Was ist Krieg? Wie geht's zum Frieden?
- Hintergrund
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Wir leben nicht in friedlichen Zeiten. Im Jahr 2004 gab es auf der Erde 36 Kriege und kriegsähnliche Konflikte. Selbst Europa ist vor kriegerischen Auseinandersetzungen nicht sicher.
Die Grundüberzeugung von Greenpeace ist: Krieg ist kein Mittel zur Lösung von Konflikten, und: Frieden und Umweltschutz sind untrennbar miteinander verbunden. So richteten sich seit der Gründung von Greenpeace 1971 Greenpeace-Aktionen immer wieder gegen die militärische Nutzung der Atomenergie. Bis heute engagiert sich Greenpeace für internationale Abrüstung und Entmilitarisierung. Denn Umweltprobleme zu bekämpfen heißt auch, friedenspolitische Ziele durchzusetzen. Und ebenso wie jedes große Umweltproblem auch die Gefahr internationaler Konflikte birgt, ist auch jeder Krieg eine ökologische Katastrophe. Greenpeace ist gegen jeden Krieg - das ist unsere einfache und klare Haltung.
Aber was ist Krieg? Wodurch entstehen Kriege? Wie werden sie beendet? Und: Was ist Frieden, und wie kann man ihn sichern?
Was ist Krieg?
Was Krieg tatsächlich ist, lässt sich in einfachen Begriffen nicht beschreiben. Alle Definitionen sind nur ein winziger Ausschnitt aus der Wirklichkeit des Krieges. Dennoch vorweg einige wesentliche Unterscheidungsmerkmale:
Allgemein versteht man unter Krieg einen zwischenstaatlichen Ausnahmezustand, bei dem die normalen friedensrechtlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen den gegnerischen Staaten aufgehoben sind und diese dem jeweils anderen mit militärischen und anderen Gewaltmethoden ihren Willen aufzwingen wollen (Bertelsmann-Lexikon).
Es handelt sich, bei dieser regulären Form des Krieges, also um eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten über einen längeren Zeitraum. Das können lokal begrenzte Kriege sein, aber auch solche, die ganze Weltregionen erfassen. Es können in diesen Kriegen konventionelle, also herkömmliche Waffen, aber auch die völkerrechtlich geächteten ABC-Waffen (Atomare, Biologische und Chemische Waffen) eingesetzt werden.
Neben diesen regulären Kriegen zwischen Staaten gibt es noch zahlreiche Formen so genannter irregulärer Kriege. Hier sind die Gegner nicht Staaten, sondern bewaffnete Gruppen, Partisanen, Aufständische oder Banden. Die Ziele dieser Gruppen können sehr unterschiedlich sein. Je nachdem, ob es ihnen um die Macht im Staat geht oder schlicht um Bereicherung, zum Beispiel an Ressourcen wie Öl, Diamanten oder tropischen Hölzern.
Diese Kriege werden häufig Neue Kriege genannt. Neu ist zwar, dass dieser Typ Krieg heute bei weitem die Mehrzahl der kriegerischen Konflikte ausmacht, tatsächlich hat es aber diese Konfliktformen schon immer gegeben. In diese Kategorie fallen auch die Befreiungskriege, in denen die Aufständischen von der gegnerischen Seite zumeist Terroristen genannt werden, ob sie nun für Freiheit kämpfen oder für Macht, Geld oder andere Ziele. Und tatsächlich existieren eine Reihe von Konflikten, die nur den Zweck haben, Warlords oder andere Kriegsherren in ihren Machtpositionen zu halten oder lokale und regionale Wirtschaftsformen, die nur noch unter den Bedingungen des Konflikts funktionieren (so genannte Kriegsökonomien), aufrecht zu halten.
Neben den Unterscheidungsmerkmalen regulär und irregulär kann man Kriege auch nach ihren Zielen oder Taktiken benennen: da gibt es dann Begriffe wie Vernichtungskrieg, Blitzkrieg, Zermürbungskrieg und andere. In letzter Zeit besonders verbreitet ist die Rede vom so genannten Präventiv-Krieg. Ein Krieg, der vorbeugend sein soll, also präventiv einem tatsächlichen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff eines Feindes zuvorkommen und diesen dadurch verhindern soll. Die Idee eines solchen "Erstschlags" spielte vor allem im Kalten Krieg eine große Rolle. Die Angst vor diesem Präventivschlag des Gegners führt allerdings sehr schnell zu einem Rüstungswettlauf, der dann auch einen Krieg unausweichlich machen kann.
Eine weitere Form des Krieges, der so genannte preemptive strike, ist insbesondere seit dem Krieg gegen den Irak als Begriff bekannt geworden. Er spielt in den neuen Sicherheitsvorstellungen der USA eine besondere Rolle und unterscheidet sich vom Präventivkrieg dadurch, dass hier die Schwelle für einen Angriff noch niedriger liegt: Schon die bloße Vermutung, dass ein möglicher Gegner eine Bedrohung darstellen könnte, ist nach diesen Vorstellungen - die natürlich allen Regeln des Völkerrechts und der zivilisierten Politik zuwiderlaufen - ein Grund für präemptives Zuschlagen.
Allen Formen des Krieges, ob regulär, irregulär, ob konventionell oder atomar, ob neu oder klassisch, ist aber eines gemeinsam: Krieg ist immer gleichbedeutend mit dem Einsatz roher, oft brutalster Gewalt. Krieg heißt: alle Formen zivilisierten Umgangs miteinander sind außer Kraft gesetzt, Gesetze haben ihre Gültigkeit verloren. Krieg ist die krasseste Form der Herrschaft des Stärkeren, was in jedem Fall dazu führt, dass das Leben und die langfristigen Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung dem miltärischen Erfolg untergeordnet werden.
Krieg ist damit immer gleichbedeutend mit Leiden. Besonders derer, die schwach sind, und die - noch weit mehr als ohnehin schon in Friedenszeiten - der Willkür der Stärkeren schutzlos ausgeliefert sind. Die unmittelbaren Folgen des Krieges werden im Allgemeinen nicht von denen getragen, die ihn verursachen, sondern von denen, die den politischen Entscheidungen anderer ausgeliefert sind. Das sind in der Regel vor allem die Zivilbevölkerung, die Unbewaffneten.
