Öl, Gas und Krieg - Energiesicherheit im Fokus der Geopolitik
- Hintergrund
Bereits vor Beginn des Krieges in der Ukraine spielte Energiesicherheit eine zentrale Rolle in der globalen Geopolitik. Der Begriff “Energiesicherheit” wird von der Internationalen Energieagentur (IEA) als "zuverlässiger, erschwinglicher Zugang zu allen Brennstoffen und Energiequellen" definiert. Im Jahr 2000 verglich die Europäische Kommission die EU als einen von einzelnen Energieversorgern abhängigen Wirtschaftsriesen mit "Gulliver in Chains".
Bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine unterstützte die EU ihre Energiesicherheit sowohl mit internen als auch mit externen Maßnahmen. Intern förderte die EU erneuerbare Energien und Energieeffizienz und drängte auf integrierte europäische Gasmärkte. Extern hatten Energiehandel und -sicherheit zentrale Bedeutung für die Beziehungen zu Drittländern, da die meisten Energieversorger außerhalb Europas liegen. Wie wichtig der EU dieser außenpolitische Aspekt war, zeigen die Dokumente zur Europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit von 2014, der Aktionsplan für Energie Diplomatie von 2015 und die Globale Strategie von 2016.
Die meisten europäischen Länder gerieten in immer stärkere Abhängigkeit von Energieimporten von außerhalb Europas. Bereits 2008 war der Europäische Rat besorgt über die Zunahme der Energieabhängigkeit der letzten fünf Jahre. “Der Produktionsrückgang in Europa bedeutet, dass bis 2030 bis zu 75 Prozent unseres Öls und Gases importiert werden müssen”, so der Bericht des Europäischen Rats. Diese kämen aus einer begrenzten Anzahl von Ländern, von denen viele in ihrer Stabilität bedroht seien. Im Jahr 2020 stellte das EU-Parlament fest, dass “fast 90 Prozent des Ölbedarfs der EU und 70 Prozent des Gases durch Importe gedeckt werden".
Nato, Europäische Verteidigungspolitik und Energiesicherheit
Eines der wichtigsten EU-Dokumente zur Außen- und Sicherheitspolitik ist die 2016 veröffentlichte "Globale Strategie der EU". Sie zielt darauf ab, die Wirksamkeit der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu verbessern. Brüssel warnt davor, dass "die Unsicherheit bei der Energieversorgung unser Volk und unser Territorium gefährdet" und präzisiert, dass "wir durch unsere Energie-Diplomatie die Beziehungen zu verlässlichen Energieerzeuger- und Transitländern weltweit stärken sowie den Aufbau einer Infrastruktur unterstützen und unsere Quellen stärker diversifizieren werden, um die Nachfrage auf den europäischen Märkte zu sättigen".
Bei der Vorstellung der EU-Strategie für maritime Sicherheit (2014) betonte die für maritime Angelegenheiten und Fischerei zuständige EU-Kommissarin Maria Damanaki, dass es ihr Ziel sei, "die maritime Wirtschaft wiederzubeleben" – ein Ziel, das nach ihrer Aussage "Hand in Hand mit der Sicherheit geht: Kein Geschäftsmann wird in eine maritime Tätigkeit investieren, wenn Offshore-Anlagen nicht sicher sind oder die Handelswege nicht sicher sind".
Das 30 Länder umfassende nordatlantische Verteidigungsbündnis Nato weist in eigenen Stellungnahmen ausdrücklich auf das Risiko von "Störungen der Energie- und maritimen Versorgungslinien" als eine der wahrscheinlichsten Bedrohungen seiner Mitgliedsländer und die Notwendigkeit, fossile Brennstoffe zu schützen, hin. Die Nato machte auch deutlich, dass "jede wesentliche oder plötzliche Unterbrechung der Versorgung eines Verbündeten von Belang wäre, insbesondere, wenn die Unterbrechung durch Sabotage der Energieinfrastruktur oder durch unrechtmäßige Eingriffe in den Seehandel verursacht wurde". Ihre jüngsten Schlussfolgerungen zu diesem Thema sind eindeutig: Da "die Sicherheit der Energieinfrastruktur zum Eckpfeiler der Energiesicherheit wird", versucht die Nato, "ihre Kompetenz bei der Unterstützung des Schutzes kritischer Energieinfrastrukturen zu erhöhen".
