Greenwashing durch die EU-Taxonomie
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Investitionen in Gas und Atom sollen ab 2023 als nachhaltig gelten - das hat die EU-Kommission entschieden. Was genau steckt eigentlich hinter der sogenannten EU-Taxonomie?
Wie definiert sich eigentlich der Begriff "nachhaltig"? Diese Frage wird jeder Mensch für sich unterschiedlich beantworten, im Finanzbereich sollte das allerdings exakt definiert sein. Denn grüne Geldanlagen boomen und spielen eine immer größere Rolle. Hier kommt die EU-Taxonomie ins Spiel, denn sie ist Teil des Green Deals, mit dem die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden will. Die Taxonomie-Verordnung will Gelder gezielt in solche Wirtschaftsaktivitäten lenken, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der europäischen Umweltziele leisten. Konkret ist zum Beispiel geplant, die Finanzprodukte auf Basis eines Punktesystems “nach dem Grad der ökologischen Nachhaltigkeit” (Art. 1 Taxonomie VO) zu bewerten. So sollen Bürger:innen und Investor:innen leichter grüne Finanzprodukte von dem mittlerweile weit verbreiteten Greenwashing unterscheiden können. Theoretisch - denn das grüne Label soll auch für Investitionen in klimaschädliche und riskante Wirtschaftsbereiche wie Gas- und Atomkraft gelten.
Und das hat Konsequenzen über die europäische Grenzen hinaus: Zwar ist die Taxonomie bisher nur als Einordnung für private Anlagen vorgesehen. Doch was die EU künftig als grünes Investment definiert, wird weltweit Signalwirkung haben. Es ist wahrscheinlich, dass öffentliche Banken wie die KfW sich an den EU-Standards orientieren werden oder die Europäische Zentralbank ihre Konditionen bei der Vergabe von Krediten an Banken entsprechend anpasst. Die Kriterien der Taxonomie-Verordnung müssen außerdem direkt von großen Unternehmen in ihren Lageberichten genutzt werden (Artikel 8) und dienen damit zur Beurteilung, wie “grün” ein Unternehmen aufgestellt ist.
Chronik der Taxonomie
- Juli 2020: Die EU-Taxonomie-Verordnung tritt in Kraft - allerdings erst in Teilen. Die technischen Kriterien fehlen noch
- Oktober 2021 scheint ein geleaktes Papier die Befürchtungen vieler Beobachter:innen des Prozesses zu bestätigten: Das Non-Paper (eine Art inoffizielles Diskussionspapier) schlägt vor, Gas und Atomkraft als nachhaltige Energiequellen zu klassifizieren.
- Am 6. Dezember 2021 protestieren Greenpeace-Aktivist:innen vor der Ständigen Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Mit sieben gelben Atomfässern erinnerten sie EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen an die Gefahren der Atomkraft. Am nächsten Tag stellen Aktivist:innen einen riesigen Dinosaurier vor dem Sitz der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates in Brüssel auf, um gegen die mögliche Aufnahme von fossilem Gas und Atomenergie in die EU-Taxonomie zu protestieren.
- 31. Dezember 2021: Die für Gesetzesvorschläge zuständige EU-Kommission legt am Silvesterabend einen Entwurf für einen Rechtsakt vor, der im Rahmen der EU-Taxonomie Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter bestimmten Umständen als klimafreundlich erklärt. Greenpeace und weitere Verbände forderten in einem gemeinsamen Appell von der Bundesregierung, dieses Vorhaben zu verhindern. Der Widerstand gegen den Plän der EU-Kommission wächst.
- 2. Februar 2022: Die EU-Kommission veröffentlicht ihren finalen Vorschlag, in dem Atomkraft und Erdgas weiterhin als nachhaltig eingestuft werden. Die fadenscheinige Begründung: Erdgas und Atomenergie seien angeblich die notwendige Brückentechnologie auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Stromversorgung. Da es sich um einen sogenannten Delegierten Rechtsakt handelt, tritt er nach der Verabschiedung automatisch in Kraft. Es sei denn, EU-Parlament oder Ministerrat würden die Verordnung zurückweisen.
- 14. Juni 2022: Die Wirtschafts- und Umweltausschüsse des Europäischen Parlaments stimmen gegen den umstrittenen Plan der Europäischen Kommission, Gas und Atomkraft im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig zu kennzeichnen.
- 6. Juli 2022: Das Europäische Parlament lehnt den Antrag des Wirtschafts- und des Umweltausschusses ab. Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten votierten im Plenum in Straßburg lediglich 278 gegen den Rechtsakt zur Taxonomie. Damit gelten die Taxonomie-Regeln für den Finanzmarkt ab 1. Januar 2023.