Krieg heißt zumeist, dass eine Machtelite sich zur Durchsetzung ihrer ureigensten Interessen anderer Leute bedient, die dafür leiden und sterben müssen. (Michael Moore hat in seinem Film über die Vorbereitungen zum Irak-Krieg eindrucksvoll gezeigt, wie sehr sich die Elite - etwa die Politiker, die ebenso inbrünstig wie verlogen unsere Soldaten in den Krieg schickten - dagegen sträubte, dass die eigenen Söhne dabei sind). Krieg heißt, dass Werte wie Mitmenschlichkeit, Mitleid oder Rücksicht grundsätzlich nicht mehr gelten. Krieg steht damit in elementarem Widerspruch zu grundlegenden ethischen und weltweit gültigen Überzeugungen und Wertvorstellungen.
Krieg ist verboten
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein, aber - im streng völkerrechtlichen Sinn - ist Krieg tatsächlich und aufgrund geltenden internationalen Rechts offiziell verboten. Seit der Gründung der Vereinten Nationen (United Nations, UN) und der Geltung der Charta der UN gilt der Angriffskrieg als völkerrechtlich geächtet. Artikel 2 Absatz 4 der Charta sagt: Alle Mitglieder unterlassen (...) jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete (...) Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Nicht nur die Anwendung, schon die Androhung ist also völkerrechtswidrig, und sämtliche 191 Staaten der Welt haben diese Verpflichtung unterschrieben. Nur eine einzige Ausnahme von diesem absoluten Gewaltverbot ist zulässig: die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung. Und auch diese nur, bis der Sicherheitsrat der UN selbst geeignete Maßnahmen zum Schutz des angegriffenen Staates ergriffen hat (Artikel 51).
An der Existenz von Kriegen konnte diese - obwohl völkerrechtlich verbindliche - Erklärung aber wenig ändern. Zum einen gilt sie ohnehin nur für Staaten, also von vornherein nur für die selten gewordenen regulären Kriege. Um sich dem Vorwurf des Völkerrechtsbruchs zu entziehen, haben aber die Staaten seit Geltung der UN-Charta nicht etwa Kriege unterlassen, sondern ganz einfach den Begriff Krieg vermieden, ebenso wie eine reguläre Kriegserklärung. Stattdessen hat es sich "eingebürgert", dass sich kriegführende Parteien, auch Angreifer, als die Angegriffenen darstellen und behaupten, sie verteidigten sich.
So begann der Zweite Weltkrieg mit der Lüge von einem angeblichen (in Wirklichkeit aber von der deutschen Wehrmacht bewusst vorgetäuschten) polnischen Angriff; so begann der Vietnamkrieg mit der Behauptung, ein amerikanisches Kriegsschiff sei im Golf von Tonking von Vietnamesen angegriffen worden; und so begann der Krieg gegen den Irak mit der bewussten Lüge, die USA und die restliche freie Welt seien bedroht durch einen angeblich bevorstehenden Angriff mit Massenvernichtungswaffen.
Schon immer haben Krieg führende Parteien versucht, ihre Tod bringenden Handlungen schönzureden und zu rechtfertigen. Neben der Behauptung, man wehre sich gegen einen Überfall des Gegners, ist der am häufigsten vorgeschobene Grund: die angebliche Verteidigung kultureller, ethnischer (also mit einer bestimmten Volksgruppe zusammenhängender) oder religiöser Werte und Vorstellungen, sei es das Christentum, oder auch, wie in den letzten Jahren häufig zu hören, die Demokratie oder die Menschenrechte.
Militärische Aktionen gegen ein anders Land werden oft als Humanitäre Intervention dargestellt, ob sie diesen Namen nun verdienen oder nicht: Man müsse einem Angreifer mit Waffengewalt in den Arm fallen, um ein schlimmes Massaker oder ähnliches zu verhindern. Das hört sich gut an, und dagegen ist Widerspruch schwer. Außerdem lässt sich in einem konkreten Fall nur schwer nachweisen, dass das Motiv einer Invasion tatsächlich nicht die Menschenrechte sind.
Abgesehen davon, dass so genannte Humanitäre Interventionen vom Völkerrecht bisher genauso verboten sind wie Kriege, lohnt es sich immer, bei dieser Begründung genauer hinzusehen. Denn wer, angeblich zur Wahrung der Menschenrechte oder der Wiederherstellung der Demokratie, ein Land mit Krieg überzieht - aus vorgeblich uneigennützigen Motiven also - von dem muss erwartet werden, dass er dies in allen gleichartigen Fällen tut und nicht nur dort, wo er sich dadurch einen Vorteil sichert.
Auffälligerweise werden Demokratie und Menschenrechte oft gerade da verteidigt, wo es etwas für die zu holen gibt, die auf friedlichen Wegen nicht daran kommen, weil es nämlich anderen gehört (etwa das Öl im Irak). Selbst in Fällen, wo es keine augenscheinliche Beute gibt, können eine ganze Menge anderer und eben nicht uneigennütziger Absichten eine Rolle spielen. Dazu zählen zum Beispiel die Interessen von Rüstungskonzernen, die Ablenkung von anderen, innenpolitischen Problemen einer Regierung oder auch strategische Gründe (etwa die Errichtung eines neuen Militärstützpunktes).
Aber was ist, wenn wirklich die Menschrechte akut bedroht sind? Grundsätzlich gilt: Gewalt, in welcher Form auch immer, darf nur eingesetzt werden zur Verhinderung von Gewalt! Ob und in welcher Form Gewalt zum Schutz von Schwächeren eingesetzt werden darf, und wieviel Gewalt nötig ist zur Abwehr von Gewalt, das ist eine sehr umstrittene und letztlich nur von jedem Einzelnen zu beantwortende Frage. In demokratischen Staaten haben Bürger kein Recht auf den Einsatz von Gewalt, es gilt das so genannte Gewaltmonopol des Staates: Die Bürger haben dem Staat und seinen Organen durch freien Willen den Einsatz von Gewalt übertragen, und jede dieser Gewaltanwendungen müssen die Staatsorgane ausdrücklich begründen und rechtfertigen.
