Greenpeace-Report zur Situation der europäischen Landwirtschaft
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Europa produziert immer mehr, doch anstatt die Menschen mit besseren Lebensmitteln zu versorgen, steigen Exporte und der Anbau von Pflanzen, die zu Tierfutter oder Biosprit werden.
Lange Schlangen vor den Supermärkten, gähnende Leere in den Regalen mit den Mehlpackungen, Menschen, die plötzlich beginnen, Lebensmittel zu horten. Durch die Corona-Pandemie haben wir alle die Verwundbarkeit des globalisierten Ernährungssystems erfahren, das von langen Lieferketten und Wanderarbeitern abhängig ist. Wie könnte also eine europäische Landwirtschaft aussehen, in der für alle Menschen nahrhafte Lebensmittel erzeugt werden, und für deren Produktion wir unsere Umwelt nicht zerstören?
Eigentlich ist die Antwort recht einfach: Europa muss nicht mehr, sondern anders produzieren. Was also liegt derzeit im Argen? Greenpeace ist dieser Frage nachgegangen und hat dazu einen Report (auf englisch) veröffentlicht .
Die Nahrungsmittelproduktion hat zwar weiter zugenommen, aber dies hat nicht unbedingt zu widerstandsfähigeren Ernährungssystemen oder gesünderen Lebensmitteln für die Menschen in Europa geführt. Im Gegenteil, wachsende Produktionsniveaus gehen Hand in Hand mit immer weniger Kleinbauerinnen und -bauern in Europa. Zwischen 2005 und 2016 haben in der Europäischen Union über vier Millionen landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben, die meisten davon kleine Höfe mit weniger als fünf Hektar Land. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist dagegen nahezu gleich geblieben.
Viel zu viel Fleisch
Die ständig steigende Produktion ergibt noch weniger Sinn, wenn man bedenkt, dass wir in Europa schon jetzt mehr Fleisch und Milchprodukte konsumieren, als für den Menschen oder den Planeten gesund ist. Anstatt Europa mit mehr lokal produzierten und ökologischen Lebensmitteln zu versorgen, werden die Exporte von industriell hergestelltem Fleisch und Milchprodukten gesteigert: Rind- und Schweinefleischexporte haben sich zwischen 2007 und 2016 verdoppelt, während die Ausfuhr von Milchprodukten um 35 Prozent und die von Geflügel gar um 43 Prozent gestiegen ist. Diese exportorientierte Produktion tierischer Produkte ist eine schlechte Nutzung der landwirtschaftlichen Ressourcen Europas – und sie verringert die Fähigkeit, zunehmende Schocks wie die Corona-Pandemie zu überstehen.
Ein weiteres Problem: Große Teile der landwirtschaftlichen Produktion (und der damit verbundenen landwirtschaftlichen Nutzflächen) dienen der Fütterung von Nutztieren: Fast 60 Prozent des 2016 in Europa angebauten Getreides endet als Tierfutter – und nur 24 Prozent als Lebensmittel. So werden beispielsweise die Öle aus Raps (60 Prozent) und Sonnenblumen überwiegend als Kraftstoff für Fahrzeuge verwendet. Lediglich neun Prozent des Rapses und 25 Prozent der angebauten Sonnenblumen landen auf unseren Tellern.
Weichen für eine neue europäische Landwirtschaft jetzt stellen
Globale Analysen haben bereits gezeigt, dass der Anbau von Lebensmitteln, die ausschließlich für den direkten menschlichen Verzehr bestimmt sind, Milliarden von Menschen mehr ernähren könnte als das derzeitige Ernährungssystem. Und die Landwirtschaft ökologisch zu machen, gilt heute weithin als die beste Option zur Verbesserung der Produktion und Produktivität mit einem besseren Nährstoff- und Wassermanagement im Boden und ohne den Einsatz teurer chemischer Betriebsmittel.
Für ein wirklich widerstandsfähiges und vielfältiges System, das gesunde Lebensmittel in und für Europa produziert, bedarf es dringend einer neuen Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Handelspolitik. Der Anfang kann schon jetzt gemacht werden: Brüssel entwirft und verhandelt derzeit die Gemeinsame Agrarpolitik der EU für die nächsten Jahre. Europa muss aufhören, große Teile der vorhandenen Ackerflächen für den Anbau von Tierfutter und die Erzeugung von Biokraftstoffen zu nutzen, und sich von einer zunehmend industrialisierten Produktion abwenden. Was können wir für ein widerstandsfähiges Landwirtschaftssystem, die Gesundheit der Menschen und zum Schutz der Natur tun? Wir müssen unsere Lebensmittel ökologischer als bisher produzieren.