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Hologramm-Demo vor dem Bundestag in Berlin
Daniel Müller / Greenpeace

Greenpeace-Studie zur EU-Agrarreform / Hologramm-Demo

Die Hälfte der EU-Subventionen für die Landwirtschaft könnten für Klima- und Umweltschutz eingesetzt werden. Dafür müssen Agrarministerinnen und -minister jetzt die Weichen stellen.

Update 5. Februar 2021

Mehr als 200.000 Menschen gingen gestern im Berliner Regierungsviertel für die Agrarwende auf die Straße – virtuell, versteht sich. Möglich war das über eine Hologramm-Technik. Die Teilnehmenden hatten sich im Vorfeld für die Demo angemeldet. Stellvertretend für sie demonstrierten Avatare in einem auf eine Netzleinwand projizierten Film vor dem Bundestag. Auch Banner und Schilder sind zu sehen, sie zeigen eine Auswahl der eingereichten Demosprüche.

Anlass ist die heute stattfindende Agrarminister:innenkonferenz – in der es darum geht, wie ab 2023 jährlich sechs Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen in Deutschland verteilt werden. Bislang gilt das Prinzip: Der Hof mit der größten Fläche erhält das meiste Geld – unabhängig davon, was auf den Äckern wächst, auch wenn es mit bienengefährdenden Pestiziden gespritzte Raps-Monokulturen sind. Deshalb fordern die Demonstrierenden von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und den Agrarminister:innen der Länder einen Systemwechsel in der Agrarpolitik. „Die Hälfte der rund sechs Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen muss gezielt an die Landwirtinnen und Landwirte fließen, die unsere Lebensgrundlagen erhalten, die sich für Klima- und Artenschutz einsetzen“, so Lasse van Aken, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. Wie die Ministerinnen und Minister die finanziellen Spielräume der anstehenden EU-Agrarreform dafür nutzen können, hat Greenpeace vergangene Woche mit einer Studie gezeigt. (Mehr dazu finden Sie unten.)

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Für Nicht-Eingeweihte ist das Gewirr der Vorschriften und das Dickicht der Fachbegriffe kaum zu durchdringen, das Blüten treibt wie „Eco Schemes”, „AUKM” oder „Erweiterte Konditionalitäten”. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union - kurz GAP - ist in den vergangenen Jahrzehnten nach zahlreichen Reformen und endlosen Verhandlungsrunden in Agrarauschüssen und Agrarräten zu diesem wuchernden Ungetüm geworden.

Doch wenn die bäuerlichen Betriebe in Europa eine Zukunft haben sollen, wenn hier gesunde Lebensmittel erzeugt werden sollen, die für alle erschwinglich sind, mit fairen Preisen, die bäuerliche Einkommen sichern, wenn die Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft sinken und der dramatische Artenverlust auf dem Lande gestoppt werden soll, um den Erhalt unser Lebensgrundlagen zu gewährleisten - dann ist die GAP das entscheidende politische Werkzeug.

Ziele unklar, Erfolge kaum messbar

Denn die Agrarsubventionen verschlingen mit einem jährlichen Volumen von 55 Milliarden Euro nicht nur den größten Posten im EU-Haushalt. Sie sichern auch einen wesentlichen Teil der Einkünfte in der Landwirtschaft. Und die Bedingungen, nach denen die Milliardensubventionen bislang vergeben werden, tragen bislang nicht nennenswert dazu bei, eine nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft zu fördern. Mehrere tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die nüchternen Prüfer des Europäische Rechnungshofs stellen der GAP denn auch ein schlechtes Zeugnis aus: Die geförderten Umweltmaßnahmen im herrschenden System sind ineffizient, die Ziele unklar, die Erfolge kaum messbar.

Es muss sich also dringend etwas ändern! Derzeit wird in Brüssel über eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik verhandelt. Das EU-Parlament und der Agrarrat haben dazu Ende vergangenen Jahres schon Beschlüsse gefasst. Jetzt muss zum Abschluss des Prozesses auf EU-Ebene im sogenannten Trilog mit der EU-Kommission eine gemeinsame Position gefunden werden.

Während auf EU-Ebene noch über die europaweiten Vorgaben und den nationalen Gestaltungsmöglichkeiten verhandelt wird, kommen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sowie die Agrarministerinnen und Agragminister der Länder bereits in der kommenden Woche zusammen. Sie diskutieren, welche Umweltinstrumente mit wie viel Geld gefördert werden sollen. Und obwohl der Trilog in Brüssel noch nicht abgeschlossen ist und wichtige Knackpunkte der GAP-Reform offen sind, setzt Klöckner die Bundesländer unter Druck, um schon jetzt eine Einigung auf nationaler Ebene zu erzielen. Schulter an Schulter mit der Agrarlobby will die CDU-Ministerin noch vor der Bundestagswahl ein Ergebnis durchsetzen, um die Bedingungen für die Verteilung der Agrarsubventionen in Deutschland festzuzurren.