Andererseits haben aber die Bürger die Pflicht zur Hilfeleistung, also zum tätigen Einschreiten, wenn jemand durch Gewalt bedroht ist. So ist es auch auf der Ebene der Staaten seit 1945 und der Verabschiedung der UN-Charta, zumindest theoretisch. Hier heißen die Vokabeln Selbstverteidigung und kollektive Selbstverteidigung.
Leider war es in der Vergangenheit allzu oft so, dass selbst bei offensichtlichem Völkermord - etwa in Ruanda 1994, als eine Million Angehörige des Tutsi-Volkes vom konkurrierenden Hutu-Stamm ermordet wurden - keinerlei Hilfeleistung kam. Es war eben im konkreten Fall wirtschaftlich uninteressant für die Staaten, die dort militärisch mit wenig Mitteln Hunderttausende Menschenleben hätten retten können. Diese Selektivität angeblich humanitärer Hilfe mit Waffengewalt lässt Zweifel an der guten Absicht aufkommen.
Neben der meist missbräuchlichen Verwendung des Menschenrechtsarguments wird aber auch versucht, den Krieg mit angenehmer klingenden Begriffen zu verschleiern und akzeptabler zu machen. Statt von Krieg ist beschönigend von Verteidigung, Verteidigungsstreitkräften, oder von Sicherheitspolitik die Rede.
Angesichts dieses offensichtlichen Missbrauchs eigentlich positiv besetzter Begriffe wie Sicherheit, Bündnis, Humanitäre Intervention, oder gar Dialog ist es ratsam, ihre Verwendung stets kritisch zu beäugen. Das Gleiche trifft für Ausdrücke wie Präzisionsschlag oder Kollateralschaden zu. Diese werden meist benutzt, wenn der Eindruck erweckt werden soll, Bomben würden nur die Schuldigen treffen, und der Tod (weniger) Unschuldiger sei ein unvermeidbares Übel.
Wodurch entstehen Kriege? - Sechs Kriegsquellen
Kriege sind keine Naturereignisse, die aus heiterem Himmel ausbrechen. Kriege werden von Menschen in bestimmten sozialen und politischen Zusammenhängen gemacht. Um zu verstehen, warum ein Krieg ausbricht, ist es wichtig, die Interessen und die Ziele der Kriegsbeteiligten zu analysieren und zu erkennen.
Allgemein anerkannte Theorien darüber, warum Kriege entstehen, gibt es nicht, dafür aber eine Vielzahl von Erklärungsansätzen. Angefangen bei psychologistischen oder biologistischen Gründen, die Kriege mit der Natur des Menschen erklären oder aber mit unlösbar erscheinenden kulturellen oder religiösen Konflikten oder, noch abstrakter, im systembedingten Aufeinanderwirken der Staaten.
Allen diesen Erklärungsversuchen ist gemeinsam: Sie führen den Einsatz von Gewalt auf wenig beeinflussbare äußere, mehr oder weniger natürlich vorgegebene Gesetzmäßigkeiten biologischer, kultureller oder systembedingter Art zurück und rechtfertigen ihn letztlich damit.
Diese Erklärungen sind für Greenpeace nicht akzeptabel, weil sie zur Untätigkeit verdammen, vor allem aber, weil sie Kriegstreiber und Kriegshetzer eher decken als entlarven. Plausibler und in aller Regel näher an der Realität sind Erklärungsansätze, welche die Kriegsursachen an konkreten materiellen Interessen und/oder Machtgelüsten festmachen oder aber an Auslösern wie Naturkatastrophen oder schlicht und einfach an der Machbarkeit, die sich durch die vorhandenen Waffen ergibt.
1. Kriegsquelle Mensch:
Theorien, die im einzelnen Menschen die Ursache von Kriegen sehen, führen Krieg auf einen in der Natur des Menschen liegenden Aggressionstrieb zurück. Es wird behauptet, der Mensch sei mit angeborenen aggressiven Trieben ausgestattet, die ihn zu Gewalt und Krieg verleiten. Aggressives und kriegerische Verhalten ist nach dieser These instinktgesteuert. Die These vom angeborenen Aggressionstrieb ist allerdings schon unter Psychologen umstritten, als Erklärungsansatz und zum Verständnis von Krieg ist sie sicher nicht hinreichend.
2. Kriegsquelle Kultur oder Religion:
Diese These ist insbesondere heute, im Zeitalter des so genannten Krieges gegen den Terror populär, weil ja Terrorismus in den Medien fälschlicherweise nahezu generell mit Islamismus gleichgesetzt wird. Hieraus wird ein so genannter Kampf der Kulturen hergeleitet. Es wird unterstellt, dass sich auf der Welt große Blöcke verschiedener kultureller Prägung und Religion unversöhnlich gegenüberstehen, was unabwendbar früher oder später zum Clash (Zusammenstoß) führen muss.
Eine abenteuerliche These, nicht nur, weil auch sie Krieg als unvermeidlich und naturgegeben darstellt, sondern auch, weil sie ignoriert, dass überall auf der Welt Menschen unterschiedlichster Kulturen so lange friedlich zusammenleben, bis sie von außen gegeneinander aufgehetzt werden. Nicht die unterschiedlichen Kulturen oder Religionen sind Kriegsgrund, sondern die Kriegshetze, die sich dieser Argumente bedient und oft den Hass bewußt erzeugt und sät.
Natürlich gibt es auch Konflikte, in denen diese Gründe wirklich eine Rolle spielen (und das gilt für alle hier aufgezählten Ursachen). Aber solche Konflikte sind in aller Regel räumlich eng begrenzt und die Ausnahme. Fast immer, wenn von ethnischen oder religiösen Spannungen oder einem dadurch angeblich hervorgerufenen Krieg die Rede ist, wurden die Spannungen vorher durch Hetze und Propaganda erzeugt, um einen Kriegsgrund zu liefern.
