Greenpeace-Experte Christoph Ties über Zustand der Artenvielfalt
- Ein Artikel von Anja Franzenburg
- Im Gespräch
Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Die Wissenschaft fordert ein radikales Umdenken. Was der Weltbiodiversitätsrat empfiehlt, erzählt Christoph Thies von Greenpeace.
“Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität“, warnt Robert Watson, Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrats (IPBES), gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Anlass für seine Sorge ist der heute veröffentlichte Bericht des UN-Gremiums zum globalen Zustand der Artenvielfalt. Demnach sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht; drei Viertel der Landfläche und zwei Drittel der Meere erheblich beeinträchtigt – durch den Menschen.
Ein vorläufiger Bericht kursierte bereits im Vorfeld, die dramatische Einschätzung ist deshalb nicht ganz überraschend. Auf dieser Basis wurde vor knapp einer Woche bereits ein Interview mit Christoph Thies, Greenpeace-Experte für Wälder, geführt. Was im Vergleich dazu neu ist, erzählt Thies heute.
Greenpeace: Gab es bei der heutigen Präsentation des Berichts Überraschungen?
Christoph Thies: Neue Fakten gab es nicht. Beeindruckend ist aber, wie eindringlich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Veränderungen fordern. Weg von kurzfristigen Gewinnen und ständigem Wirtschaftswachstum hin zu einem nachhaltigen Finanz- und Wirtschaftssystem.
Sie warnen vor den Konsequenzen, die daraus folgen, wenn wir so weiter machen wie bisher. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum, einer der Hauptautoren des Berichts, sprach von einem immer löchriger werdenden Netz des Lebens. Wenn etwa immer mehr Insektenarten sterben und irgendwann keine mehr für die Bestäubung von Pflanzen nachrücken können, würde das zu Schwierigkeiten bei der Produktion von Nahrungsmitteln führen. Artenvielfalt sei also eine Art Lebensversicherung.
Die Wissenschaft zeichnet in dem Bericht aber nicht nur ein düsteres Bild.
Das Gute ist, dass wir in vielen Bereichen das Artensterben verhindern können – und zwar ab dem Zeitpunkt, ab dem wir mit der Zerstörung der Ökosysteme aufhören. Dazu müssen wir aber in der Waldnutzung, Fischerei und Landwirtschaft die Ressourcen schonender nutzen und mehr Wald- und Meeresflächen unter Schutz stellen. Wie das in Deutschland gehen kann und trotzdem für alle gesorgt ist, hat Greenpeace zum Beispiel mit dem „Kursbuch Agrarwende“, dem Report „30x30“ für den Meeresschutz und der „Waldvision“ gezeigt.
Vergangene Woche haben Regierungsvertreter aus über 100 Staaten den Bericht diskutiert. Er soll nun die Grundlage für politisches Handeln sein. Doch wird wirklich was passieren?
Von dem Treffen ist bislang wenig nach außen gedrungen. Mir ist nicht bekannt, wie sich die einzelnen Länder positioniert haben. Das müssen wir in den nächsten Wochen herausbekommen.
Spätestens nächstes Jahr müssen sich die Staaten beim Naturschutz-Gipfel in China wieder mit dem Bericht beschäftigen. Die Hoffnung ist natürlich, dass daraus ein Abkommen mit verbindlichen Zielen entsteht – ähnlich dem Pariser Klimaschutzabkommen. Greenpeace wird sich jedenfalls stark dafür einsetzen, dass das passiert.
Und wie sieht es in Deutschland mit dem Artenschutz aus?
Der Bericht und die Diskussion werden von der Politik in Deutschland aufmerksam verfolgt. Doch leider unterstützt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine Landwirtschaft, die massiv Tier- und Pflanzenarten zerstört. In der Waldwirtschaft und Fischerei sieht es nicht anders aus. Zwar wurde zum Beispiel fast die Hälfte der deutschen Nord- und Ostsee unter Schutz gestellt, doch den gibt es aktuell nur auf dem Papier. Bislang sehen wir in Deutschland keine Anzeichen, dass sich daran zeitnah was ändern wird. Doch daran arbeitet wir.