Tauwetter am Polarkreis
- Hintergrund
2008 schritt die Klimaerwärmung in der Arktis erstmals fast doppelt so schnell voran wie im globalen Durchschnitt. Zwei Grad Celsius mehr misst man dort, während es im globalen Mittel 0,57 Grad sind. Die fatalen Folgen: Das Eis schmilzt viel schneller als selbst in den konservativsten Klimaszenarien erwartet wurde. Jahresvergleiche des Sommereis-Minimums machen die Dramatik deutlich.
Mit der Eisschmelze kommt eine weitere Gefahr auf die Arktis zu, denn der klimabedingte Eisrückgang gibt den darunterliegenden Meeresboden frei. In diesem werden riesige Öl- und Gasvorkommen vermutet - eine geschätzte Menge so groß wie die gesamten Restvorkommen in Saudi-Arabien und Kanada zusammen. Das heizt die Gier der Arktis-Anliegerstaaten wie auch die zahlreicher anderer Länder an. Werden diese Rohstoffe abgebaut und genutzt, heizt sich das Klima weiter auf - ein Teufelskreis.
Um Zugriff auf die Rohstoffe zu erhalten, melden Anliegerstaaten bereits Ansprüche auf den Bereich der Arktis an, der als sogenanntes Gemeingut uns allen gehört. Einen Vorgeschmack lieferte Russland: Mit Hilfe eines U-Boots setzte es im August 2007 eine russische Flagge auf den Meeresgrund am Nordpol. Dieses Vorgehen ist rechtlich nicht relevant. Doch es zeigt, wie ernst die Staaten es meinen.
Brisantester Streit ist der um den Lomonossov-Rücken zwischen Dänemark (Grönland) und Russland - einem Berg auf dem Meeresboden, der sich von Sibirien nach Grönland zieht. Welches Land beweisen kann, dass dieser Rücken zu seinem Festlandsockel gehört, bekommt ein großes Stück des Kuchens. Damit verändern sich die Grenzen der Wirtschaftszonen und somit die Nutzungsrechte für Rohstoffe massiv.
Es scheint verrückt, in dieser unzugänglichen Region Bodenschätze abbauen zu wollen. Aber die Pläne der Anliegerstaaten sind offensichtlich und auch das plötzliche massive Interesse von Nicht-Anliegerstaaten an der Arktis lässt nichts Gutes vermuten.
Auch die Fischvorkommen in der Arktis wecken Begehrlichkeiten. Durch das Schmelzen des Eises werden neue Fischvorkommen zugänglich, hoch industrialisierte Fangflotten werden immer tiefer in die arktischen Gewässer vordringen. Parallel ist dort ein Anstieg des Schiffsverkehrs zu erwarten, wenn die Nord-West- und die Nord-Ost-Passage durch Eisfreiheit zu Frachtrouten werden. Das lässt die Wahrscheinlichkeit von Tankerunglücken steigen, die eine riesige Bedrohung für das noch weitgehend intakte Ökosystem sind.
Um die Arktis zu bewahren, brauchen wir starke politische Entscheidungen. Die Klimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen muss drastische Schritte zur Treibhausgasreduktion beschließen. Für den arktischen Ozean sind darüber hinaus weitere Schritte notwendig: Speziell der Bereich, der bisher von Eis bedeckt war, muss vor Rohstoffausbeutung bewahrt werden - ganz gleich ob es Fisch-, Öl- oder Gasvorkommen sind. Das ist das Mindeste! Ein Moratorium muss so lange in Kraft bleiben, bis ein rechtsverbindliches Rahmenwerk verabschiedet ist, das den Schutz und die nachhaltige Nutzung des arktischen Ozeans gewährleistet.