Ein besonders krasses und deutliches Beispiel ist der frühere Vielvölkerstaat Jugoslawien. Dort lebten jahrzehntelang viele Volksgruppen friedlich miteinander im selben Staat - bis ein großmachtbesessener und nationalistischer Anführer (der mittlerweile als Kriegsverbrecher angeklagte Ex-Präsident Milosevic) gezielt Hass säte und die Religionen und Volksgruppen gegeneinander aufhetzte.
Das Ergebnis: Wenn erst einmal Blut geflossen ist (und häufig sind Gewalttaten nachweislich bewusst provoziert) und dadurch tatsächlich Hass entstanden ist, erzeugt das weitere Gewalt. Die Gewaltspirale dreht sich, und der Vorwand für einen Krieg ist da. Genau dies ist oft das Ziel derer, die ethnische oder religiöse Spannungen herbeireden. Denn wenn sich die Gewaltspirale erst einmal dreht, gibt es nur schwer ein Zurück.
Dieses Muster wiederholt sich immer und immer wieder, ob auf dem Balkan, im Nahen Osten oder im Irak: Zum Krieg entschlossene Mächte, die auf friedlichem Wege ihre Interessen (zum Beispiel unbeschränkten Zugang zum Öl und anderen Ressourcen, oder auch das Zurückdrängen anderer Konkurrenten) nicht durchsetzen können, wollen den Krieg dann, wenn sie die Überlegenen sind und die Waffen haben. Diese Kriegsbefürworter sind nie die Völker oder die Menschen, sondern fast ausschließlich die Mächtigen im Hintergrund. (Siehe Kriegsquelle 4.)
3. Kriegsquelle internationales System:
Staaten sind prinzipiell souverän. Das heißt, sie unterliegen keiner höheren Instanz oder Weltregierung, die ihrem Handeln Grenzen setzt oder es miteinander in Einklang bringt. Aus dieser Sichtweise hat sich eine Vielzahl von Denkschulen entwickelt, die sich mit der komplizierten Struktur der internationalen Beziehungen befasst.
Die Auffassungen über die Gesetze dieser internationalen Beziehungen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Theorien, nach denen die Staaten völlig chaotisch - wie Billardkugeln auf dem Tisch - im Raum umherirren und in Verfolgung ihrer eigenen Interessen auch immer wieder kollidieren; bis hin zu Theorien, die die Staaten in bestimmte Strukturen eingebettet sehen, etwa in internationale Organisationen, die ihr eigennütziges Handeln in gewisser Weise dämpfen oder miteinander in Einklang bringen.
Nach Auffassung jener Theoretiker, für die Kriege in erster Linie durch die Struktur des internationalen Systems verursacht werden, müssen wir so lange mit Kriegen leben, wie eine allen Staaten übergeordnete Instanz fehlt. Dieser Instanz müssten Kontroll- und Machtinstrumente an die Hand gegeben werden, um Konflikte effektiv und friedlich zu lösen.
Die heutige UN hat bekanntlich nur sehr geringfügige eigene Machtmittel. Auch heutzutage setzen die Staaten - trotz UN - ihren Militärapparat nach eigenem Gutdünken ein. Viele Kriegsforscher sind der Ansicht, dass diese überwiegend chaotische Struktur des internationalen Systems den Ausbruch von Kriegen begünstigt.
Die Lage wird dadurch verschlimmert, dass Regierungen oder Staatenbündnisse die internationale Lage schlicht falsch einschätzen. So fühlen sie sich zum Beispiel (auch fälschlich) bedroht, weil sie sich auf unvollständige oder falsche Informationen über politische Absichten und die militärische Stärke eines Gegners verlassen. Die falsche Einschätzung der eigenen Sicherheitslage kann dann durchaus zu einem Militärschlag führen. Allerdings wird das Argument der eigenen Bedrohung häufig bewusst missbraucht: So erfand bekanntlich die Regierung des Präsidenten Bush eine unmittelbare Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, obwohl diese längst nicht mehr existierten. Man konstruierte schlicht eine akute Bedrohung (die smoking gun), um damit den gesuchten Vorwand für einen Militärschlag zu haben.
Abgesehen vom bewussten Missbrauch des Arguments der bedrohten Sicherheit (also eine Bedrohung heraufzubeschwören, die es nicht gibt), zeigt dies auch, wie enorm wichtig Sicherheitspolitik heute ist. Sicherheitspolitik sollte zum Ziel haben, die tatsächliche Bedrohung anderer und damit auch deren Angst vor Bedrohung zu verringern. Ein unverzichtbarer Schritt dahin ist der Abbau von Waffen, insbesondere von Atomwaffen - auch der eigenen (und der auf eigenem Staatsgebiet stationierten fremden Atomwaffen)!
4. Kriegsquelle Machtstreben und Bereicherung:
An der Spitze der Staaten stehen Entscheidungsträger, die aber keineswegs überall demokratisch legitimiert sind, die also von einer Bevölkerungsmehrheit gewählt und ihr gegenüber auch verantwortlich sind. In wirklich demokratischen Staaten sollten Profit und Machtstreben keine Kriegsgründe sein, denn die Mehrzahl der Menschen - und Wähler! - will keinen Krieg. (Hier drängt sich natürlich die Frage auf, wie demokratisch die westliche Welt, von der in der jüngsten Vergangenheit so viele Kriege ausgingen, wirklich ist - und wie friedlich Demokratien sind). Aber unabhängig davon, wie sie legitimiert sind: die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt bei den jeweiligen Politikern, Machthabern oder Eliten. Diese verfügen über die entsprechende ökonomische und politische Macht.
Natürlich können, wie oben beschrieben, auch schlichte Fehleinschätzungen zu verhängnisvollen Kriegsentscheidungen führen. Dies dürfte aber die Ausnahme sein. Eliten kommen oft direkt aus dem Umfeld großer wirtschaftlicher Machtbereiche. So rekrutiert sich nahezu die gesamte amerikanische Regierung aus dem Umfeld der Öl- und Energiepolitik. Hier wie in anderen Fällen ist offensichtlich, dass selbst demokratisch legitimierte Entscheidungsträger sich bei ihren Entscheidungen von den Interessen ihrer jeweiligen Geldgeber leiten lassen.
