlich ausweiten. Wodurch nicht nur mehr als 3 000 Menschen ihre Heimat verlören, sondern auch die deutschen Klimaziele ihre Glaubwürdigkeit. Hunderte Millionen Tonnen CO2 würden zusätzlich die Atmosphäre anheizen.
Auch um das zu verhindern, schlägt die Divestment-Bewegung eine Grenzverschiebung ganz anderer Art vor. Grundlage unserer Energieversorgung soll künftig nicht mehr die Frage sein, wie viel Kohle, Öl und Gas Energiekonzerne noch aus der Erde holen können. Vielmehr müsse die Obergrenze so definiert werden: Wie viel fossile Energien dürfen wir noch verbrennen, ohne den Klimawandel außer Kontrolle geraten zu lassen? Beide Fragen kommen zu grundverschiedenen Antworten.
Soll die Erwärmung der Atmosphäre zwei Grad nicht überschreiten, also unter der Grenze bleiben, ab der der Klimawandel nach Ansicht der Wissenschaft nicht mehr beherrscht werden kann, bleibt der Welt bis zum Jahr 2050 noch ein CO2-Budget von etwa 550 Milliarden Tonnen. Würden aber alle heute bekannten verbrannt, entstünde dabei fünfmal so viel CO2. Das würde zu einem globalen Temperaturanstieg von mehr als fünf Grad bis zum Ende des Jahrhunderts führen, bei dem viele Ökosysteme kippen würden. Anders ausgedrückt: Entweder steht in den Büchern von Shell, BP und RWE das Ende des Planeten, wie wir ihn kennen – oder ein gigantischer Berg an Rohstoffen, die nicht mehr verbrannt werden dürfen. Die Divestment-Bewegung weist auf die Gefahr solcher „stranded assets“ hin und fordert Investoren auf, ihr Portfolio entsprechend umzuschichten.
Vattenfall kämpfte jahrelang in der Lausitz für weitere Tagebaue. Schließlich lagern dort noch Milliarden Tonnen an Braunkohle, dem schmutzigsten aller fossilen Energieträger. Doch inzwischen ist es der schwedischen Regierung zunehmend unangenehm, gesagt zu bekommen, dass alleine die drei deutschen Braunkohlekraftwerke des Staatskonzerns pro Jahr mehr CO2 ausstoßen als ganz Schweden. Nicht ungelegen kam da den meisten schwedischen Politikern die Ankündigung des Vattenfall-Managements, die Braunkohle-Sparte zum Verkauf zu stellen.
Mit Klimaschutz aber hätte ein Verkauf weniger zu tun als mit Feigheit. Das Problem Braunkohle samt all seiner Umwelt- und Klimafolgen würde nicht gelöst, sondern schlicht an einen neuen Eigner weitergereicht. Vattenfall sollte über einen anderen Weg nachdenken. Das Unternehmen sollte sein Braunkohlegeschäft behalten und es schrittweise bis zum Jahr 2030 herunterfahren. In diesen 15 Jahren wird der Konzern in der Lausitz noch gutes Geld verdienen. Wichtiger aber: Er kann in dieser Zeit eine Blaupause dafür liefern, wie ein Energiekonzern sein Geschäftsmodell auf die Anforderungen des neuen Energiemarkts umstellt. Vattenfall kann sich seiner Verantwortung im Klimaschutz stellen und dadurch ein Vorbild für die Branche werden. Und die restliche Braunkohle in der Lausitz? Die würde dort bleiben, wo sie am besten aufgehoben ist: im Boden!
(Gastkommentar Brigitte Behrens, Geschäftsführerin Greenpeace Deutschland, Erstveröffentlichung im Handelsblatt, Nr.30, am 12.02.2015)