Greenpeace kündigt noch am gleichen Tag öffentlich an, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. - 15. Juli 2022: Der ergänzende Delegierte Rechtsakt über Gas und Atomkraft wird im EU-Amtsblatt offiziell veröffentlicht. Damit hat Greenpeace gemäß der Aarhus-Verordnung acht Wochen Zeit, einen Widerspruch vorzubereiten und bei der Kommission einzureichen.
- 8. September 2022: Ein Bündnis von acht Greenpeace-Länderbüros startet rechtliche Schritte gegen die EU-Taxonomie und reicht Widerspruch bei der EU-Kommission gegen den Delegierten Rechtsakt ein.
--> Weiterführende Chronik zum Klageprozess hier
Europäischer Anti-Atomkraft-Protest
Atomkraft ist nicht nachhaltig...
Atomkraftwerke sind teuer und unrentabel, ihre Sicherheitsprobleme sind gut dokumentiert. Unfälle können in beispiellosen Katastrophen enden, und die Frage, wie man den über Generationen strahlenden Atommüll sicher endlagert, ist bis heute nicht ansatzweise beantwortet. Atomenergie ist auch nicht CO2-neutral, wie häufig behauptet. Atomkraft ist alles andere als nachhaltig. Eine EU-Taxonomie, die das Gegenteil behauptet, ist unglaubwürdig und betreibt nichts weiter als Greenwashing: Sie adelt eine Risikotechnologie mit einem unverdienten Klimaschutz-Etikett. “Wie ein Zombie droht eine totgeglaubte und gefährliche Technik derzeit zurückzukehren”, sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. “Dabei hat Atomkraft keine Zukunft.”
Nichtsdestotrotz sollen neue Atomkraftwerke bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn die ungeklärte Frage nach sicheren Endlagern bis spätestens 2050 geklärt ist. Im schlimmsten Fall bedeutete die Durchsetzung des Plans, dass in der Europäischen Union weitere Atomkraftwerke gebaut werden und tatsächlich nachhaltige Projekte das Nachsehen haben. Damit würde eine hochriskante Art der Stromerzeugung von höchster Stelle grüngewaschen.
...genausowenig wie Erdgas
Erdgas erursacht extrem klimaschädliche Methan- und CO2-Emissionen. Erdgaskraftwerke sind (unter Einbeziehung der Methanemissionen im Lebenszyklus) ebenso klimaschädlich wie Kohle. Eine Gas-Expertise von Aurora Energy Research zeigt klar: Durch die Einbeziehung von Gas in die Taxonomie kommt es absolut zu mehr Ausbau von Gas und damit mehr CO2 Emissionen. Es kommt zu einem “Lock-in” Effekt zum Nachteil von CO2 neutralen oder weniger emittierenden Alternativen. Und nicht zuletzt: Aufgrund der Funktionsweise der Strommärkte wird sowohl der Ausbau der Erneuerbaren Energien als auch der Ausbau von Speichertechnologien behindert
#NotMyTaxonomy
Was kann Deutschland dagegen tun?
Dass Atomkraft nicht nachhaltig ist, hat die österreichische Bundesregierung sich schwarz auf weiß bestätigen lassen: Ein vom Umweltministerium beauftragtes Rechtsgutachten der Kanzlei Redeker-Sellner-Dahs belegt das Punkt für Punkt, und mehr noch: wie für Österreich, kann auch die deutsche Bundesregierung auf dieser Grundlage klagen, sollte Atomenergie in die Taxonomie aufgenommen werden. Österreich hat einen solchen Schritt bereits angekündigt. Luxemburg will sich der Klage anschließen. Die Regierungen können direkt vor den Europäischen Gerichtshof ziehen und müssen nicht wie Greenpeace den Zwischenschritt eines formalen Widerspruchs gehen.
Die künftige Bundesregierung muss nachziehen, wenn der Atomausstieg kein allein deutsches Projekt sein soll – nicht zuletzt, weil bei Unfällen in den grenznahen AKW in Frankreich und Belgien die deutsche Bevölkerung genauso unter den Folgen litte. “Auch Deutschland muss von Anfang an klar machen, dass eine Taxonomie, die Atomenergie als grün und nachhaltig erklärt, beklagt wird”, sagt Smital. “Es kann nicht sein, dass eine Regierung mit grüner und sozialdemokratischer Beteiligung hier tatenlos bleibt.”
Atomausstieg nicht vollendet
Dabei ist selbst in Deutschland die Atomkraft bisher nicht völlig vom Tisch. Derzeit produzieren zwei Atomfabriken in Lingen und Gronau Brennstoff für Reaktoren in ganz Europa. Die Brennelementproduktion verursacht zudem zusätzlichen Atommüll, dessen Entsorgung bisher ungelöst ist. „Vor diesem Hintergrund muss das Gesetz zum Atomausstieg in Deutschland auf die Brennelementproduktion und die Urananreicherung erweitert werden“, fordert Smital. „Der hierfür nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erforderliche ‚legitime Zweck‘ liegt vor.“