Zur Sicherung der materiellen Interessen bestimmter Eliten zählt, abgesehen vom unmittelbaren Profitstreben, auch die Machtpolitik, die ihrerseits ganz sicher ein wesentlicher Kriegsgrund ist. Darin spiegelt sich aber nicht nur die Angst vor der Überlegenheit der anderen. Man will einfach wirtschaftliche und politische Macht zementieren und, wenn möglich, weiter ausbauen, wenn man sie einmal hat.
Das kann, wie das derzeitige Beispiel amerikanischer Politik bedrohlich aufzeigt, bis hin zu Vorstellungen endgültiger Unverwundbarkeit um jeden Preis führen. Eine solche Denkweise gipfelt in überaus gefährlichen Ideen und Plänen, etwa jene der Weiterentwicklung und des denkbaren Einsatzes von Atomwaffen. Allerdings wäre es wohl zu einfach, innerhalb der Staaten einzelne Eliten- in Amerika etwa die Ölindustrie - allein für Machtstreben und Expansion verantwortlich zu machen. Auch innerhalb der Staaten gibt es Konkurrenz von gesellschaftlichen Gruppen um Ziele, um politische und wirtschaftliche Macht.
Aber in den meisten Fällen wurzeln Kriege in materiellen Interessen einflussreicher Gruppen. Diese versprechen sich von militärischer Gewaltanwendung einen unmittelbaren Gewinn und wirtschaftliche Vorteile. Das lässt sich nur schlecht als Kriegsgrund rechtfertigen - auch im eigenen Land - weil die Kriegsbeute, ob Öl, Absatzmärkte oder andere Ressourcen, kaum je gerecht verteilt wird. Wie auch bei gewöhnlichen Verbrechen üblich, geht der Löwenanteil der Beute an die Anführer, Machthaber, deren Unterstützer und Geldgeber.
5. Kriegsquelle Waffen:
Waffen sind nicht nur Mittel zur Kriegführung, sie sind auch Auslöser von Krieg. Alljährlich wird die unvorstellbare Summe von 900 Milliarden Dollar - davon knapp die Hälfte allein von den USA - für Rüstung ausgegeben. Das sind in jeder Stunde (!!!) 100 Millionen Dollar. Das allein macht deutlich, dass diese Waffenarsenale kaum allein der Sicherheit und der Verteidigung dienen.
Waffen sind eine Ware. Riesige Konzerne verdienen damit Geld. Sie bilden, gemeinsam mit hochrangigen Offizieren, Waffenhändlern und einigen Politikern, den so genannten militärisch-industriellen Komplex, vor dessen wachsender unlegitimierter politischer Macht schon Dwight D. Eisenhower 1961 in seiner Abschiedsrede als US-Präsident warnte. Dieser militärisch-industrielle Komplex profitiert von der tödlichen Produktion und hält sie in Gang, wenn nötig mit Schmiergeldern und einem riesigen schwarzen Markt. Das hat mit Verteidigung wenig zu tun. Auch sicherheitspolitisch sind Waffen grundsätzlich problematisch: Zwar sollen Waffen Sicherheit schaffen, aber was für die einen Sicherheit, ist für die anderen Bedrohung.
Gerade in jüngster Zeit erleben wir einen neuen weltweiten Schub in der Waffenentwicklung und Produktion. Das verrückte daran: Während immer mehr Waffen, Raketen und High-Tech-Systeme offiziell vor allem dem Kampf gegen den Terror dienen, richten sie sich gerade gegen Leute, die ihre Kriege oftmals mit einfachen Waffen führen. Es handelt sich um Einzeltäter, verbunden in Netzwerken, zu allem entschlossen.
Aber gerade mit gigantisch großen und teuren Waffensystemen sind sie kaum zu treffen. So entwickelt sich eine so genannte Asymmetrie, also ein immer größerer Gegensatz, zwischen den immer teureren und hochentwickelten Waffen der reichen Länder, und den vergleichsweise primitiven Waffen derer, die bekämpft werden.
Die intelligenten Raketen, unbemannten Flugkörper, HighTech-Helikopter und Bomben mit intelligenter Munition treffen eben nicht die terroristischen Einzeltäter, stattdessen aber fallen ihnen meist Zivilisten zum Opfer. Es erscheint nahezu selbstverständlich, dass der dadurch hervorgerufene Hass immer neue so genannte Terroristen erzeugt.
Die gefährlichsten Waffen sind immer noch die Atomwaffen. 2005 jährt sich zum sechzigsten Mal der Abwurf der ersten beiden Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, bei dem fast 200.000 Menschen sofort und weitere hunderttausend wenig später starben. Dennoch werden Atomwaffen nicht geächtet, sie werden sogar weiterentwickelt.
Die Atommächte weigern sich nach wie vor, ihre Atomarsenale zu verkleinern oder abzuschaffen. Während (vornehmlich die USA) andere Staaten, etwa Iran oder Nordkorea, mit Krieg bedrohen, weil diese ebenfalls nach Atomwaffen streben, weigern sie sich selbst, auch nur einen Schritt in Richtung nukleare Abrüstung zu gehen. Sie wollen eine zweigeteilte Welt, in der die einen das Recht auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen haben und die andern für immer dieser Bedrohung ausgesetzt und außen vor bleiben.
6. Kriegsquelle ökologische Katastrophen:
Schon im Altertum haben Veränderungen der Umwelt, verbunden mit Bevölkerungswachstum, immer wieder Kriege ausgelöst. Mangel an Ackerland, Trinkwasser oder Überschwemmungen von Siedlungsgebieten haben zwischen benachbarten Staaten zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt.
Eine ökologisch bedingte Verschlechterung der Lebensbedingungen und ebenso der Zugang zu den immer knapper werdenden Wasserreserven sind heute in vielen Regionen der Welt eine potentielle Kriegsursache. Der schwelende Streit zwischen Ägypten und Sudan über Dämme am Oberlauf des Nils, der Streit zwischen Indien und Pakistan um die Quellregionen des Ganges und Brahmaputra in Kaschmir oder die Quellgebiete des Jordan (die Golanhöhen) zwischen Israel und Syrien illustrieren diesen schleichenden, aber immer bedrohlicher werdenden Kriegsgrund.