Energiehunger schürt Kriege und Konflikte
In dem im Dezember 2021 veröffentlichten Bericht "The Sirens of Oil and Gas in the Age of Climate Crisis: Europe's Military Missions to Protect Fossil Fuel Interests" prangert Greenpeace die Energie-Interessen hinter den europäischen Militärmissionen an und schätzt, dass – trotz Klimakrise und der Verpflichtung zur Dekarbonisierung – fast zwei Drittel der militärischen EU-Operationen im Zusammenhang mit dem Schutz der Öl- und Gasversorgung Europas stehen. An der Spitze der EU-Länder steht Italien, das 2021 fast 800 Millionen Euro für die militärische Verteidigung seiner Energiesicherheit ausgegeben hat.
Fossile Brennstoffe wie Öl und Gas sind nicht nur die Ursache für Umweltverschmutzung und Klimakrise, sondern auch für Konflikte in vielen Teilen der Welt. Wissenschaftlichen Studien zufolge wurden fast die Hälfte der Kriege, die seit 1973 ausgebrochen sind, auch um Öl geführt. Offensichtlich geht es nicht nur um die klassische militärische Invasion, um sich die Energieressourcen eines anderen Landes anzueignen. Die Zusammenhänge zwischen dem Bedürfnis nach Energiesicherheit und Konflikten sind vielfältig: Sie reichen von bewaffneten Interventionen, um eine Störung des Marktgleichgewichts zu vermeiden, über die destabilisierenden Auswirkungen durch Umweltschäden bis hin zu zivilgesellschaftlicher Kritik über die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die mit der Präsenz ausländischer Ölgesellschaften verbunden sind.
Seit 1980 gab es im Wesentlichen drei Kriege in der Golfregion: erster Golfkrieg, auch Iran-Irak-Krieg genannt (1980), zweiter Golfkrieg (die irakische Invasion in Kuwait und die entsprechende US-geführte Intervention zur Befreiung Kuwaits, teilweise auch erster Golfkrieg genannt, 1990), dritter Golfkrieg (Der US-Einmarsch im Irak 2003, auch zweiter Golfkrieg genannt) Bei allen drei Kriegen waren Öl und Gas wesentliche Konfliktursachen.
Energieimporte finanzieren Militärausgaben
Mit dem Export fossiler Energieträger (Kohle, Öl und Gas) finanziert Russland einen erheblichen Anteil seines Staatshaushaltes, das Militär und somit auch den Krieg in der Ukraine. Deutschland und Europa haben daran einen bedeutenden Anteil.
Exporte von Energieträgern machten mit 42,1 Prozent in 2020 einen erheblichen Anteil am Gesamtexportvolumen Russlands aus. Der größte Teil entfiel hierbei auf Ölprodukte (35 Prozent). In die EU betrug der Exportanteil fossiler Energieträger sogar mehr als 70 Prozent. Zudem ist Europa seinerseits mit ca. 50 Prozent der russischen Gesamtexporte, der größte Abnehmer russischer Güter.
Die Militärausgaben betrugen laut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) im Jahr 2020 insgesamt 4.462 Mrd. Rubel bzw. 61,7 Mrd. USD (current USD). 2006 beliefen sie sich noch auf 938 Mrd. Rubel bzw. 34,5 Mrd. USD. Über den Zeitraum 2006 - 2020 zeigt sich, dass Russland seine Militärausgaben kontinuierlich erhöht hat. Dennoch verdiente Russland mehr Geld mit dem Export fossiler Energien in die EU, als es für sein Militär ausgab.
Stellt man die Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten nun den russischen Militärausgaben gegenüber und betrachtet deren Entwicklung im Zeitraum 2006 – 2020, so stellt man einen deutlichen Zusammenhang bzw auffallende Parallelen fest. Einnahmen und Ausgaben sind hierbei proportional angestiegen. So folgert bereits SIPRI: „the income of the Russian Government is highly dependent on revenue from oil and gas exports“).
Sollte Russland auf die Einnahmen aus den Exporten von Kohle, Öl und Gas verzichten müssen, könnten diese hohen Militärausgaben langfristig schwerlich aufrecht erhalten werden. Die Abhängigkeit ist also in gewisser Weise beiderseitig: Deutschland und Europa sind nicht nur abhängig von russischen Kohle-, Öl- und Gasimporten, auch Russland selbst ist hiervon zu einem gewissen Grad abhängig.
Gas und Öl tragen also auf unterschiedliche Weise zu mehr Militarisierung und zu Konflikten bei. Um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen und die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch zu verhindern, braucht es nicht nur den schnellstmöglichen Ausstieg aus fossilen Energien, sondern auch einen kritischen Blick auf europäische und nationale Außen- und Sicherheitspolitik sowie ein Ende der Finanzierung militärischen Schutzes fossiler Energieträger.