Schluss mit dem Gießkannenprinzip

Bei dieser GAP-Reform stehen die Agrarministerinnen und -Minister wie nie zuvor in in der Verantwortung: Auch wenn die Verhandlungen in Brüssel noch nicht abgeschlossen sind, ist schon jetzt klar, dass die Spielräume der Mitgliedstaaten für die nationale Gestaltung der Vergabekriterien so groß sind, wie noch nie. Auf nationaler Ebene könnte das derzeit herrschende Prinzip - der größte Acker bekommt das meiste Geld - zumindest etwas entschärft werden. Derzeit wird primär der Flächenbesitz belohnt, da rund 70 Prozent der GAP-Gelder pro Hektar ausbezahlt werden - weitgehend unabhängig davon, ob dort umweltschonend gewirtschaftet wird. Das führt etwa dazu, dass fachfremde Investoren wie die Aldi-Erben, die kürzlich weit über 6000 Hektar Land gekauft haben, dafür Jahr für Jahr mehr als 1 Mio. Euro an Steuergeldern erhalten. 

Jetzt müssen die richtigen Weichen für die Zukunft der Landwirtschaft gestellt werden: Statt weiterhin den größten Teil der Subvention als Flächenprämien zu vergeben, von denen besonders Großbetriebe profitieren, sollten nur noch Landwirtinnen und Landwirte gezielt gefördert werden, die konkrete ökologische und klimaschonende Maßnahmen umsetzen und dazu beitragen, die Artenvielfalt auf dem Land zu erhalten - etwa, indem sie weniger Pestizide auf den Äckern einsetzten oder weniger Tiere mit mehr Platz in den Ställen halten und auf importiertes Sojafutter aus Monokulturen verzichten, für die wertvolle Naturräume zerstört werden.

„Jede Ministerin und jeder Minister muss jetzt entscheiden, ob er oder sie weiterhin Milliarden Steuergelder mit der Gießkanne verteilen oder endlich die dramatische Krise des Artenverlustes und des Klimas adressieren will”, sagt Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. 

NEUSTART DER AGRARPOLITIK

Greenpeace hat Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock und renommierter GAP-Experte, gebeten, das Gewirr der Regeln und Vorschriften der GAP zu durchdringen, die bislang beschlossenen Reformvorschläge zu bewerten und die finanziellen Spielräume aufzuzeigen, die die Agrarministerinnen und -Minister des Bundes und der Länder nutzen können, um mit dem Start der reformierten GAP ab 2023 einen Neustart für die Agrarförderung einzuläuten.

Lakners heute veröffentlichte Analyse zeigt, dass die Hälfte der Agrarsubventionen, die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU in die deutsche Landwirtschaft fließen, schon zu Beginn der nächsten Förderperiode für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden könnten. Dazu müsste Deutschland den dafür in der GAP-Reform ab 2023 vorgesehenen Finanzrahmen voll ausschöpfen, der zwischen 1,25 Milliarden und rund 3 Milliarden Euro liegt. Bislang werden jedes Jahr 2,2 Milliarden Euro für ökologische Maßnahmen vergeben. Nach der Entscheidung in Brüssel liegt es in der Verantwortung der Agrarminister und -Ministerinnen des Bundes und der Länder zu beschließen, ob dieser Betrag aufgestockt wird und die Betriebe die dringend benötigte Finanzspritze für einen ökologischen Umbau erhalten.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) müsste diese Gelegenheit ergreifen, um Landwirtinnen und Landwirten echte Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Doch sie hält weiter an einer überkommen Förderpolitik fest, die immer mehr bäuerliche Familienbetriebe an den Rand der Existenz bringt. Wachse oder weiche lautet die Devise, die Jahr für Jahr rund 4000 Höfe zum Aufgeben zwingt. „Nach 15 Jahren CDU/CSU-Agrarpolitik stehen die Betriebe mit dem Rücken zur Wand. Wirtschaftlich fällt ihnen die exportorientierte Billigproduktion auf die Füße und gleichzeitig drohen durch die Erderhitzung und das Artensterben hohe Ernteverluste”, sagt Kaiser.

Öko-Fördergelder statt Flächenprämien

Die EU-Kommission hat mit dem Green Deal klare Ziele zum Schutz des Klimas und für den Erhalt der Biodiversität vorgegeben. Doch statt ihre Parteifreundin Ursula von der Leyen zu unterstützen, unterlaufen Klöckner und die Agrarpolitiker und -Politikerinnen der Union im Europaparlament die Bemühungen der Kommissionspräsidentin und ihres Stellvertreters Frans Timmermans, diese Ziele auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik durchzusetzen.

„Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die EU-Kommission einen neuen Reformentwurf für die GAP vorlegt, der den Schutz des Klimas und der Biodiversität ins Zentrum stellt“, fordert Kaiser. Als Mitglied der von der Bundeskanzlerin einberufenen Zukunftskommission Landwirtschaft macht sich der Greenpeace-Chef derzeit dafür stark, die Direktzahlungen mit einem klaren Zieldatum auslaufen zu lassen und Schritt für Schritt durch eine vollständig ökologisch ausgerichtete Förderung zu ersetzen. „Es ist eine zentrale Aufgabe dieses Gremiums, Empfehlungen vorzulegen, wie die überfällige Umstellung der Agrarförderung gestaltet werden kann“, sagt Kaiser. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren und können uns keinen Aufschub mehr erlauben. Die Klimakrise wartet nicht.”

(Erstveröffentlichung: 28.01.2021)

  • Greenpeace-Chef Martin Kaiser: Nachhaltige Landwirtschaft gezielt fördern statt Subventionen mit der Gießkanne verteilen

    Greenpeace-Chef Martin Kaiser: Nachhaltige Landwirtschaft gezielt fördern statt Subventionen mit der Gießkanne verteilen

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