Fazit: So unterschiedlich die kriegsauslösenden Faktoren sind, sie sind in den meisten Fällen keineswegs naturgegeben. Sie basieren meist auf dem Streben kleiner, aber mächtiger Eliten nach mehr Einfluss, wirtschaftlicher Macht oder Geld und Reichtum. Diese Eliten können Personen oder Gruppen innerhalb eines Staates sein, aber auch andere Gruppierungen, seien es bewaffnete Banden oder Warlords.
Dies alles bezieht sich nur auf die Auslösung von Kriegen. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, Kriege erst einmal stattfinden, ist es oft der Hass, der den weiteren Verlauf der Kriege bestimmt und seine Beendigung erschwert. Meist ist es dann nicht damit getan, die Kriegsursachen und -auslöser zu beseitigen.
Wie werden Kriege beendet?
Was auch immer der Kriegsauslöser war - Kriege haben eine lange Vorgeschichte. Diese Geschichte zu kennen, kann für die Beendigung eines Krieges enorm wichtig sein.
Kriege wurden und werden auf verschiedenen Wegen beendet. Ein Krieg kann bis zu Sieg oder Niederlage ausgekämpft werden. Ein Krieg kann auch durch Verhandlungen beendet werden. Um einen Krieg zu beenden, ist allerdings weit mehr notwendig, als nur die Kämpfe einzustellen. Oftmals ist es ein sehr langer Weg, denn der Krieg entwickelt seine eigenen Gesetze. Die eigentlichen Kriegsgründe sind oft vergessen, wenn der Krieg zu Ende geht. Dann spielen Emotionen wie Hass, Verzweiflung oder auch der Wunsch nach Distanz und Abgrenzung eine Rolle. Vielfach haben sich andere Wirtschaftsformen (Kriegswirtschaft) verselbstständigt und sind nicht mehr ungeschehen zu machen.
Es geht vor allem darum, Leben und Gesundheit der Menschen zu schützen und die Verwüstung oder Zerstörung des Kriegsgebiets rückgängig zu machen oder zu verhindern. Die gegnerischen Parteien müssen lernen, zukünftig gewaltfrei miteinander zu leben. Leider sind die Kriegsparteien dazu allein oft nicht fähig. Ihr Verhältnis zueinander ist nach einem Krieg meist noch schwieriger als davor.
Darum kommt es häufig zur Einbindung auswärtiger Personen oder Institutionen. Beispielsweise können friedenswillige gesellschaftliche Gruppen und Organisationen von außen unterstützt werden oder Dritte (ein Staatsmann, eine internationale Organisation) vermitteln zwischen den Kriegsparteien. Diese Form der "Einmischung" kann auch einen "Zwangscharaker" annehmen: Das geht vom Abbruch der diplomatischen Beziehungen, einer Wirtschaftsblockade (Embargo) bis hin zur militärischen Intervention.
Allerdings können derartige Maßnahmen nur von den UN veranlasst werden. Dies ist eine der Aufgaben des Sicherheitsrates der UN. Dessen fünf ständige Mitglieder (das sind die Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) und weitere zehn im Zweijahresrythmus wechselnde Mitglieder sollen laut UN- Charta (Art. 24) ...ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen gewährleisten...".
Kriege sind, auch wenn sie oft nur regional sind, eine Bedrohung des Weltfriedens. Ihre Beendigung ist eine der zentralen Aufgaben der Weltgemeinschaft, also in erster Linie der UN. Die UN-Charta hat eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, um Kriege und kriegerische Konflikte zu beenden.
Ein Embargo soll die Regierung eines Staates durch wirtschaftliche Mittel dazu zwingen, einen Krieg zu beenden. Allerdings bekommt in der Regel zuerst die Zivilbevölkerung die Folgen eines Embargos zu spüren. Elend, Armut, Hunger und Krankheit sind oft die Folgen. Die politischen und militärischen Eliten können sich meist den Folgen entziehen. Das macht ein Embargo zwiespältig.
Aus diesem Grund ist man in den letzten Jahren zunehmend zu so genannten intelligenten Sanktionen (smart sanctions) übergegangen, die vor allem die politische Führung eines Landes treffen sollen - etwa ein Embargo gegen Waffen, Rüstungsnachschub etc.. Maßnahmen dieser Art, ob Embargo oder Sanktionen, können legal nur im Auftrag der UN beschlossen und durchgeführt werden.
Die Eignung von Kampfeinsätzen zur Kriegsbeendigung ist allerdings umstritten, vor allem bei Bürgerkriegen wird bezweifelt, dass militärische Einsätze wirksam sind. Vorbeugende militärische Maßnahmen sind, ebenso wie Interventionen aus humanitären Gründen, nicht vorgesehen.
Was ist eigentlich Frieden?
Ebenso wie für Krieg gibt es auch für Frieden keinen unumstrittenen Begriff, keine allgemein anerkannte Erklärung. Nach landläufigem Verständnis herrscht Frieden, wenn keine organisierte Gewalt mit militärischen Mitteln ausgeübt wird, wenn also kein Krieg geführt wird.
Dieser so genannte negative Friedensbegriff ist aber eine sehr verkürzte und unzulässig vereinfachte Vorstellung von Frieden. Es entspräche kaum unseren Vorstellungen von Frieden, wenn zwar kein Krieg herrscht, aber eine Supermacht die Menschheit nach eigenem Gutdünken dominiert und bevormundet. Verhältnisse also, die man nicht als Frieden, eher schon als Grabesruhe bezeichnen könnte. Es ist notwendig, den Friedensbegriff weiter zu fassen. Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg.
Nach einem umfassenderen Verständnis, das auch Greenpeace teilt, leben wir dann im Frieden, wenn weder Krieg geführt wird noch Verhältnisse struktureller Gewalt vorliegen. Im Sprachgebrauch der Friedensforscher ist dies der so genannte positive Friedensbegriff.
