„Wir brauchen eine Umverteilung”
- Im Gespräch
Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser spricht im Interview vor der Wir-haben-es-satt-Demo über die Bedeutung einer klimagerechten Agrarwende.
Greenpeace: Als Cem Özdemir (Die Grünen) vor einem guten Jahr zum Landwirtschaftsminister ernannt wurde, hatten viele Menschen die Hoffnung, dass endlich eine sozial-gerechte, ökologische Agrarwende angeschoben wird. Was ist seitdem passiert?
Martin Kaiser: Cem Özdemir hat die Herausforderungen der Landwirtschaft sehr klar benannt. Er war dabei ehrlicher als seine Amtsvorgänger:innen, hat beispielsweise die Debatte vorangetrieben, dass Getreide auf den Teller und nicht in Tank und Trog gehört. Und er hat unsere Forderung aufgenommen, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Nahrungsmittel zu senken. Doch zwischen den Ankündigungen und dem konkreten Handeln dieser Regierung klafft noch eine große Lücke. Özdemir hat vieles richtig benannt, manches angeschoben - doch bislang ist noch wenig gelungen.
Was bedeutet das für die Zukunft der Landwirtschaft?
Solange es bei Absichtserklärungen bleibt, verlieren wir wertvolle Zeit. Wir brauchen dringend eine klimagerechte Agrarpolitik, damit sich die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich schließt. Wir haben schon in den vergangenen Jahren einen Eindruck davon bekommen, welche verheerenden Auswirkungen es auf die Landwirtschaft und die Ernährung hat, wenn die Klimapolitik vernachlässigt wird. Verfehlen wir das 1,5-Grad-Ziel, wird alles noch schlimmer.
Was müsste der Minister tun, damit seine Amtszeit im Rückblick nicht als verlorene Zeit für den Klimaschutz bewertet wird?
Özdemir muss den vielen richtigen Worten seines ersten Amtsjahres jetzt Taten folgen lassen. Als verantwortlicher Bundesminister steht er in der Pflicht, die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes umzusetzen, die auch für den Agrarsektor gelten. Die Klimaziele sind nur mit deutlich weniger Tieren in der Landwirtschaft zu erreichen. Erst wenn der dafür notwendige Umbau der Landwirtschaft gelungen ist, kann Deutschland 2045 klimaneutral werden.
Werden dann noch alle satt?
Wenn wir weniger tierische und mehr pflanzliche Produkte essen, werden wir nicht nur alle satt, sondern viele von uns ernähren sich auch noch gesünder. Denn im Schnitt konsumieren wir in Deutschland immer noch fast doppelt so viel Fleisch, wie gesundheitlich empfehlenswert wäre. Klar ist aber auch, dass eine ökologische Produktionsweise, die Klima und Umwelt schont und damit Kosten für uns alle vermeidet, einen Wert hat, der auch bezahlt werden muss. Landwirtinnen und Landwirte haben für ihren Einsatz faire Preise verdient. Aufgabe des Staates ist es, auch Menschen mit wenig Geld den Zugang zu gesunden und ökologisch verträglich hergestellten Produkten zu ermöglichen. Deshalb fordern wir gemeinsam mit 100 anderen Organisationen die Bundesregierung auf, einen 6-Punkte-Plan für die sozial-gerechte Agrarwende umzusetzen. Wir brauchen eine Umverteilung in dieser Gesellschaft, um gutes Essen für alle zu ermöglichen.
Wie könnte eine Umverteilung, die gutes Essen für alle ermöglicht, aussehen?
Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer zu befreien, könnte ein erster Schritt und ein wichtiger Baustein der anstehenden Transformation sein. Damit würden die Verbraucher:innen nach Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) jährlich um 4 Milliarden Euro entlastet. Zugleich wäre das extrem gut investiertes Geld in die Gesundheit der Menschen und eine ökologische Agrarwende.
Wie könnte solch eine Maßnahme finanziert werden?
Im Moment werden tierische Nahrungsmittel steuerlich begünstigt, was zu einem Überkonsum von Fleisch und Milchprodukten führt und hohe Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung zur Folge hat. Das ist nach Einschätzung des Umweltbundesamtes (UBA) eine umweltschädliche Subvention. Mit der Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gehen uns jährlich 5 Milliarden Euro verloren. Zugleich verursacht die Tierhaltung sogenannte externe Kosten durch Umwelt- oder Klimaschäden, für die die Erzeuger:innen und Konsument:innen nicht aufkommen. In Deutschland addieren sich diese Kosten auf rund 6 Mrd. Euro im Jahr. Es gäbe also genug finanziellen Spielraum für eine Steuerreform, die Anreize für eine klimaverträgliche Ernährung bietet und zugleich dazu beiträgt, den Zugang zu gesunden und nachhaltig erzeugten Lebensmitteln für alle zu sichern.
Wie kann der Druck auf die Politik erhöht werden?
Indem wir gemeinsam in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis eine sozial gerechte Agrar- und Ernährungswende einfordern. Dazu müssen wir am kommenden Samstag mit vielen Menschen bei der Wir-haben-es-satt-Demo auf die Straße gehen. Es gibt mir Hoffnung, dass sich zurzeit so viele Leute für konsequenten Klimaschutz und einen echten Politikwechsel einsetzen. Das haben wir in den vergangenen Wochen in Lützerath beim Kampf für das 1,5 Grad Ziel erlebt und dieses Engagement müssen wir jetzt auch in Berlin zeigen, um die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen.