Verbraucherschutz geht vor
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit schützt die Gentechnik-Industrie statt die Verbraucher:innen.
Interview mit Dirk Zimmermann, Greenpeace-Experte für Gentechnik
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Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit schützt die Gentechnik-Industrie statt die Verbraucher:innen.
Eigentlich trägt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) seinen Auftrag schon im Namen. Schaut man sich das Vorgehen der Behörde bei der Überwachung der Agro-Gentechnik näher an, drängt sich allerdings der Verdacht auf, das BVL widme sich lieber dem Schutz der Gentechnik-Industrie als dem Schutz der Verbraucher:innen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der E-Mail-Verkehr zwischen dem BVL und der nordamerikanischen Firma Cibus, der Greenpeace nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) zur Verfügung gestellt werden musste. Das hat auch den Spiegel auf das Thema aufmerksam gemacht. Mehr zum merkwürdigen Vorgehen der Behörde im Interview mit Dirk Zimmermann, Experte für Landwirtschaft und Gentechnik bei Greenpeace.
Greenpeace: Was belegen die Unterlagen, die du dir aushändigen lassen hast?
Dirk Zimmermann: Das BVL tauscht sich seit Jahren sehr regelmäßig mit Cibus aus. So fragte die Behörde beispielsweise das Unternehmen um Erlaubnis, wenn es eigene Untersuchungen veröffentlichen wollte, und warnte vor Kampagnen von NGOs wie dem „Verband Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG), der im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) das „ohne Gentechnik“-Siegel vergibt.
Das war aber nicht das erste Mal, dass das BVL die Firma Cibus unterstützte?
Nein, im Jahr 2015 erteilte die Behörde Cibus einen Freifahrtsschein für die Aussaat eines herbizidtoleranten Gen-Rapses. Bei dem „Cibus-Raps“ handelt es sich um eine Pflanze, die mit „neuer Gentechnik“, einem sogenannten Genom-Editierungs-Verfahren, erzeugt wurde. Cibus hat es damals bei den zuständigen Behörden vieler EU-Staaten versucht und fand im BVL schließlich den kooperationswilligsten Partner.
Warum landete der Raps dann doch nicht auf den Feldern?
Wir gingen damals gemeinsam mit anderen Verbänden juristisch gegen eine mögliche Aussaat vor, dies verhinderte zunächst die Aussaat. Nachdem der Europäische Gerichtshofs 2018 klarstellte, dass Verfahren des Genome Editings als Gentechnik einzustufen und zu regulieren sind, musste das BVL seine Aussaaterlaubnis schließlich zurückziehen.
Es gibt Menschen, die für eine Deregulierung neuer Gentechnik-Verfahren sind, auch weil der Nachweis genom-editierter Pflanzen im Labor so schwierig ist.
Aus diesem Grund haben wir in den letzten Jahren gemeinsam mit anderen Verbänden an einer Methode gearbeitet, die den Labornachweis von Cibus-Raps ermöglicht. Anfang September 2020 wurde das Ergebnis wissenschaftlich publiziert und öffentlich verfügbar gemacht – die erste Nachweismethode für eine genom-editierte Pflanze, die nun den Nachweis von illegalem Gen-Raps in Importen aus den Anbauländern USA und Kanada möglich macht.
Wie reagierte das BVL darauf?
Es veröffentlichte schnell eine Stellungnahme, in der es unter anderem kritisierte, das Verfahren könne die angewandte gentechnische Methode nicht nachweisen. Diesen Anspruch hatte das Testverfahren allerdings auch nie gehabt, für den sicheren Nachweis des Gen-Rapses ist dies auch nicht notwendig. Aus den Dokumenten, die uns jetzt vorliegen, geht hervor, dass das BVL schon früher von unserer Veröffentlichung wusste. Es hätte also eigentlich noch schneller reagieren können. Doch das Amt holte sich dafür erst noch das Einverständnis von Cibus ab.
Ein recht ungewöhnlicher Vorgang, wenn man bedenkt, dass es die Aufgabe des BVL ist, Firmen wie Cibus zu kontrollieren und ihnen nicht hinterherzulaufen.
Allerdings. Auch die Überwachung von Gentechnik in Saatgut und Lebensmitteln fällt in den Zuständigkeitsbereich der Behörde, sie sollte demnach ein Interesse an der Entwicklung von Nachweisverfahren haben. Zumal es dem BVL bislang nicht gelungen ist, selbst eine Analysemethode zu entwickeln. Die Verantwortlichen hätten also durchaus dankbar für die Initiative und Forschungsergebnisse von Greenpeace und VLOG sein können. Stattdessen gab sich das BVL aber alle Mühe, die vorgelegte Methode abzuqualifizieren. Besonders kurios ist dabei, dass das BVL dem BMEL unterstellt ist, das wiederum VLOG mit der Umsetzung der „ohne Gentechnik“-Siegel-Lizenzierung beauftragt. Das BVL und VLOG sollten also an einem Strang ziehen. Dass die Interessen eines amerikanischen Biotech-Unternehmens dem BVL wichtiger zu sein scheinen als die von VLOG und den Verbaucher:innen verwundert da umso mehr. Ich kann nur vermuten, dass die Weisungen von höherer Stelle im Bundeslandwirtschaftsministerium kommen, in dem aktuell eine sehr gentechnikfreundliche Einstellung vorherrscht.