Als strukturelle Gewalt bezeichnet man einen Zustand sozialer Ungerechtigkeit, in dem aufgrund ungleicher Machtverteilung die Menschen ungleiche Lebenschancen besitzen oder am Erreichen ihrer Ziele durch die Verhältnisse gehindert werden. Beispielsweise, wenn die Kinder reicher Eltern studieren können, um Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler zu werden; die Kinder armer Eltern aber nur vier Jahre zur Schule gehen können und keinerlei Chance auf besondere Bildung und sozialen Aufstieg haben - trotz gleicher Begabung. Oder wenn Frauen mehr arbeiten als Männer, dabei aber, bei gleicher Arbeit, weniger Geld bekommen.
Noch krasser ist die strukturelle Gewalt dann, wenn der Großteil einer Bevölkerung sehr arm ist, die herrschenden Eliten jedoch im Luxus leben. Weltweit betrachtet ist nach diesem Verständnis auch die heutige Weltwirtschaftsordnung von struktureller Gewalt geprägt. Schließlich verbraucht ein kleiner Teil der Weltbevölkerung in den industriell entwickelten Ländern den bei weitem größten Teil der Ressourcen, lebt im Überfluss und produziert den meisten Abfall, während die schwach entwickelten Länder, in denen weit mehr Menschen leben als in den Industriestaaten, mit dem Problem des Hungers und der Zerstörung ihrer Umwelt zu kämpfen haben.
Frieden, im Sinne des positiven Friedensbegriffs, bedeutet, dass wir gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und ökologische Strukturen verändern müssen. Ohne soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, ohne Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und Selbstverwirklichung, aber auch ohne intakte Umwelt wird es keinen Frieden geben.
Friedenssicherung - ist das möglich?
Der Versuch, Frieden zu schaffen, ist dennoch keine Illusion. Frieden in einer Welt, die vor Hass, Waffen und Ungerechtigkeit starrt, ist überlebensnotwenig. Frieden ist nicht nur ein schöner Traum , Frieden ist die einzige Möglichkeit, der Menschheit weiterhin das Überleben zu sichern. Allerdings wird das nicht einfach sein und auch nicht schnell gehen. Ein solches Vorhaben bedarf enormer Anstrengungen.
Dabei gibt es schwierige und etwas weniger schwierige Schritte. Es ist nur schwer zu sagen, was zuerst und was erst später passieren soll, wir müssen auf den verschiedensten Ebenen unser Verhältnis zur Gewalt verändern. Das betrifft den einzelnen Menschen genauso wie Staaten oder das internationale System. Alle müssen lernen, auf Gewalt schrittweise zu verzichten.
Wir müssen unseren Teil zu dieser Entwicklung beitragen, sie fängt beim einzelnen Menschen - also bei uns - an. Das kann heißen, dass man die eigenen Umgangsformen unter die Lupe nimmt, dass man Freunden und Mitschülern hilft, gewaltfrei miteinander umzugehen, zusammen statt gegeneinander zu arbeiten. Das ist schwer in einer Gesellschaft, in der derjenige ein hohes Prestige hat, der allen andern demonstriert, dass er reicher, besser, erfolgreicher ist. Es geht aber nicht darum, wer der Bessere ist, es geht darum, die Unterschiede zu akzeptieren und damit die unterschiedlichen Stärken zu erkennen.
Man sollte sich auch dafür einsetzen, im Unterricht in der Schule über das Thema Frieden und Friedensicherung zu sprechen. Im Rahmen der Friedenserziehung sollten Feindbilder und deren Entstehung hinterfragt werden. Es sollte auch darüber diskutiert werden, wie sie abgebaut werden können. Denn erst wenn jeder in seinem Gegenüber einen gleichberechtigten Partner oder eine gleichberechtigte Partnerin sieht, kann man sich differenziert auseinandersetzen und bei Interessenunterschieden konstruktiv nach Kompromissen suchen.
Das gilt prinzipiell auch für die Ebene der Staaten, allerdings haben wir als einzelne Menschen da weit weniger Möglichkeiten, etwas zu verändern: Doch wir können uns organisieren und gemeinsam mit anderen den Politikern unsere Forderungen vortragen. Durch die internationale Greepeace-Kampagne für Frieden und Abrüstung etwa sollen verschiedene Forderungen transportiert und durchgesetzt werden: Die derzeit wichtigste ist die schrittweise Reduzierung der Waffenarsenale.
Diese Forderung richtet sich natürlich in erster Linie an die, für die Rüstung Macht und Geld bedeutet. Es ist die Aufgabe auch unserer deutschen Politiker, die Forderung nach Abrüstung und nach Abbau der Atomwaffen lautstark und unüberhörbar zu stellen. Auch die Drohung des Einsatzes von Atomwaffen muss von ihnen öffentlich verurteilt und angeprangert werden. Wir, die Bürger eines demokratischen Landes, können und müssen unsere Politiker immer wieder an diese Aufgabe erinnern.
Sind Demokratien friedlich?
Es ist allgemeine Überzeugung, dass Demokratien weit weniger kriegsgefährlich sind als Diktaturen. Und es ist empirisch belegt, dass Demokratien untereinander praktisch nie Kriege führen. Das lässt den Schluss zu, dass Gewalt in heutigen Demokratien eine weit geringere Rolle spielt als bei anderen Regierungsformen. Dies gilt sowohl für die Regelung von Konflikten innerhalb der Gesellschaft als auch nach außen für jene zwischen den Staaten.
Demokratische Staaten neigen eher dazu, ihre Interessen mit wirtschaftlichen Mitteln durchzusetzen als mit physischer Gewalt. Das das nicht immer so ist, sondern dass auch Demokratien dann, wenn sie das für den erfolgversprechendsten Weg halten, offene Gewalt einsetzen, hat der Irakkrieg schmerzlich in Erinnerung gerufen. Aber: der gewaltsame Export von Demokratie kann keine Lösung für das Problem der Kriege auf der Welt sein.
Im Gegenteil: Gewalt ist ein außerordentlich untaugliches Mittel, anderen Staaten die Demokratie nahe zu bringen. Die Menschen müssen eine Demokratie wollen, sie müssen die Vorzüge der Demokratie erfahren, und sie freiwillig einführen. Wenn das, was Menschen weltweit mit Demokratie in Verbindung bringen, vor allem Bomben, Kriegsdrohungen, uneinholbare militärische Übermacht und Zerstörung sind, kann man kaum erwarten, dass sie diese Staatsform sympathisch finden.
Wir haben allen Grund, unser eigenes (staatliches) Handeln in Frage zu stellen. Ist das, was wir anderen Ländern, seien es Diktaturen oder so genannte Schurkenstaaten, bringen, wirklich die Demokratie? Steht nicht meist der Wunsch nach Ausbeutung, nach Zugang zum Öl, nach Zementieren von Vorherrschaft im Vordergrund, und keineswegs die Demokratie? Es stimmt nachdenklich, wenn man sieht, dass Demokratien zwar untereinander praktisch keine Kriege mehr führen, aber mehr und mehr Kriege in der Neuzeit von Demokratien ausgingen - wenn auch gegen Nicht-Demokratien -, mal versehen mit dem Etikett der Humanitären Intervention, mal ganz offen als Weltordnungskriege mit dem erklärten Ziel, Anderen unsere Werte gewaltsam nahe zu bringen.
Die wichtige Rolle der Vereinten Nationen (UN)
Da Kriege auch auf die ungleiche Verteilung von Wirtschaftsgütern und Lebenschancen zurückgeführt werden, muss man international für gerechtere gesellschaftliche Verhältnisse sorgen. Die reichen Staaten sollten den armen mehr und bessere Chancen geben. Um ökologischen Katastrophen und den dadurch ausgelösten Konflikten vorzubeugen, muss auf lokaler und regionaler Ebene den betroffenen Menschen konkret geholfen werden. Um die Vorstellungen eines positiven Friedens umsetzen zu können, brauchen wir eine weltweit anerkannte, legitimierte und mit entsprechender Macht ausgestattete internationale Organisation. Eine solche Organisation könnten die Vereinten Nationen (UN) sein. Doch die UN ist nur so stark, wie ihre Mitglieder (die souveränen Staaten) dies wollen und zulassen.
In der Vergangenheit hat es der UN oft an Durchsetzungskraft gefehlt. Ein entscheidender Grund dafür ist die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedstaaten, auf einen Teil ihrer Souveränität und Handlungsfreiheit zugunsten der UN zu verzichten und nationale Interessen den internationalen unterzuordnen.
Vor allem die fünf Ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat haben häufig Beschlüsse durch das Einlegen eines Vetos (also die Blockierung einer Mehrheitsmeinung durch eigenen Widerspruch) verhindert, oftmals aus egoistischen und machtpolitischen Bestrebungen oder bündnispolitischen Rücksichten.
Wie sich am Beispiel des Irak-Kriegs gezeigt hat, schrecken einzelne Länder nicht davor zurück, selbst klare Beschlüsse der UN zu ignorieren. Gegen den Irak haben die USA und Großbritannien (mitsamt der so genannten Koalition der Willigen) ihre Streitkräfte in einen Angriffskrieg geführt, der völkerrechtswidrig war. Die Zusammensetzung des Sicherheitsrates, insbesondere der Ständigen Mitglieder in Gestalt der fünf Atommächte ist veraltet und undemokatisch. Sie bedarf dringend einer Reform, insbesondere durch mehr und häufiger wechselnde Mitglieder.
Wo es der Großmachtpolitik des jeweiligen Staates dient, wird die UN-Politik laut und eindrucksvoll beschworen. Wo sie aber die eigene Handlungsfreiheit begrenzt, wird sie als lästig betrachtet, ignoriert oder sogar, wie im Falle der USA und des Irak-Krieges, als unfähig und überflüssig der Lächerlichkeit preisgegeben. Wer so leichtfertig mit dem Völkerrecht spielt, untergräbt einen zentralen Mechanismus internationaler Konfliktregelung und Kriegsverhinderung.
Eine Reform der UN könnte sie künftig befähigen, mit mehr Erfolg zur Verhütung, Eindämmung und Beendigung von Kriegen beizutragen. Doch die Umsetzung stößt auf dieselben Schwierigkeiten, die die UN schon heute daran hindert, ihren Auftrag zu erfüllen. Besonders die großen Mächte sind nicht bereit, Teile ihrer Souveränität auf die UN zu übertragen und behindern diesen Prozess. Auch bei der jetzt diskutierten - und notwendigen - Reform der UN steht leider wieder Machtpolitik im Zentrum. Auch in Zukunft wird vermutlich der Missbrauch von "humanitären Interventionen" zugunsten von Großmachtpolitik nicht aufhören.
Eine wichtige Forderung in diesem Zusammenhang ist, dass die Entscheidungen des Sicherheitsrates - oft fälschlich als Weltregierung bezeichnet - einer höheren richterlichen Instanz unterliegen. Denn die Entscheidungen des Sicherheitsrates sind notgedrungen von den nationalen Interessen der wenigen Mitglieder dieses Gremiums geprägt und letztlich ein machtpolitischer Kuhhandel.
Zu einer demokratischen Verfassung - die für eine in Zukunft stärkere UN gelten muss - gehört die Gewaltenteilung. Entscheidungen der Regierung (also des Sicherheitsrates) sollten sowohl vom Parlament (im Weltmaßstab also der UN-Vollversammlung) als auch von einem obersten Gericht revidiert werden können. Solange Entscheidungen des Sicherheitsrates nicht in Frage gestellt und notfalls revidiert werden können, hat die Weltregierung eine schwache Glaubwürdigkeit. Der Sicherheitsrat muss weg vom Prinzip des Kuhhandels. Wir brauchen eine UN und einen Sicherheitsrat, deren Entscheidungen auf demokratischer Basis fallen, und die dadurch international geachtet und beachtet werden.
V.i.S.d.P. Wolfgang Lohbeck, Stand Februar 2005