Bilanz von 16 Jahren CDU/CSU-Agrarpolitik
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Seit 2005 führen Unionspolitiker:innen das Bundeslandwirtschaftsminsterium. Landwirt:innen, Klima und Umwelt sind die Verlierer:innen dieser Ära des Stillstands.
Horst Seehofer (CSU) machte 2005 in der ersten Amtszeit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel den Anfang – es folgten Ilse Aigner (CSU), Hans-Peter Friedrich (CSU), Christian Schmidt (CSU) und die seit Frühjahr 2018 amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). 16 Jahre hat die Union durchgehend die politische Verantwortung für das Agrarressort getragen - und das Resultat ist verheerend. „Es gibt nur wenige Ministerien, in denen der Stillstand seit Jahren so unbeirrt verwaltet wird wie im Bundeslandwirtschaftsministerium”, resümiert Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter im Greenpeace-Report „Agrarpoltik im Stillstand”. „Kurz vor der Bundestagswahl 2021 ist die Landwirtschaft in Deutschland in keinem guten Zustand. In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als 35.000 Betriebe aufgegeben.”
Nicht nur die Landwirt:innen sind die Verlierer:innen der Merkel-Jahre. Auch Umwelt, Klima und Artenvielfalt auf dem Land haben unter der Agrarpolitik der Unions-Minister:innen gelitten, deren Ergebnisse und Versäumnisse Greenpeace in dem heute vorgelegten Report analysiert:
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Bei der Durchsetzung geltenden Tierschutzrechts in der industriellen Fleischerzeugung ist zuletzt Julia Klöckner auf ganzer Linie gescheitert. Mit Tricksereien ließ sie die Übergangsfristen bei der beengten Sauenhaltung im Kastenstand verlängern. Statt mit einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung für Transparenz für Verbraucher:innen zu sorgen, scheiterte die Ministerin mit ihrem Versuch, ein freiwilliges Label einzuführen. Die verbandsübergreifend erarbeiteten Empfehlungen der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung wurden von ihr nicht umgesetzt. Der Lebensmitteleinzelhandel reagierte auf Klöckners Verzögerungspolitik mit der Einführung einer eigenen Kennzeichnung und der Ankündigung, Billigfleisch aus schlechter Haltung aus dem Sortiment zu nehmen.
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Nach jahrzehntelanger Untätigkeit des Bundeslandwirtschaftsministeriums brauchte es eine erfolgreiche Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland und zwei Novellen der Düngeverordnung, um die seit 1991 geltende EU-Nitratrichtlinie zum Schutz des Grundwassers durchzusetzen. Und ob die in diesem Jahr in Kraft getretene Nachbesserung ausreicht, ist fraglich – im Juni hat die EU-Kommission bereits weitere Nachbesserungen angemahnt.
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Weiterwursteln wie bisher und weiter Vorfahrt für die industrielle Tierhaltung – das ist die Devise aller Unions-Agrarminister:innen beim Klimaschutz. Dabei werden die Klimaziele in der Landwirtschaft ohne einen deutlichen Abbau der Tierzahlen nicht zu erreichen sein, schließlich kommen rund 70 Prozent der Treibhausgasemissionen in diesem Sektor aus der Tierhaltung und der Futterproduktion. Das Ergebnis: Das Emissionsniveau stagniert seit Jahren, mit den Versäumnissen der vergangenen Jahre steigt der Druck, beim Klimaschutz endlich zu handeln. Doch den landwirtschaftlichen Betrieben, die sich den Herausforderungen der Klimakrise stellen müssen, fehlen klare Perspektiven und verlässliche Rahmenbedingungen.
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Wiederholte Warnungen aus der Wissenschaft haben die Spitze des Bundeslandwirtschaftsministeriums in den vergangenen Jahren ebenso wenig erreicht wie die Appelle hunderttausender Bürger:innen in Volksbegehren, die endlich entschiedenes Handeln im Kampf gegen das Insektensterben forderten. Klöckners Vorgänger Christian Schmidt stimmte der verlängerten Zulassung von Glyphosat auf EU-Ebene 2017 im Alleingang zu und scherte sich nicht um die in der Großen Koalition vereinbarte Enthaltung. Klöckner hält sich in der Auseinandersetzung um das Insektenschutzgesetz an die Linie ihrer Vorgänger:innen: Für die Minister:innen von CDU und CSU hat die Sicherung der Interessen der Agrarindustrie stets Vorrang vor der Bewahrung der Schöpfung.
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Am wohl dramatischsten Versäumnis der europäischen Agrarpolitik in diesem Jahrzehnt hat Julia Klöckner im Zusammenspiel mit führenden Unions-Abgeordneten im Europäischen Parlament maßgeblich mitgewirkt: Die Chance, mit der Reform der EU-Agrarförderung einen echten Systemwandel einzuleiten, wurde vertan. Statt Landwirt:innen mit gezielter Förderung im Kampf gegen das Artensterben und beim Erreichen der Klimaziele zu unterstützen, werden die Subventionen in Höhe von 387 Milliarden Euro weiter vor allem nach dem Prinzip verteilt: Der größte Acker bekommt das meiste Geld. Klöckner begnügt sich mit ein wenig Greenwashing, um die allzu bescheidenen Ambitionen zu kaschieren.
Fazit: Die agrarpolitische Strategie der CDU/CSU ist nicht aufgegangen. Die jahrelange Politik des Verzögerns und Schönredens hat die Proteste der Landwirt:innen befeuert. Ihre ungenierte Klientelpolitik für die Agrarindustrie kann die Union nicht länger fortsetzen, weil Verbraucher:innen genauer hinschauen, wenn sie Lebensmittel konsumieren. Eine Erzeugung, bei der Tiere gequält und Umwelt- und Klimaschäden angerichtet werden, verliert an gesellschaftlicher Akzeptanz und damit auch an Zustimmung bei den Wähler:innen.
Die neue Bundesregierung muss endlich die längst überfällige Agrarwende einleiten, lautet das Resumee des Greenpeace-Reports: Mit einer Agrarpolitik, die mit dem Umwelt- und Naturschutz kooperiert, statt ihn zu bekämpfen, die Landwirt:innen und Verbraucher:innen zusammenführt, die eine europäische Vision hat und innovative Wege geht.